Für halbe Sachen ist Schwester Regina nicht zu haben. Gerade deshalb war der Karmel für sie die richtige Lebenswahl. Nein, richtiger: Berufung. „Diese Radikalität des Lebens, das ist wirklich sehr anziehend. Wir führen kein halbes Leben – halb Welt, halb Kloster – sondern schenken unser Leben ganz Gott“, strahlt sie. Deshalb ist der Karmel auch weiter attraktiv, davon ist die Priorin des Karmel Sankt Josef Mayerling im Wienerwald überzeugt.
24 Jahre ist die jüngste Schwester hier, 93 Jahre die älteste – „und sehr gesund“. Schwester Regina selbst trat im Alter von 23 Jahren ein. Warum ausgerechnet in Mayerling? „Weil es für mich so besonders unattraktiv war“, sagt sie ohne zu zögern im Gespräch mit der „Tagespost“. Und lächelnd erklärt sie: „Man hat ja nur ein Leben zu geben!“ Schwester Regina ist ein glücklicher Mensch. Das muss sie nicht betonen, das ist in ihrem Gesicht zu lesen. Aber sie ist auch eine tatkräftige Priorin, denn die Karmelitinnen von Mayerling stecken mitten in der größten Gebäudesanierung seit der Gründung des Klosters im Jahr 1889.
Die einzige noch existierende Stiftung Kaiser Franz Josephs
Obgleich Mayerling ein Stück österreichischer Geschichte darstellt und Scharen ausländischer Touristen anlockt, lässt der Staat die Schwestern in diesem Abenteuer allein. Vor mehr als 127 Jahren, am 30. Januar 1889, ereignete sich im Jagdschloss Mayerling eine Tragödie: Der Sohn Kaiser Franz Josephs, Kronprinz Rudolf, und seine 17-jährige Geliebte Mary Vetsera wurden tot aufgefunden. Der Kaiser ließ das Jagdschloss, das er zwei Jahre zuvor vom Kloster Heiligenkreuz erworben hatte, daraufhin umbauen und stiftete einen Karmel. Zu den Habsburgern haben die Karmelitinnen weiterhin Kontakt, einige Mitglieder des Erzhauses kommen regelmäßig vorbei.
Der Heiligenkreuzer Zisterzienserpater Karl Wallner, der als Rektor der Hochschule Heiligenkreuz und als Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich zu den bekanntesten Geistlichen im Lande zählt, ist auch Schatzmeister des Fördervereins für den Karmel Mayerling. Und deshalb, wie er bei einem Ortstermin erzählt, „seit Jahren mit der Not der Schwestern vertraut“. Kaiser Franz Joseph habe den Karmelitinnen eine ansehnliche Summe pro Jahr gestiftet, doch seit dem Ende der Habsburger-Monarchie im Jahr 1918 seien die Schwestern fast ohne öffentliche Unterstützung. Sie lebten nur vom Tourismus, „weshalb das Haus seit 1918 immer mehr verfällt“. 2014 wurde mit Förderung des Landes Niederösterreich das Kloster äußerlich neu gestaltet, „damit die Touristen wieder was zum Schauen haben“, wie Pater Karl Wallner formuliert. „Bei den Touristen aus Amerika und Japan ist Mayerling vielleicht bekannter als in Österreich.“
Immerhin rankten sich um die Tragödie von Mayerling zahlreiche Gerüchte und Erklärungsversionen. Die sterblichen Überreste der einst so unglücklich Verliebten Baronesse Mary Vetsera hatten auch darum eine bewegte Geschichte: Während der Kronprinz in der Kaisergruft unter der Wiener Kapuzinerkirche standesgemäß bei seinen Ahnen bestattet wurde, wurde Mary auf dem Friedhof von Heiligenkreuz mehrfach der Grabesruhe beraubt. 1945 schlitzten plündernde Soldaten den Kupfersarg auf; 1991 entwendete ein Linzer Hobbyhistoriker den insgesamt nun schon dritten Sarg aus der Gruft, um das Geheimnis der Tragödie zu klären. Erst 1993 erfolgte die letzte Beisetzung in einem Metallsarg. Geklärt sei die Tragödie von 1889 mittlerweile, so Pater Karl Wallner. Durch das Auffinden der Briefe der Mary Vetsera im Vorjahr stehe der freiwillige Doppelselbstmord des Kronprinzen und seiner Geliebten fest.
