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Zwischen Dauerzoff und Grabesruh

Der Katholikentag debattiert auch über strukturelle Veränderungen in Bistümern und Pfarreien, die vielen Gläubigen oft an die Substanz gehen. Wie die Kirche in Zukunft vor Ort aussehen muss. Von Heinrich Wullhorst
Thomas Andonie
Foto: Markus Nowak (KNA) | Thomas Andonie, Bundesvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ).

„Zwischen Dauerzoff und Grabesruh“, das war der Untertitel einer Veranstaltung des Katholikentages, bei der es um die Zukunft der Kirche vor Ort geht. Das was in vielen Bistümern nüchtern Strukturprozess genannt wird, geht den Gläubigen in den Pfarreien oft an die Substanz. Sie finden sich in entstehenden XXL-Pfarreien nicht mehr wohl, verlieren durch wegbrechende Gemeinden oder den Verlust kirchlicher Orte das, was für sie immer ein Stück Heimat gewesen ist. Dabei sieht die protestantische Moderatorin Christina Brudereck die katholische Kirche zumindest an der Spitze gut aufgestellt. Für sie ist „Papst Franziskus manchmal zum katholisch werden“.

Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer bringt das Denken derer auf den Punkt, die ihr Heil in großen, unüberschaubar werdenden Strukturen suchen: „Es geht nicht darum, dass jeder Kirchturm überlebt.“ Man sei sich einig, dass es so nicht weiter gehe und dass sich etwas verändern müsse. Schließlich gehe es darum, dass das „Christentum in der Gesellschaft überlebt und dass wir zusammenrücken müssen“. Wie das allerdings funktionieren soll, wenn Kirche vor Ort sich auf dem Rückzug befindet, kann der Generalvikar auch nicht deutlich machen. Und offenbar spürt er auch den Widerstand, auf den er mit den angestoßenen Veränderungsprozessen bei den Gläubigen in den Pfarreien oftmals trifft: „Alle wollen Veränderung, aber wenn sich was verändert, will das auch keiner haben.“ Er kritisiert, dass die Katholiken auf ihren eigenen Kirchturm schauen und nicht auf das Gesamte. Ihm schwebt bei der Bewältigung der Herausforderungen ein Mittelweg zwischen Hierarchie und Synodalität vor. Pfeffer will die „Ängste und Enttäuschungen der Menschen kanalisieren und sie auf dem Weg mitnehmen“. Er ist sicher, dass es unterschiedliche Wege geben wird, die man in verschiedenen Situationen wählen muss, um die Kirche lebendig zu halten. Pfeffer weiß, dass das vielerorts auch mit schmerzhaften Einschnitten verbunden sein wird. „Unsere Pfarreien im Bistum Essen müssen ihre Kosten bis zum Jahre 2030 um 50 Prozent senken“, beschreibt er die Vorgabe, die bei vielen Katholiken angesichts wachsender Kirchensteuereinnahmen schwer nachzuvollziehen ist.

Zwischen Dauerzoff und Grabesruh in den Pfarreien geht es um zentrale Fragen und Herausforderungen wie die künftige Leitungsverantwortung oder neue pastorale Orte. Mathias Wolf, Diakon aus Oberursel sieht ein entscheidendes Element für die Zukunftsfähigkeit von Kirche darin, dass es gelingt, mehr Teilhabe für die Laien zu organisieren. Das dürfe dann allerdings kein bloßes Modewort sein, bei dem man hoffe, dass „die Teilhabe in der Praxis dann nicht so schlimm wird“. Christian Hennecke, Hauptabteilungsleiter Pastoral im Bistum Hildesheim, sieht bei einer sich verändernden Kirche ebenfalls die Frage nach der Leitungsverantwortung neu gestellt. Dabei gehe es selbstverständlich immer auch um Macht. Deshalb sei ein solcher Veränderungsprozess ein langer Weg. Auf ihm müsse man, so Jens Ehebrecht-Zumsande aus dem Erzbistum Hamburg, dem Geist Gottes Raum geben und die Frage stellen: „Wie willst du, Gott, diese Kirche verändern?“ Man müsse darauf schauen, wo sich bei den Absichten und Plänen etwas vom Geist Gottes zeige und wo nicht. Das Risiko eines solches Prozesses sei dann, dass man verändert daraus hervorgehe. Deshalb müsse eine Bereitschaft zur Veränderung am Anfang stehen. Christian Hennecke weiß aber auch, dass Kirche vor Ort Lebendigkeit entfaltet. Deshalb müsse sie darauf schauen, wo jetzt und in Zukunft die Orte sind, an denen Menschen Gemeinschaft aus dem Glauben heraus leben.

