Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Gesang und Liturgie

Peter Kwasniewski : "Wir müssen zu einer Liturgie zurückkehren, die den biblischen Kosmos reflektiert"

Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Messe im alten Ritus abgelöst, die Kleriker gaben die Gregorianischen Melodien in ihrem täglichen Gebet auf. Der amerikanische Theologe und Komponist Peter Kwasniewski im Gespräch über die Bedeutung der traditionellen Gebetsformen.
Frauen singen Kirchenlieder
Foto: Natalia Gileva | Feier des Herz-Jesu-Fests am 27. Juni in der Moskauer Kathedrale. Die Frauen des Chors singen die Lieder in lateinischer Sprache.

Herr Kwasniewski, inwiefern stärkt der Gregorianische Choral die Kraft der Liturgie, insbesondere in der traditionellen lateinischen Messfeier?

In einem einzigartig machtvollen Weg ist der gregorianische Choral, die Muttersprache des römischen Ritus, ein „Wort mit Flügeln“, das einer tiefen Verinnerlichung des Wortes Gottes entspringt, in Harmonie mit der göttlichen Schönheit und fähig dazu, Geist und Herz zur Schwelle der Ewigkeit emporzuheben. Mit seiner unübertroffenem Vielfalt modaler Melodien und seinem nichtmetrischen freien Rhythmus ist dieser Gesang – unmittelbar erkennbar als sakrale Musik, weil sie keine andere Seinsursache hat – ein pointiertes Signal, dass wir in der Gegenwart Gottes und hier sind, ihm das Weihrauchopfer unserer Lippen und Herzen darzubringen. Papst Leo XIII. sagt: „In ihm [dem Gregorianischen Choral] wohnt eine große Stärke und wundervolle Süße, gemischt mit Ernsthaftigkeit inne, all dies bringt bereitwillig religiöses Empfinden in der Seele in Bewegung und nährt nützliche Gedanken gerade dann, wenn sie gebraucht werden.“ Es gibt keine andere Art von Musik, die hinsichtlich der Jenseitigkeit, die das heilige Opfer der Messe verlangt, auch nur in die Nähe des Gregorianischen Gesangs kommt.

"Diese Musik schlägt tief in der Seele ihre Wurzeln"

Was ist liturgischer Gesang?

Gesang ist nicht Unterhaltungsmusik, ein Pausenfüller oder Background oder eine musikalische Weise, Menschen zu beschäftigen. Er ist Ritualmusik. Das bedeutet, er bringt die Verehrung Gottes voran und ist deshalb selbst heiliges Opfer, gesegnet durch ihn und Segen spendend denen, die in ihn einschwingen. Nachdem ich viele Jahre den gregorianischen Choral gesungen und gehört habe, merke ich, dass die Melodien und Worte zu mir zurückfinden und mich zu ungewöhnlichen Zeiten Tag und Nacht an Gott und meine himmlische Heimat erinnern. Diese Musik schlägt tief in der Seele ihre Wurzeln. Wenn wir hören, wie sie in der Kirche erklingt, versetzt allein dieser Klang uns in gebetserfüllte Spannung.

Lesen Sie auch:

Wie verändert die Konversion zur katholischen Kirche das Verhältnis zur Musik?

Ich finde, dass sakrale Musik – vor allem der Gregorianische Choral aber ebenso mittelalterliche Musik und Renaissance Polyphonie, die auf ihr basiert – essenzielle Charakteristika jener musikbezogenen Kunst aufweist, die in besonderer Weise lichtvoll sind und uns daher helfen, zu verstehen, welche gottgegebene Rolle die Musik in unserem Leben spielt. Mir scheint, dass alle Musik, die wir hören, mit sakraler Musik kompatibel sein oder mit ihr harmonieren sollte. Das bedeutet nicht, dass wir die ganze Zeit Sakralmusik hören sollten. Das wäre seltsam. Denn es ist angemessen, manchmal zu tanzen und Sakralmusik ist für die Verehrung Gottes gedacht und nicht, um gymnastische Übungen durchzuführen.

Was ergibt sich daraus?

Unser weltliches Leben ist nicht eine gewissermaßen getrennte Abteilung, die nichts mit unserem spirituellen und liturgischen Leben zu tun hat – oder schlimmer, die mit ihm in Konkurrenz stünde oder es auflösen oder unterminieren würde. Es sollte einen bruchlosen Übergang von Arbeit und Erholung außerhalb der Kirche zum Gebet, das in der Kirche stattfindet geben, vom Innern der Kirche zum allerheiligsten Sakrament, vom allerheiligsten Sakrament zur Kontemplation und zur glückseligen Schau. Die katholische Sichtweise ist, dass unsere Leben ein Gott wohlgefälliges Opfer sein sollen, in Gemeinschaft mit Christus und auf dem Pilgerweg zum Himmel.

