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Andreas Sturm: Ein Generalvikar rechnet ab

Beeindruckendes Buch: Andreas Sturm beschreibt seinen Weg zum Austritt aus der katholischen Kirche mit schonungsloser Ehrlichkeit. Ein Spiegel der Kirche unserer Tage.
Auszug aus der Kirche
Foto: IMAGO/Sabine Gudath (www.imago-images.de) | Jeder leere Stuhl in einer Kirche hinterlässt Fragen in Zeiten hoher Kirchenaustritte - erst recht, wenn ein katholischer Priester geht.

Ein katholischer Priester im Amt des Generalvikars wirft das Handtuch und wird altkatholisch. Als wenn das noch nicht reichte, gibt es noch das Buch dazu. Andreas Sturm war Priester und Generalvikar des Bistums Speyer. In seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel „Ich muss raus aus dieser Kirche: Weil ich Mensch bleiben will.“ beschreibt er die Genese des Scheiterns. Bezeichnend ist der Untertitel, der der Kirche eine Unmenschlichkeit unterstellt, die jeden Katholiken zutiefst verletzen muss. Es ist wirklich ein Buch, das sei vorweggeschickt, das kein Katholik gerne lesen wird. Dennoch kann man Sturm nicht vorwerfen, unehrlich zu sein. Es ist das aufrechte Bekenntnis eines Mannes, das den zeitgenössischen Zustand des Klerus in Deutschland in weiten Teilen und in seiner vollen Dramatik beschreibt.

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Anfang in turbulenter Zeit

Der Beginn der Geschichte des Weges zum Priester liegt Anfang beziehungsweise Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Den Spannungsbogen zieht Sturm zwischen Weltkatechismus, Ordinatio sacerdotalis, dem Kirchenvolksbegehren und anderen kirchenpolitischen Streitpunkten der Zeit auf. Zugleich ist der junge Andreas Sturm stolz, als Theologiestudent in Soutane auf dem Domplatz zu stehen. Der Retrospektive auf den Berufungsweg fehlt jegliche Überlegung zur Sakramentalität des Amtes. Dafür gibt es eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Weg zum Zölibat.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass das beschriebene Zölibatswochenende in Priesterseminaren der 90er Jahre in seiner verklemmten Absurdität in der Tat nur das Prädikat „komisch“ verdient. Der in der Presse hochgejazzte Zölibatsbruch, den Sturm eingesteht, nimmt im Buch gerade mal den Umfang einer Randnotiz ein. Mehr und tiefer – da zeigt sich die ganze Dramatik – ist die grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Zölibat und die Kritik daran. Der übliche Verweis auf die unierten Ostkirchen bleibt nicht aus. Hier verschweigt Sturm allerdings den für ostkirchliche Priester bestehende Zwang zu heiraten oder ins Kloster zu gehen. Alle Beispiele für verheiratete Priester hinken, weil die Alternativen unzutreffend oder unvollständig beschrieben sind.

Aus dem Verbändemilieu

Andreas Sturm kommt aus der KjG (Katholische junge Gemeinde), einem Jugendverband, der dem BDKJ (Bund der katholischen Jugendverbände) angehört. Seine Prägung durch diese Verbände sowohl vor der Weihe als auch in seinen frühen Jahren als Priester beschreibt Sturm ausführlich. Die Folge ist eine durch und durch einseitige Ekklesiologie. Sturm übt reichlich Kritik an der bischöflichen Verfassung der Kirche, ohne jemals auch nur einen Gedanken an die apostolische Tradition der Kirche zu verschwenden, die Bestandteil des Credo ist. Die historische Dynamik der kirchlichen Strukturen findet in seinen Gedanken ebenso wenig statt, wie dogmatische Erwägungen dazu. Das Amt ist bei Sturm einfach eine Funktion in einer soziologischen Großgruppe. Mehr noch wehrt er sich sogar gegen die Sakralisierung des Amtes und setzt so mit seiner teils berechtigten Kritik gerade an der falschen Stelle an.