Christiane von Melis, Referentin im Bistum Osnabrück, beschrieb am Beispiel des Emslandes, dass eine katholische Identität durchaus hilfreich sein kann, den Erfolg einer Region zu unterstützen. „Kirchtürme und Netzwerke bringen das Emsland voran“, erklärte sie. Natürlich müsse man sich den aktuellen Herausforderungen stellen, um etwas zu erreichen. Dazu benötige man eine starke Zivilgesellschaft, Tradition und kirchliche Strukturen. Im Emsland funktioniere die Zusammenarbeit zwischen Verbänden, Politik und Kirche. Das Subsidiaritätsprinzip sei dabei ein wichtiges Element, den Zusammenhalt zwischen kleineren und größeren Einheiten fair zu gestalten und gemeinsames Handeln zu organisieren. Dazu dürfe man nicht ständig von oben herab in die Strukturen eingreifen.

Diese Freiheit im Handeln wünscht sich auch der Vorsitzende des Bundes der Katholischen Jugend, Thomas Andonie. Ihm ist es wichtig, dass die Kirche junge Menschen auf ihrem Weg gut begleitet, ihnen aber dann auch Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen lässt. Bei aller Diskussion um die Zukunftsfähigkeit von Kirche ermutigt ihn das Engagement der mehr als 660 000 Mitglieder in den katholischen Jugendverbänden, die sich insbesondere vor Ort ein bringen und so Kirche und Gesellschaft mitgestalten. „Das ist ein echter Schatz, den wir da in unserer Kirche haben“, beschreibt Andonie und wünscht sich zuweilen mehr Anerkennung dafür. „Gerade auch für unser politisches Engagement, denn das ist im besten Sinne katholisch und Teil unseres christlichen Auftrags.“ Aber auch er weiß: „Es muss etwas passieren.“ Deshalb spricht er sich dafür aus, gemeinschaftlich nach neuen Leitungsstrukturen zu suchen. Dazu gehöre eine Klärung der Fragen, was die Aufgabe von Seelsorge sei und wie und durch wen künftig Leitungsverantwortung wahrgenommen werde. Er forderte zudem, die pastoralen Berufe attraktiver zu gestalten, damit wieder mehr junge Menschen einen solchen Berufsweg einschlagen.

Manfred Thesing, der Vorsitzende des Katholikenrates im Bistum Trier ist derzeit ständig in Strukturdiskussionen in der gesamten Diözese unterwegs. Sein Vorschlag: „Lasst die Menschen ihren Teil am Reich Gottes so wahrnehmen, wie sie es wollen.“ Er weiß aber auch, dass die Pfarrei der Zukunft nicht die des alten Modells ist. „Wir müssen über andere Orte nachdenken, die Kirche sein können“, glaubt Thomas Andonie. Dabei müssten für Entwicklungen wie die zunehmende Arbeitsmobilität und die in den Sozialen Netzwerken entstandenen und entstehenden neuen Begegnungsorte kirchlicherseits Antworten gefunden werden. Hierbei könnten die kirchlichen Jugendverbände eine Hilfe sein.

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