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Felix Körner SJ: „Keine Modernisten und Opportunisten“

Der Theologe und Islamwissenschaftler Felix Körner SJ hat seinen Glauben erst im Gespräch mit Muslimen richtig verstanden.
Felix Körner SJ, Theologe und Islamwissenschaftler
| Theologe und Islamwissenschaftler Felix Körner SJ: "Das Christentum und muss wieder entdecken, dass es einen anderen Islam gibt – sein integratives und dialogbereites Potenzial."

Felix Körner SJ (59) ist Theologe und Islamwissenschaftler und seit Oktober 2021 Inhaber des Nikolaus-Cusanus-Lehrstuhls für die Theologie der Religionen am Zentralinstitut für katholische Theologie (IKT) der Berliner Humboldt-Universität. Er wurde als Gastprofessor für fünf Jahre berufen. Zugleich wurde Pater Körner im April dieses Jahres vom Berliner Erzbischof Heiner Koch zum erzbischöflichen Beauftragten für den Dialog mit dem Islam ernannt und erzählt, warum er denkatholischen Glauben durch Muslime erst richtig begriffen hat.

Herr Professor Körner, seit Oktober sind Sie Professor am IKT – mit den islamischen Theologen als direkte Nachbarn im künftigen Domizil. Hat das ihren persönlichen Dialog mit dem Islam bereits positiv gefördert?

Das hat meinen Dialog schon sehr befördert, weil ich jetzt überhaupt keine Veranstaltungen mehr halte ohne muslimische Theologen. Beispielsweise hieß meine Vorlesung im zu Ende gegangenen Semester „Theologie der Religionen“. Das bedeutete ja früher nur, dass man sich als katholischer Denker Gedanken über andere Religionen machte. Heute muss das mehr sein: Es muss Theologie sein, in der die Religionen und deren Vertreterinnen und Vertreter miteinander ins Gespräch kommen. So war das jetzt auch, und nächstes Semester werden wir ein Seminar haben, wo auch die katholischen und muslimischen Studierenden zusammenarbeiten.

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Nach Philosophie- und Theologiestudium dann das Studium der Islamkunde – woher kam das Interesse?

Der Islam hat mir, seitdem ich ihn 1984 in Nazareth kennengelernt habe, sehr eingeleuchtet. Ich habe damals gedacht, Jesus ist mir eine ganz wichtige Person – aber was bedeutet es, dass er Sohn Gottes ist? Und Gott ist mir Zentrum meines Lebens, aber was bedeutet es, dass er dreifaltig ist? Mir war die islamische Theologie erstmal klarer als die christliche. Und mit den islamischen Fragen habe ich dann erst gründlich christliche Theologie studiert und verstehen gelernt.

Gerade als Sie ihr Promotionsstudium in Bamberg begonnen hatten, im Jahr 2001, haben Islamisten das World Trade Center in New York zum Einsturz gebracht. War das damals für Sie eine Entmutigung – oder die dramatische Botschaft „Jetzt erst recht“?

Ganz klar „Jetzt erst recht“, aus zwei Gründen. Der erste: Vorher hatten sogar manche Mitbrüder gesagt: Felix studiert ein Orchideenfach. Plötzlich wurde allen klar, wie wichtig das ist, dass es Islamexperten in unserem Orden und in der Kirche gibt. Aber auch, weil ich gesehen habe: Der Islam hat eine im Moment gewalttätiger erscheinende Seite als das Christentum und muss wieder entdecken, dass es einen anderen Islam gibt – sein integratives und dialogbereites Potenzial. Die geistige Größe des Islam war ja in der nichtislamischen Öffentlichkeit und leider auch zum Teil bei Muslimen vergessen.

Sie haben ein Buch über „Politische Religion“ geschrieben. Kann ein Dialog mit dem Islam überhaupt auf einer rein theologischen Ebene stattfinden – oder sind Religion und Politik dort viel zu sehr miteinander verzahnt, dass man das nicht trennen kann?

Wissenschaft, vor allem die Theologie, geht nie ohne Kontext. Deswegen müssen wir immer die anderen Bereiche mitdenken. Beispielsweise die Fragen von Politik, das heißt von Weltgestaltung. Religion ist nicht nur etwas für unseren Privatbereich, unser Herz, sondern soll sich auch in dieser Welt auswirken. Deswegen ist Politik als Kontext und auch als Ausrichtung unserer theologischen Gespräche entscheidend.

