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Franziskaner: Ursprung im deutschsprachigen Raum

Wie das Pfingstfest die Franziskaner zu einer mutigen Entscheidung antrieb: Vor 800 Jahren beschlossen die Franziskaner ihre Sendung über Italien hinaus zu öffnen. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten gaben die Mönche ihr Ziel nicht auf, die Länder geschwisterlich zu prägen. Was von dem Aufbruch für heutzutage zu lernen ist.
Honorius III. und Franz von Assisi
Foto: wikipedia | Franz von Assisi predigt vor Papst Honorius III. (1148-1227). Er ging in die Kirchengeschichte ein als der Papst, der die Ordensregeln der Franziskaner bestätigte. Das Fresko stammt von Giotto di Bondone.

Im Jahr 1221 fasste die Bewegung des Franz von Assisi nördlich der Alpen Fuß. Dreißig Brüder kamen über den Brennerpass und verteilten sich in Teams auf Städte zwischen Salzburg und Köln. Sechzig Jahre später wies unser Kulturraum bereits vier blühende Ordensprovinzen auf: Süddeutschland und das Rheinland zählten je vierzig städtische Klöster, Norddeutschland siebzig und Österreich zwanzig Konvente. Was brachten die ersten Brüder damals neu in die Kirche und Gesellschaft Europas ein? Wie erklärt sich ihr Erfolg? Und wie steht es um das franziskanische Charisma heute?

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Franz von Assisi greift in Kreuzzug ein

Im Mai 1209 steht Franziskus mit elf Gefährten vor dem mächtigsten Papst des Mittelalters. Keiner dieser ersten Brüder ist Priester oder Theologe, und dennoch erlaubt ihnen Innozenz III., wie die Jünger Jesu zu leben und das Evangelium „urbi et orbi“ zu verkünden – in Rom und weltweit. 1217 versammeln sich bereits 3 000 Brüder zum Pfingstfest in Assisi und beschließen, ihre Sendung über Italien hinaus zu öffnen. Gruppen ziehen übers Mittelmeer nach Frankreich, Spanien, Tunesien und Syrien: ein Aufbruch in alle vier Himmelsrichtungen, ermutigt von Jesu Verheißung, dass viele aus Ost, West, Nord und Süd kommen werden, um im Reich Gottes zu Tische zu sitzen (Lk 13).

Doch es fehlt den Brüdern an Sprachkenntnissen, grundlegend für den Dialog mit anderen Kulturen. Franz selbst macht 1219 eine bahnbrechende Erfahrung in Ägypten, wo er in den Kreuzzug eingreift und die Freundschaft von Sultan al-Kamil gewinnt. Mit ihrer friedfertigen Art des Dialogs werden Franziskaner die einzigen Lateiner, die im Nahen Osten durch all die Jahrhunderte islamischer Herrschaft präsent bleiben und die Lebensorte Jesu im Heiligen Land hüten dürfen.

Brüder verprügelt und verjagt

In jenem Sommer 1219, als Franz zur Friedensmission in den Orient reiste, brachen sechzig Brüder nach Deutschland und Ungarn auf. Ihre Mission scheiterte kläglich, weil keiner dieser Italiener deutsch oder ungarisch sprach. Da die Lombardei als Tummelplatz der Ketzer galt, wurden die Brüder in ihren ärmlichen Kutten verprügelt und nach Süden zurückgejagt. Zwei Jahre später gelingt es Franz, Ängste vor der „Wildheit der Deutschen“ abzubauen. Sein Aufruf zu einem zweiten Missionsversuch erinnert an die germanischen Pilgerscharen, die auch bei größter Sommerhitze schwitzend und betend durch Italien ziehen, um die Gräber der Apostel zu besuchen. Es finden sich darauf zwei Dutzend Brüder, die – zu allem entschlossen – aufbrechen wollen.

Franz hat in Syrien Cäsar von Speyer als Gefährten gewonnen, der mit ihm nach Italien zurückgekehrt ist, als Bibelgelehrter die Redaktion der Ordensregel unterstützt hat und sich bereit erklärt, die Mission in seine Heimat anzuführen. Er lässt seiner Gruppe, zu der fünf Deutsche gehören, drei Monate Zeit, um sich von ihren Liebsten und den Gefährten in Italien zu verabschieden, bevor sie sich in Neuland wagen.