Seit Herbst 1889 leben und beten in Mayerling die Karmelitinnen. Sie beten, wie die Priorin betont, nicht nur für den verstorbenen Habsburger und seine Mary, sondern für alle Unglücklichen. „Mayerling ist die einzige heute noch lebende Stiftung von Kaiser Franz Joseph“, ergänzt Pater Karl. Am 21. November wird der Altabt des Stiftes Heiligenkreuz, Gregor Henckel-Donnersmarck, zum 100. Todestag des Stifters die Totenmesse für den Kaiser lesen – am Altar dieser Kirche, der genau an der Stelle steht, wo Erzherzog Rudolf und Mary Vetsera damals tot aufgefunden wurden.
Die Besucher der Totenmesse für den legendären Kaiser werden von der täglichen Not der Schwestern wenig spüren. Von außen sieht der Karmel jetzt prachtvoll aus, die Kirche ist sehenswert und auch die Ausstellungsräume sind intakt. Anders steht es um den Klausurbereich: Die Wasserleitungen haben seit Jahren Haarrisse, wodurch Feuchtigkeit ins Gebäude eindrang. Architekt Friedrich Pühringer erklärt, warum die Haustechnik erneuert werden muss: „Bisher gab es keine Waschbecken und keine Wasserleitungen in den Zellen.“ Nun werde es Waschbecken für jede Zelle mit Kalt- und Warmwasser geben. Die bisherigen teuren Elektrodirektheizungen würden durch eine zentrale und effiziente Biomasseheizung ersetzt. Vor allem aber müssten die Zellen dringend trockengelegt werden. Grundsätzlich sei die alte Bausubstanz gut: „Da merkt man, dass es dem Kaiserhaus wichtig war.“ Es wurden gute Materialien verbaut. 127 Jahre später haben sich die Standards verändert: „Die Wasserleitungen sind alle Bleileitungen. Das war damals Stand der Technik, heute ist es absolut verboten.“
Feuchte Zellen, Schimmel an Büchern und Kleidern
Priorin Regina berichtet, die elf Schwestern würden die Waschbecken „wirklich als ein Geschenk“ sehen. Bisher waschen sie sich in ihren Zellen kniend aus einer Plastik-Waschschüssel auf dem Boden. Die Präsenz der vielen Handwerker in ihrem Kloster nehmen sie dafür in Kauf: „Es ist im Moment schrecklich laut und schmutzig. Das ist schon eine große Herausforderung. Aber bis Weihnachten soll alles fertig sein, das ist ein schönes Ziel. Wir leben mitten in einer Baustelle, aber es wird ja ein Ende haben.“
Von Luxus wird auch weiterhin keine Spur sein: Die Schwester schlafen weiter auf einem Brett, auf dem nur eine dünne Matratze liegt. „Wir wollen einfach und radikal leben, aber es sollte doch so sein, dass das Leben hier gesund ist“, so die Priorin. „Hier hat bereits alles geschimmelt, die Bücher und auch die Kleider im Schrank.“ Während ihre rund sieben Quadratmeter kleinen Zellen entfeuchtet werden, wohnen die Schwestern im Gästetrakt.
Dass die Anwesenheit der Handwerker in einem Karmel alles andere als Alltag ist, scheint dem Architekten bewusst: „Wir haben Mitarbeiter, die auch wissen, wie man sich einem Kloster bewegt. Das Rauch- und Alkoholverbot wird strikt eingehalten“, versichert Pühringer. Seine Leute haben auch schon in anderen Klöstern gearbeitet, aber der Karmel sei schon etwas ganz besonderes, versichert er im Gespräch mit dieser Zeitung.