Sie debattieren mit Islamvertretern auf akademischem Niveau, oft sind es Repräsentanten eines mehr oder weniger weltoffenen Islams. Inwiefern repräsentieren solche Diskussionen die Mehrheit der Muslime, aber auch der Katholiken in Deutschland?

Zum einen haben wir immer die Studierenden dabei. Sie müssen ihre Weltoffenheit oft erst finden. Außerdem sind die islamischen Theologen gerade hier in Berlin keine Modernisten und Opportunisten. Es gibt sogar einige Kollegen, die man durchaus als konservativ bezeichnen kann. Und das ist gut so. Sie sollen ja ihre Tradition tief kennen und erleben, um sie mit den heutigen Herausforderungen in Verbindung bringen zu können. Natürlich gibt es Reibungen. Das gehört zum theologischen Weiterkommen.

Sie sind auch Beauftragter des Berliner Erzbischofs für den Dialog mit dem Islam. Ist das ein Unterschied, wenn man in einer multireligiösen Stadt wie Berlin mit Muslimen diskutiert anstatt in einer klaren Mehrheiten-Minderheiten-Situation?

Kürzlich hieß es, dass die Zahl der Katholiken und Muslime in Berlin etwa gleich groß ist. Und das macht es sehr interessant, weil wir beide so ein bisschen eine Diaspora-Situation erleben. Oft müssen wir unsere eigene Identität der Berliner Öffentlichkeit erklären. Wir haben beide was „Anstößiges“ im doppelten Sinne: Wir verwundern, aber wir können auch neue Impulse setzen, weil wir anders sind.

Dem emeritierten Papst Benedikt XVI. hat man vorgeworfen, mit seinem Zitat aus der„Regensburger Rede“viel Porzellan im christlich-islamischen Dialog zerschlagen zu haben. Im Gegenzug wird seinem Nachfolger Franziskus eine große Offenheit gegenüber anderen Religionen nachgesagt. Sie waren Professor in Rom. Wie haben Sie dort den Dialog mit dem Islam erlebt?

Papst Benedikt hat von Seiten der Muslime eine wirklich konstruktive Reaktion auf die Regensburger Rede bekommen. Und Benedikt wollte auch immer, dass der Islam-Dialog theologisch ernsthaft betrieben wird. Das hat er nachher auch mit sehr schönen Formulierungen untermauert. Er hat zum Beispiel ein Papst-Zitat aus dem 11. Jahrhundert gebracht: „Wir glauben an denselben Gott, nur nicht auf dieselbe Weise.“ Franziskus übernimmt diese Formel und setzt tolle Gesten. Die Muslime nehmen ihn ganz interessant wahr: Sie sagen, er repräsentiert nicht nur die Christenheit. Er repräsentiert aus ihrer Sicht alle Gläubigen der Welt. Sie wollen sich von ihm mitrepräsentiert wissen.

Wie kann man denn im Dialog die „heißen Eisen“ anpacken – Verhältnis zu Gewalt und Terror, Antisemitismus, Religionsfreiheit in islamischen Ländern?

Es gibt zwei Arten von Dialog. Mit manchen ist nur ein diplomatischer Dialog möglich. Der weiß, in vielem kann man jetzt nicht weiterkommen. Man stellt viele Streitpunkte erst mal ins Regal, vielleicht für später. Aber diejenigen Muslime, die zum Heiligen Stuhl kommen, wollen mitunter wirklich theologisch weiterkommen und auch ein Zeugnis geben vor ihren eigenen Gemeinschaften: Wir auf den höheren Ebenen sind im Dialog, und das dürft ihr auf euren Ebenen, an den Graswurzeln, genauso tun. Diesen anderen Dialog nenne ich den existenziellen Dialog: wo man bereit ist, durch das Gespräch verändert zu werden. Ich habe auch erlebt, wie wir mit Muslimen um Formulierungen gerungen haben, die echte Einsicht bewirkt haben. Wir konnten gemeinsam festhalten, dass auch eine religiöse Minderheit das Recht hat, ihren Glauben zu leben und zu äußern. Überzeugend war dafür die Stimme eines Muftis aus Bosnien: Wenn wir das den Christen verbieten, dann sind wir wie die Kommunisten, die uns das früher verbieten wollten. Das hat dann bei vielen „Klick“ gemacht.

