Ist Hamburg bald pleite?

Finanzexperten kritisieren, das Erzbistum habe über seine Verhältnisse gelebt – Schuldenberg von 79 Millionen Euro. Von Hinrich E. Bues
Nach Recherchen der „Bild“-Zeitung sieht sich vor allem der heutige Hamburger Erzbischof mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Auch soll er die verpflichtete Anzeige schwerer Missbrauchsfälle in Rom missachtet haben.
Foto: KNA | Nach Recherchen der „Bild“-Zeitung sieht sich vor allem der heutige Hamburger Erzbischof mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Auch soll er die verpflichtete Anzeige schwerer Missbrauchsfälle in Rom missachtet haben.

Hamburg (DT) Dramatisch erscheinende Zahlen veröffentlichte das Erzbistum Hamburg Anfang der Woche, nachdem die Unternehmensberatung Ernst & Young die finanzielle Situation des Bistums in den letzten drei Monaten unter die Lupe genommen hatte. Das Erzbistum habe „auch ohne Betrachtung der Altlasten über seine Verhältnisse gelebt“, monieren die Finanzexperten. Die Ergebnisse des Gutachtens, die auf der Internetseite des Erzbistums einsehbar sind, konstatieren eine gegenwärtige „Überschuldung“ des Erzbistums in Höhe von 79 Millionen Euro. Diese Millionensumme ist nicht mehr vom Vermögen gedeckt. „Wenn nichts geschieht“, so die Experten, würde die Überschuldung bis zum Jahr 2021 auf 93 Millionen Euro anwachsen.

Die Summe der „bilanziellen Überschuldung“ von 2017 bis 2021 würde demnach 353 Millionen Euro betragen, dem ein Einsparvolumen von nur 32 Millionen gegenübersteht, so die Experten. Mit anderen Worten hätte das Bistum Ende 2021 einen Schuldenberg von 321 Millionen Euro aufgehäuft, dem kein Vermögen mehr gegenüberstehen würde.

Was die finanzielle Situation des Erzbistums neben der schon bestehenden Überschuldung jedoch so desaströs erscheinen lässt, sind die notwendigen Instandhaltungsaufwendungen. Die mehr als tausend kirchlichen Gebäude erfordern Sanierungen in Höhe von 158 Millionen Euro bis zum Jahr 2021. Allein im nächsten Jahr müssten für solche Sanierungen 28 Millionen Euro aufgewendet werden, so die Experten. Hinzu kommen noch steigende Pensionslasten in Höhe von zusätzlichen 170 Millionen Euro in den nächsten vier Jahren, sodass sich dann ein Schuldenberg von insgesamt 353 Millionen Euro auftürmen würde. Dieser Schuldenspirale stehen nur relativ geringe Einnahmen aus Kirchensteuern in Höhe von jährlich gut hundert Millionen Euro und „hoheitlichen Einnahmen“ von 103 Millionen Euro entgegen.

Wie konnte es soweit kommen? Die Finanzexperten führen zwei Hauptfaktoren an: einerseits die Altlasten, die bei der Gründung des Erzbistums in den Jahren 1994/95 entstanden sind, als das Erzbistum vom Bistum Osnabrück abgespalten wurde. Dies betrifft vor allen Dingen eine Vielzahl von Gebäuden, die nun sanierungsbedürftig sind. Hinzu kommen Pensionsverpflichtungen für viele beamtete Lehrer, die nun in den Ruhestand gehen und teils über Jahrzehnte versorgt werden müssen. Andererseits monieren die Finanzexperten die Ausgabenpolitik der letzten 22 Jahre, weil seit der Gründung des Bistums „der Abbau der Altlasten nicht vollzogen worden“ sei. Die notwendigen Maßnahmen seien dem „Erhalt und dem Ausbau des Status Quo untergeordnet“ worden.

Mit dem Erhalt und Ausbau des Status Quo sind beispielsweise die katholischen Schulen gemeint, deren finanzielle Situation sich im Bundesland Hamburg deutlich anders darstellt als in anderen Bundesländern, wo der Staat alle Kosten erstattet. In Hamburg wurden teilweise nur 65 Prozent, heute werden nur 80 Prozent der Betriebskosten erstattet. Dadurch entstehen hohe jährliche Defizitbeträge beziehungsweise notwendige Zuschüsse aus Kirchensteuern. Noch im Jahr 2013 legte das Bistum ein Investitionsprogramm von 60 Millionen Euro auf, um die 21 katholischen Schulen dem neuen Bedarf nach Ganztagesunterricht und anderen Erfordernissen anzupassen. Damit stiegen die jährlichen Zuschüsse aus dem relativ niedrigen Kirchensteueraufkommen weiter. Das erst in diesem Jahr eingeführte monatliche Schulgeld in Höhe von zehn bis 100 Euro pro Schüler kann die steigenden Defizite nur unwesentlich mildern. Daher werden von Ernst & Young derzeit nur dreizehn Schulen als „tragfähig“, die anderen acht als bedingt oder nicht tragfähig eingeschätzt. Proteste der Bevölkerung gegen die Schließung der beliebten Schulen sind absehbar.