"Ich hatte keine Ahnung, wie sehr diese Liebe mein Leben bestimmen würde"

Wann haben Sie zum ersten Mal an einer traditionellen lateinischen Messfeier teilgenommen?

Als ich in der Highschool war, ich war vielleicht 17, hat man mir erzählt, dass es so etwas wie eine lateinische Messe gibt. Natürlich hatte ich keine Ahnung, was das bedeutet, weil ich immer nur den englischen Ordo Novus erlebt hatte und in meiner katholischen Erziehung Geschichte oder Theologie vollkommen fehlten. Irgendwie fand ich heraus, dass eine lateinische Messe im Konferenzraum eines Hotels irgendwo in New Jersey stattfand, ganz in der Nähe von dem Ort, wo ich lebte und so ging ich dorthin. Ich erinnere mich an nichts außer meiner Verwirrung, viele Menschen, die in einem kleinen Raum knieten und dass ich nichts verstehen konnte. Es war kein wirklich aufbauendes Erlebnis. Die erste reale Erfahrung kam eine Reihe von Jahren später, im College, als einer von zwei Kaplänen heimlich eine stille Messe in einer wunderschönen Kapelle im spanischen Stil zelebrierte, in der der Altar von einem Bild Unserer Lieben Frau von Guadalupe umgeben war. Damals habe ich mich das erste Mal in die traditionelle lateinische Messe verliebt, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie sehr diese Liebe mein Leben bestimmen würde.

Was würden Sie jemandem empfehlen, der sich zur traditionellen lateinischen Messe hingezogen fühlt, aber keine Möglichkeit hat, an einer teilzunehmen?

Ich sehe es als schweres Kreuz an, wenn ein Katholik, ein Erbe einer 2000-jährigen, organisch gewachsenen Tradition, keine Möglichkeit hat, auf die Weise zu beten, wie die große Mehrheit der Heiligen gebetet haben und von den besonderen Qualitäten dieser jahrhundertealten Liturgie zu profitieren. Aber wir können uns auf verschiedenen Wegen aus der Ferne nach der alten Liturgie ausstrecken, zum Beispiel, indem wir Teile des alten römischen Breviers oder der monastischen Tagzeitenliturgie beten, täglich mit dem Missale meditieren, die Messtexte beten und durch gelegentliche Besuche in einem Kloster oder einer Gemeinde, in der die traditionelle lateinische Messe angeboten wird – als eine Art Retreat von der geschäftigen Welt des Ordo novus. Natürlich feiern in der Coronazeit viele die Liturgie an den Bildschirmen mit. Und auch wenn dies weit davon entfernt ist, ideal zu sein, kann es die Sehnsucht nach meditativem und kontemplativem Gebet nähren.

Würden Sie angehende Priester ermutigen, beide Riten zu studieren?

Auf jeden Fall! Wenn der usus antiquior ein römischer Ritus ist – und das ist er fraglos und zwar sowohl historisch als dank Summorum Pontificum auch kirchenrechtlich, dann sollte jeder geweihte Priester der lateinischen Kirche in der Lage sein, den römischen Ritus anzubieten und zwar in seiner kompletten Form, nicht nur partiell oder, wie es vorkommt, in einer verstümmelten Form. Das wäre, wie wenn man nur auf einem Bein laufen oder nur mit einem Arm boxen würde. Davon abgesehen empfindet jeder Priester, den ich kenne, der den alten Ritus anbietet, diesen als eine wunderbare Bereicherung für sein Gebetsleben, den Sinn für seine priesterliche Identität und seinen pastoralen Dienst. Er bringt neue Möglichkeiten der Evangelisation ans Licht, auch wenn dies nicht sein primäres Ziel ist.

"Der reformierte Ritus erinnert stark an das lutherische oder calvinistische Eucharistieverständnis"

Gibt es eine Verbindung zwischen dem schwindenden Glauben an die Transsubstantiation und der nachkonziliaren Liturgie?