Pater Karl Wallner erläutert das Konzept der seit 2014 laufenden Renovierung: „Zuerst bereiteten wir alles für die Lebensgrundlage vor, also für den Tourismus. Und jetzt müssen wir uns um das eigentliche Innere des Klosters kümmern.“ Ein neues Besucherzentrum mit Parkplatz wurde geschaffen, die Gartenanlage verschönert, der alte Pavillon restauriert. In Österreich werde viel für soziale Projekte gespendet, „aber für Schwestern, die in der Verborgenheit leben, wird nicht so gern gegeben“. Die notwendigen Sanierungsarbeiten belaufen sich jedoch auf 600 000 Euro. Pater Karl bewirbt darum die Spenden-Aktion „Schenken wir den Schwestern Rosen!“. Inspiriert ist sie von der heiligen Thérese von Lisieux, die etwa zur Zeit der Tragödie von Mayerling starb. Sie sagte vor ihrem Tod, sie werde „vom Himmel Rosen regnen lassen“. Pater Karl erklärt: „Die Schwestern vertrauen sehr auf die Fürbitte der Kleinen Heiligen Thérese“ – deshalb diese Spendenaktion. „Es heißt zwar Rosen, aber es sind Euro. Die Schwestern hätten nicht viel Freude, wenn man ihnen echte Rosensträuße schenkt“, grinst der Zisterzienser. „Naja. Nicht nur Rosen!“, lacht die Priorin da fröhlich auf.
Dass eine Karmelitin so öffentlichkeitswirksam agiert und offensiv um Spenden wirbt, verwundert viele. Karl Wallner erläutert: „Wir haben hier eine historische Gedenkstätte, und die Schwestern leben davon.“ Deshalb müssten die Schwestern, die eigentlich im Verborgenen leben, öffentlich werben. „Die Priorin kann das Kloster nur erhalten, indem sie an die Öffentlichkeit geht.“ Nicht allen fällt das so leicht, wie Schwester Regina. „Gerade Schwestern, die vorher ein ganz normales oder wildes Leben gelebt haben, weigern sich jetzt, vor die Kamera zu treten, weil sie sagen: Ich bin doch nicht ins Kloster gegangen, um dann vor einer Kamera zu posieren“, so Pater Karl. Das müsse man auch respektieren. „Denen ist wurscht, was im Fernsehen läuft, weil sie keinen Fernseher haben.“
Und doch hat das Fernsehen dazu beigetragen, die Herausforderung des Erhalts der Gedenkstätte Mayerling ins Bewusstsein zu bringen. Eine kurze Sequenz im öffentlich-rechtlichen ORF, „Die vergessenen Schwestern von Mayerling“, hat viele wachgerüttelt und die Dringlichkeit einer Sanierung gezeigt.
Gebet auch während der Arbeit
Die Mutter Priorin erklärt den Tagesablauf, der um sechs Uhr morgens, nach zehn Stunden strengem Stillschweigen, mit der Laudes beginnt. Die Schwestern seien auch zwischen den Gebetszeiten untertags im Gebet, „deshalb versuchen wir, nur das Notwendigste zu sprechen. Es gibt kein Plaudern“, sagt sie. „Unser Leben ist aufgeteilt zwischen Arbeit und Gebet. Aber wir wollen auch während der Arbeitszeit in einer Haltung des inneren Gebetes sein.“
Für eine junge Schwester, die hier eintritt, sei das ein radikaler Einschnitt, eine „Lebensentscheidung, die man durchträgt bis zum Tod“. Sie könne von sich sagen, dass die Ordensberufung „das größte Geschenk meines Lebens ist – trotz aller Höhen und Tiefen, die es auch gibt“. Da gebe es keinen Urlaub und keine Versetzung: „Man tritt hier ein und bleibt für immer hier. Man geht auch nicht heim zum Begräbnis der Eltern. Zum Zahnarzt gehen wir, so normal sind wir schon.“ Die Ausbildung dauere sechs Jahre „zum Hineinwachsen in dieses Leben. Das ist das Ja einer großen Liebe – und das trägt“, sagt Schwester Regina, und strahlt dabei. Als sie mit 23 Jahren eintrat, war sie die einzige junge Schwester im Karmel Mayerling. So ein Ordenseintritt sei oft sehr schwer für die Eltern und Freunde. Und für die Berufene selbst eine radikale Lebenswahl: Da sei der Verzicht auf Freiheit, Familie, Beruf, und dann das Leben am immer gleichen Ort mit den gleichen Schwestern. Die Priorin lacht: „Wir leben ohne jede Werbung, also haben wir niemanden, der uns einredet, was wir alles brauchen, um glücklich zu sein. Wir sind einfach glücklich!“
Pater Karl Wallner nennt die Karmelitinnen „Frauen, die in einer besonderer Weise die Liebe leben, und zwar in einer Weise, die heute vielen fremd ist.“ Das sei, so meint er anerkennend, „programmatisches Aussteigertum seit 127 Jahren“.