Geht die katholische Kirche – in Rom und in Deutschland – diese heiklen Punkte konsequent genug an?

Als die Brutalität des so genannten „Islamischen Staates“ hochgekocht war, hat Kardinal Tauran, der damalige Präsident des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog, gefordert: Wir können den Dialog nicht weiterführen, wenn wir nicht noch deutlicher als bisher von muslimischen Gelehrten Argumente hören, die Muslime überzeugen, dass solche Gewalttaten islamisch inakzeptabel sind. Das hat gut gewirkt, daraufhin wurde mit stärkerer Öffentlichkeitswirkung gesagt, solche Gewalttaten, wie sie der IS verübt, sind islamisch nicht zu rechtfertigen.

Wie bewerten Sie die Forderung des  chaldäischen Patriarchen Kardinal Louis Raphael I. Sako von Bagdad, muslimische Führer sollten für die Gewaltverbrechen an Christen um Vergebung bitten - analog zur Kanada-Reise von Papst Franziskus und seiner Entschuldigungsbitte gegenüber Indigenen?

Im Irak sind in den letzten Jahren ungeahnte Gräben aufgerissen zwischen muslimischen und christlichen Bevölkerungsteilen. Wenn Kardinal Sakos Forderung Versöhnungsprozesse in Gang bringt, gut! Aber welche ernstzunehmende islamische Führungsperson wird für Gewalttaten des „Islamischen Staates“ um Verzeihung bitten können? Islamischen Gelehrte können solche Gewalttäter nicht als Akteure des Islam sehen. Das ist der Unterschied. Denn in Kanada waren an der Gewalt offiziell-katholische Einrichtungen und Personen beteiligt. Deshalb kann der Papst auch Verantwortung übernehmen und dafür um Verzeihung bitten. Wenn man von muslimischen Repräsentanten erwartet, für den „Islamischen Staat“ um Vergebung zu bitten, ist das, als würde man den Papst auffordern, sich für Nicht-Katholiken zu entschuldigen. Denken Sie an den verlogenen, verheerenden Angriff unter George W. Bush – einem evangelikalen Christen. Er behauptete damals, im Auftrag Gottes zu handeln. Wir müssen uns als Katholiken davon distanzieren, müssen das verurteilen. Aber um Verzeihung bitten wird der Papst dafür nicht. So kann man jetzt auch nicht mit einer offiziell-islamischen Vergebungsbitte für den „Islamischen Staat“ rechnen. Und trotzdem: Weiterarbeiten, damit die Wunden heilen können.

Was bringt am Ende der Dialog – stellt man letztlich nicht doch nur fest, dass man sich nicht einig ist?

Es gibt fünf Ebenen, auf denen im Dialog etwas weitergeht. Die erste: Man verständigt sich in praktischen Fragen. Jahrzehntelang gab es in Deutschland ein Problem mit muslimischen Grabstätten, weil die islamische Beerdigung ja ohne Sarg geschieht. Mittlerweile sagen fast alle deutschen Behörden: Das ist kein Problem. Die zweite Ebene: Dass ich höre und lerne, wie denkt der Andere, wie lebt der Andere? Ich fange an, seine Welt zu verstehen. Drittens: Ich kann im Dialog meinen eigenen Glauben, meine Freude über Jesus Christus und das Osterereignis bezeugen. Das muss man nicht verheimlichen! Die vierte Ebene: Viele Muslime interessieren sich für Gedanken der christlichen Sozialethik. Zum Beispiel eine Formulierung aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil: Wir erkennen die Autonomie der irdischen Ordnungen an – der Wissenschaft, der Kunst, der Politik. So lassen sich gemeinsame Ziele der gläubigen Zukunftsgestaltung für Deutschland und Europa formulieren. Und schließlich: Ich habe meinen eigenen Glauben und die Kirche erst im Islamdialog richtig verstanden.

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