Elisabeth von Thüringen (1207–1231) ist bis heute wohl eine der bekanntesten und beliebtesten Heiligengestalten des deutschen Mittelalters. Ihrem Ansehen konnte nicht einmal die konfessionelle Spaltung Deutschlands schaden. Martin Luther hielt auch als protestantischer Reformator noch große Stücke auf die heilige Elisabeth.
Ein mittelalterlicher Quellentext zum Leben und Wirken der Heiligen ist nun neu herausgegeben worden. Es handelt sich dabei um die Legende der heiligen Elisabeth von Thüringen in der Fassung des Dietrich von Apolda (ca. 1220/30–1302) nach einer Handschrift aus dem Freiburger Klarissenkloster von 1481. Eine der Schwestern des Klosters namens Sibilla von Bondorf hat die Handschrift damals mit farbigen Illustrationen mit Szenen aus dem Leben der Heiligen versehen, die in einem Anhang auch der vorliegenden zweisprachigen Ausgabe beigegeben sind. Eine große Künstlerin war die Schwester zwar nicht, aber dennoch stellen ihre liebevoll gemalten Bilder eine anerkennenswerte Leistung dar und bereiten dem Betrachter Freude. Erschienen ist der Band im Freiburger Herder-Verlag. Herausgeber des Bandes ist mit Werner Heiland-Justi ein Mitglied der Familie Justi, deren Eigentum die Handschrift seit 1835 war, bis sie 2013 als Geschenk der Familie an die Deutsche Nationalbibliothek ging. Der Herausgeber diskutiert in einem Anhang wichtige wissenschaftliche Fragen und liefert Hintergrundinformationen zum besseren Verständnis der Legende. Dabei kommt auch der fragwürdige Charakter des geistlichen Begleiters der Elisabeth, des Inquisitors Konrad von Marburg zur Sprache, den man auch mit Hinweis auf die Zeitumstände nicht in allen Punkten wird entschuldigen können.
Im Mittelpunkt der Lebensbeschreibung der heiligen Elisabeth steht ihr selbstloses karitatives Engagement. Das Wunder, das sich ereignete, als das Brot, das sie wider den Willen ihres Gatten den Armen bringen wollte, sich bei einer Kontrolle durch ihren landgräflichen Gemahl in Rosen verwandelte, ist wohl die bekannteste Szene aus dem Leben der heiligen Elisabeth. Der Mechanismus dieses Rosenwunders, das in der vorliegenden Fassung des Lebensberichtes fehlt, wiederholt sich in der Legende des Dieter von Apolda mit dem Haar eines von Elisabeth zum Befremden ihrer Umgebung versorgten Aussätzigen, das sich bei einer Kontrolle durch den Landgrafen in Goldfäden verwandelt.
Ihre große Liebe zu den Armen bewies Elisabeth auch dadurch, dass sie für mittellos Verstorbene das Totenhemd fertigte und die Leichen mit eigenen Händen für das Begräbnis zurechtmachte. Elisabeth legte keinen Wert darauf, als Fürstin behandelt zu werden. Schon von früher Jugend an behandelte sie ihre Dienstmägde als Gleichgestellte, aß mit ihnen an einem Tisch und aus einer Schüssel und lehnte es ab, von ihnen mit dem Ehrentitel „Frau“ angesprochen zu werden. Neben den Werken der leiblichen Barmherzigkeit übte Elisabeth auch die geistliche Barmherzigkeit. Eines Nachts erschien ihr ihre vor kurzem verstorbene Mutter im Traum und bat sie um Gebetshilfe, um ihr die Pein des Fegefeuers abzukürzen. Das flehentliche Gebet der Tochter vermochte innerhalb kürzester Zeit, ihr den Weg zum Himmel freizumachen. Unmittelbare Folgen zeitigte ihr Gebet auch für einen jungen Mann, der sie um ihr Gebet für ihn gebeten hatte. In ihm erwachte schlagartig eine Berufung zum monastischen Leben, die ihn in den Franziskanerorden führte.
Dabei führte Elisabeth kein freudloses Leben. Die Heilige hatte Humor und verband eine strenge Askese mit einer positiven Lebenseinstellung: immer wieder ist von ihrem Lachen die Rede. Bei all ihrer Sorge um die Armen erfüllte Elisabeth treu ihre häuslichen Pflichten und war ihrem Gatten, dem Landgrafen Ludwig, in herzlicher Liebe verbunden.
All dies erzählt Dietrich von Apolda in einer einfachen und schmucklosen Sprache, der man dennoch einen gewissen Reiz nicht absprechen kann. Es ist dem mittelalterlichen Autor gelungen, in seiner Darstellung durch viele Einzelzüge den beeindruckenden Charakter einer jungen Frau zu verdeutlichen, die trotz ihres insgesamt recht kurzen Lebens durch ihre Glaubenskraft und unermüdlich praktizierte Nächstenliebe sich einen festen Platz im hagiografischen und ikonografischen Gedächtnis der Christenheit zu erwerben vermochte. Für Bewunderer, Verehrer und Freunde der heiligen Elisabeth liegt hier ein gerade auch durch seine liebevollen Illustrationen empfehlenswerter Band vor.
Dietrich von Apolda: Die Legende der heiligen Elisabeth. Hg. von Werner Heiland-Justi. Zweisprachige Ausgabe (alemannisch/hochdeutsch) mit wissenschaftlichem Anhang, 143 Seiten zzgl. 16 farbige Illustrationen, Herder Verlag, Freiburg i.Br. 2015, ISBN 978-3-451-34826-6, EUR 24,–
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