Sehr breiten Raum nimmt bei Sturm die Missbrauchskrise ein. Es ist müßig an dieser Stelle zu diskutieren, ob der sexuelle Missbrauch Minderjähriger in der Kirche wirklich so überproportional häufig vorkommt, wie Sturm es annimmt und wovon er so erschüttert ist. Es fehlen hier schlicht mit kirchlichen Missbrauchsgutachten vergleichbare Untersuchungen in anderen – soziologisch ähnlichen – gesellschaftlichen Gruppierungen, um valide Aussagen treffen zu können. Sturm spielt hier leider nur einen immer wieder – besonders gern von kirchenkritischen Kreisen – gespielten Ball. Dabei glaubt man ihm ohne Frage, von ganz konkreten Fällen zutiefst erschüttert zu sein.

These überzeugt nicht 

Allein die These von den systemischen Ursachen überzeugt einfach nicht. Weder die Sexualmoral der Kirche, die ja gerade solche sexuellen Handlungen streng untersagt, noch der priesterliche Zölibat können als Ursache angesehen werden. Bei der Frage der Macht gibt Sturm ganz unumwunden zu, selbst als Generalvikar kaum wirkliche Macht gehabt zu haben. Auch hier fehlt die kritische Abgrenzung von Macht zu geistlicher Vollmacht. Letztere ist das Wesen der priesterlichen Leitungsautorität. Die berechtigte Kritik an der Fehlverwendung von Machtgefälle in ganz konkreten Situationen leidet darunter, dass Sturm das Ausüben von Leitungshandeln in der Kirche unter Generalverdacht stellt und synodal einhegen will. Das klingt zwar gut, ist aber eben nicht kirchlich.

Andreas Sturm sieht die Kirche als nicht mehr reformfähig an und meint mit Reformen tatsächlich nichts anderes als die Übernahme weltlicher, zeitgeistiger Wertvorstellungen. Da steht die gesamte LGBT- Agenda neben dem Amt für die Frau, der Spendung der Sakramente einfach alle sowie einer kompletten Demokratisierung der Kirche und vieles andere mehr, was – wie Sturm auch sagt – seit 50 Jahren auf der Agenda der Kirchenreformer steht. Erstaunlich ist, dass Sturm nicht bemerkt, dass die Altkatholiken, die, wie er schreibt, alle diese Dinge bereits umgesetzt haben, trotzdem nicht sonderlich attraktiv sind. Auch lässt Sturm zwischen den Zeilen erkennen, dass er ein Konzil für dem Papst übergeordnet hält und kritisiert zudem an einem Konzil, dass auch hier wieder nur Männer und unter diesen auch wieder nur die Geweihten entscheiden dürften. Auch hier wieder eine tiefgreifende Aussage über sein Kirchenbild, das wie das Priesterbild nur in seiner horizontalen Dimension betrachtet wird.

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Ein wichtiges Buch

Das Buch von Andreas Sturm ist in der Tat ein wichtiges und wirklich lesenswertes Buch – und das nicht, weil es dem Leser etwas Positives mitzuteilen hätte. Ganz im Gegenteil ist dies ein Buch, das den Weg einer großen Enttäuschung aufzeigt, die leider kein Happy End, sondern einen dramatischen Schluss findet. Es zeigt eine beeindruckende Ehrlichkeit, die man dem Verfasser gerne abnimmt, es zeigt zugleich die tiefe Verunsicherung über das Wesen des Priesteramtes. Es zeigt ferner die umgreifende und tiefe Verunsicherung in Fragen des Glaubens und der Sitten auf. Es zeigt vor allem, dass keine Ebene der Hierarchie in der Kirche vor dieser grundständigen Verunsicherung verschont bleibt.

Das vorliegende Buch – das muss man sich bewusst machen – hat ein sich noch im Amt befindlicher Generalvikar einer deutschen Diözese geschrieben, der während des Schreibens täglich seinen Dienst versehen hat.

Aus heutiger Sicht sollte es niemanden verwundern, wenn man annehmen muss, dass dieses Buch durchaus auch von einem Weihbischof oder einem Diözesanbischof hätte geschrieben werden können.


Sturm, Andreas:
Ich muss raus aus dieser Kirche: Weil ich Mensch

bleiben will. Herder, Freiburg 2022,
gebunden, 192 Seiten,
ISBN 978-3451033988, EUR 18,–

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Peter Winnemöller Bistum Speyer Bund der Deutschen Katholischen Jugend Diözesen Päpste Zölibat

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