Reicher Bürger schließt sich an

Als sich die Brüder Ende September 1221 am Alpensüdrand sammeln, verflüchtigen sich die Ängste vor den Barbaren im Norden bald. In Trient kleidet sie ein reicher Bürger in wärmere Kutten, um sie für das alpine Herbstklima in den Bergen und den Winter im Norden zu rüsten. Der Gönner namens Peregrin schließt sich den Brüdern dann selber an, nachdem er seinen Besitz an die Armen verteilt hat. Unterwegs lassen die Ortsbischöfe sie in den zweisprachigen Regionen von Bozen und Brixen predigen.

Als die Teams nördlich des einsamen Brennerpasses ausgehungert in Tirol eintreffen und dem Inn folgen, erfahren sie erneut offene Gastfreundschaft „in Dörfern, Burgen und Klöstern, bis sie Augsburg erreichten“. So hält es Jordan von Giano fest, der aus dem Tal von Assisi stammte, die ersten vier Jahrzehnte in Deutschland miterlebte und darüber eine Chronik verfasste.

Keine Christianisierung

Cäsar versammelt in Augsburg am 16. Oktober 1221, dem Gallustag, dreißig Brüder um sich: Unterwegs haben sich der Gruppe sechs weitere Gefährten angeschlossen, unter ihnen deutschsprachige Tiroler. Cäsar lässt kleine Gruppen nach Osten und Norden weiterziehen: zu Fuß nach Salzburg und nach Regensburg. Einige Brüder bleiben in Augsburg und die anderen begleitet Cäsar bis Würzburg. Eine Gruppe bleibt in Franken und die anderen erreichen noch vor Wintereinbruch den Rhein, wo sie sich bei Hospitälern vor den Toren von Mainz, Worms und Speyer niederlassen. Den längsten Weg legen die zwei Teams zurück, die von Augsburg aus 500 Kilometer bis Straßburg und bis Köln wandern.

Im Gegensatz zu den irischen Wandermönchen in Franken oder Bonifatius‘ benediktinischer Germanenmission fanden die frühen Franziskaner kein Missionsland vor, das es zu christianisieren galt. Am Rhein trafen sie auf die prachtvollen romanischen Kaiserdome von Worms, Speyer und Mainz, und bald darauf ließ das Zeitalter der Gotik auch in Deutschlands Städten lichtdurchflutete Kathedralen zum Himmel streben.

Ziel: Auflösung der Ständegesellschaft

Die Franziskaner kamen jedoch als Boten einer geschwisterlichen Kirche in unseren Kulturraum. Sie forderten sowohl die alte Feudalgesellschaft heraus, die Adel, Klerus und Bauernfamilien strikt in drei Stände trennte, wie die neue bürgerliche Kultur, die zwischen Stadt und Land, Besitzenden und Armen, Mitbürgern und Fremden unterschied. Die Brüder verbanden im eigenen Kreis, was Gesellschaft und Kirche trennte: Adelige, Bürger und Bauern, Laien und Priester, und ihre Bewegung überwand auch alle nationalen und kulturellen Grenzen. Adelige Bischöfe und reiche Abteien wurden durch die bettelarmen Franziskaner an die Lebensweise Jesu erinnert, dessen Jünger mit leeren Händen durchs Land zogen, Ausgeschlossene integrierten, Bedrückte aufrichteten und Gottes Nähe mitten im Alltag der Dörfer und Städte erfahrbar machten.

Franziskus‘ Bewegung nahm auch nördlich der Alpen schnell geschwisterliche Züge an. In Dillingen wurden 1241 Beginen zu städtischen Franziskanerinnen. Ihrem Beispiel folgten bald neue Gemeinschaften wie das Kloster Maria Stern in Augsburg. Zahlreiche Schwesternkongregationen, die im Zeitalter der Industrialisierung schulisch und sozial tätig wurden, sind ebenfalls Franziskanerinnen. Mit Elisabeth von Thüringen verbündet sich 1223 eine erste prominente Familienfrau mit den Franziskanern. Sie wird Patronin des franziskanischen Weltordens, dessen Mitglieder dasselbe Charisma mit Familie und Beruf mitten in der Gesellschaft leben. Schwestern, die nach Klaras Vorbild in kontemplativen Klöstern wirken, haben sich die Nürnberger Klarisse Caritas Pirckheimer zur Patronin ihrer deutschen Föderation erwählt.

Mission immer noch aktuell

Während die Mitgliederzahl der drei franziskanischen Orden heute schwindet, verbinden sich Gruppen engagierter Familienleute und Unverheirateter deutschlandweit im Netzwerk „Vivere“. Nicht nur ein Papst, der Franziskus‘ Vorbild folgt, sondern auch Aufbrüche wie diese zeigen die Aktualität der franziskanischen Mission: Kirche und Gesellschaft geschwisterlicher zu prägen.

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