Ich fürchte ja. Der klassische römische Ritus, der sich über so viele Jahrhunderte entwickelt hat, erfordert zahlreiche und sehr verschiedene Gesten der Anbetung und der Sorgfalt gegenüber dem Sakrament, gerade weil es nicht einfach eine Sache ist, sondern unter den Zeichen von Brot und Wein eine der göttlichen Personen wahrhaft gegenwärtig ist. Die Liturgiereform hat diese Gesten äußerst stark reduziert und andere, nun zur Gewohnheit gewordene Praktiken eingeführt, die suggerieren, dass wie es mit gewöhnlichem Essen und Trinken zu tun haben, dem wir eine neue, symbolische Bedeutung geben. Der reformierte Ritus erinnert stark an das lutherische oder calvinistische Eucharistieverständnis.

Wie würden Sie den Unterschied zwischen der nachkonziliaren Tagzeitenliturgie und der traditionellen Form beschreiben?

Das traditionelle heilige Offizium ist eine gewichte Angelegenheit. Es hat eine Breite, Tiefe, und Dichte, die aus der Wiederholung des Psalters innerhalb einer Woche ebenso resultiert wie aus der wechselnden Struktur der großen und kleinen Horen (sieben am Tag, eine in der Nacht), aus der engen Verwobenheit des Offiziums mit der Messe und der intellektuellen Leuchtkraft und Stringenz der lateinischen Gebete und Hymnen. Auf diese Weise formt es das innere Leben des Priesters und derjenigen, die es beten. Die moderne Tagzeitenliturgie wurde aufgrund ihrer Kürze einmal satirisch als „die Liturgie der Minuten“ bezeichnet.

„Die moderne Tagzeitenliturgie war der Todeskuss für das tägliche Gebet der Geistlichen“

Warum?

Sie zeigt die typische moderne Architektur, der es an Ornamentik und Subtilität fehlt und in der immerfort dieselben Strukturen wiederholt werden: erst der Hymnus, dann die Psalmen etc., was ermüdend ist. Tatsächlich ist es schwer, sie ernst zunehmen und das ist der Grund, warum es für die modernen Kleriker schwerer zu sein scheint, ihrer Verpflichtung nachzukommen, diese leichtgewichtige Liturgie zu beten als es für die Priester der früheren Zeiten war, das weitaus mehr fordernde Brevier zu beten. Und ich berühre hier noch nicht einmal den Punkt, was mit einer Gemeinschaft von Mönchen und Nonnen geschah, die ihr tägliches Gebet mit den unvergleichlichen Gregorianischen Melodien aufgegeben haben. Das war der Todeskuss.

Gibt es eine Verbindung zwischen der heute geringeren Aufmerksamkeit für die Heiligen und Engel und der Liturgie?

Wenn Menschen beginnen, den klassischen römischen Ritus zu besuchen ist eines der Dinge, die sie am meisten überrascht, wie heiligenzentriert er ist. Mit anderen Worten: der Heiligenzyklus ist weitaus präsenter. Es gibt mehr als 300 Heilige mehr im traditionellen Generalkalender als im Ordo novus, viele von ihnen werden an Festen kommemoriert. Der Heilige des Tages bestimmt den ganzen „Tenor“ der Messe, vom Introitus bis zur Postcommunio.

Was bewirkt das?

Man hat ein starkes Gefühl für die Präsenz der Heiligen als Fürsprecher und Beispiele, die uns Christus in ihrer eigenen Person zeigen und die über sich hinaus den Weg zu ihm weisen. Fern davon, eine Ablenkung zu sein, verstärkt diese Heiligenzentriertheit die Fülle Christi, indem sie seine Vollkommenheit zeigt, gebrochen im Prisma der verschiedenen Formen der Heiligkeit. Die Heiligen zu ehren, besonders die Mutter Gottes, lässt Christus umso mehr als Herrn aller hervortreten, nicht als kumpelhaften Bruder. Dasselbe kann man von den Engeln sagen, für die es viel mehr Festtage im alten Kalender gibt und die sehr viel häufiger in der Texten der Messe erscheinen. Wir müssen zu einer Liturgie zurückkehren, die als makelloser Spiegel den biblischen Kosmos reflektiert, gefüllt mit Engeln und Dämonen, mit Heiligen in der Herrlichkeit und Sündern, die der Umkehr und der Heiligung bedürfen. Das ist es, was die traditionellen liturgischen Riten des Westens und Ostens uns anbieten.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Barbara Stühlmeyer Gregorianischer Gesang Jesus Christus Kirchenrecht Liturgiereformen Martin Luther Päpste

Weitere Artikel

Kirche

Über den Teufel wird in Kirchenkreisen nur ungern gesprochen. Doch wo der christliche Glaube schwindet, wächst das Grauen.
13.04.2024, 11 Uhr
Regina Einig