Wie die hohen gegenwärtigen und zukünftigen auflaufenden Defizite und der Schuldenberg insgesamt abgebaut werden könnte, scheint derzeit völlig ungeklärt zu sein. Auf Nachfrage dieser Zeitung erklärte Bistumssprecher Manfred Nielen, man hoffe, dass das Bistum, „aus eigener Kraft“ die Lasten stemmen könne. Die vorgeschlagenen harten Einschnitte wie Schließung von katholischen Schulen, der Verkauf von Einrichtungen und Gebäuden, die Zusammenlegung von Pfarrgemeinden („Pastorale Räume“) sowie Einsparungen im Personal oder die Digitalisierung der Kirchenverwaltung werden in der Höhe von nur 32 Millionen beziffert. Sie machen somit nur ein Zehntel der notwendigen Sparbemühungen aus. Auch die angesprochene Zusammenführung von Caritasverbänden, die Optimierung der Stellenzuweisungen an den katholischen Schulen, die Erhöhung des Schulgeldes und ein sozialverträglicher Personalabbau im Generalvikariat durch Ruhestand oder Vertragsende werden wohl kaum dreistellige Millionenbeträge einbringen können. Eine deutschlandweite Hilfsaktion durch andere Bistümer wie im Fall des Erzbistums Berlin sei bisher nicht geplant, so Bistumssprecher Nielen.

In der Wirtschaft würde nach einer solchen Finanzanalyse von einer drohenden „Pleite“ gesprochen werden müssen, wie eine Hamburger Tageszeitung am vergangenen Mittwoch bereits titelte. Eine Insolvenz des Bistums stünde dann im Raum, wenn notwendige Kredite nicht mehr bewilligt würden. Die langfristig laufenden Zahlungsverpflichtungen des Bistums sind offenbar im Generalvikariat nicht richtig berechnet oder vorausgesehen worden. So hängen viele renovierungsbedürftige Gebäude und hohe Pensionsverpflichtungen dem Bistum gleichsam wie Mühlsteine um den Hals. Wegen der gegenwärtigen niedrigen Zinsen können aus den Rückstellungen nicht mehr genügend Erträge für die Pensionen erwirtschaftet werden, klagen die kirchlichen Finanzverwalter.

Ein Blick über das Jahr 2021 hinaus verheißt finanziell nichts Gutes. Interessanterweise sehen die Finanzexperten die Kirchenaustritte nicht als vorrangiges Problem, denn die Mitgliederzahl des Erzbistums ist in den letzten Jahren durch Zuzüge sogar auf über 400 000 Katholiken gestiegen. Als großes Problem führen die Experten den „demographischen Wandel“ und damit die Überalterung der aktiven und zahlenden Katholiken an. Bekanntlich zahlen Rentner in der Regel keine oder nur wenig Kirchensteuer. Von jüngeren Menschen sind wenig Einnahmen zu erwarten, da sie weitgehend nicht – auch nicht die 9 200 Schüler an den katholischen Schulen – für den katholischen Glauben gewonnen werden können; nach Firmung und Berufseintritt verlassen sie oftmals die Kirche, um Steuern zu sparen. So prognostizieren die Wirtschaftsexperten einen Rückgang der Kirchensteuereinnahmen bis 2050 von 26 Prozent, was angesichts der Inflation einem realen Kaufkraftrückgang von über 50 Prozent in den nächsten 30 Jahren entsprechen würde.

Erzbischof Heße, der erst vor knapp drei Jahren vom Rhein an die Elbe kam, möchte „die Kirche in Zukunft anders denken“ und nun „mit weniger Geld eine lebendige Kirche“ gestalten. Schon kurz nach seinem Amtsantritt startete Heße einen „Erneuerungsprozess“, der gleichzeitig Einsparmöglichkeiten und neue pastorale und missionarische Wege erkunden will. Nach einem Kassensturz im September 2015 wurden im November 2016 die angestellten, kirchlichen Mitarbeiter auf einer großen Versammlung auf die notwendigen Einsparungen und die erhofften neuen pastoralen Wege eingestimmt.

In verschiedenen Runden des Erneuerungsprozesses im Erzbistum wird derzeit die finanzielle und geistliche Lage thematisiert. So trafen sich beispielsweise im November die Mitglieder verschiedener geistlicher Gemeinschaften und beklagten, warum so viele junge Menschen nach dem kirchlichen Erstkommunion- und Firmunterricht nicht mehr in der Heiligen Messe zu sehen seien. Ein fehlendes katholisches Profil wurde beklagt. Man spreche im Schul- oder kirchlichen Unterricht über die Liebe Gottes und alles Mögliche, aber rufe nicht zur Bekehrung zu Jesus Christus beziehungsweise zur „Umkehr des Sünders“ auf; die biblische Botschaft von Gericht, von Himmel und Hölle komme zu kurz. In einer Millionenstadt wie Hamburg, wo 50 Prozent der Menschen nicht getauft sind, fehle es an missionarischen Initiativen und katholischer Evangelisation sowohl für nicht getaufte wie für „getaufte Heiden“ (Benedikt XVI.). Antworten auf solche Fragen sollen Anfang des nächsten Jahres durch verschiedene neue missionarische Projekte gesucht und gefunden werden.

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Benedikt XVI. Demographischer Wandel Diözesen Jesus Christus

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