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József Mindszenty: Widerstandskämpfer, Held und vielleicht Heiliger

Wird der ungarische Bekenner-Primas, Kardinal József Mindszenty, selig gesprochen? Nicht nur Ungarns Katholiken warten darauf.
Prozeß gegen Kardinal Jozsef Mindszenty
Foto: - (dpa) | Am 04.02.1949 wurde Kardinal Jozsef Mindszenty (mitte) vor dem Volksgerichtshof in Budapest zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt.

Zu den überragenden Gestalten der an Helden und Heiligen reichen ungarischen Zeit- wie auch Kirchengeschichte zählt Kardinal József Mindszenty. 1892 als József Pehm geboren und in der Habsburger-Monarchie aufgewachsen, wurde er zur Symbolgestalt des ungarischen Widerstands gegen jede Form des religionsfeindlichen Totalitarismus. Als Bischof von Veszprém protestierte er 1944 gegen die Verhaftung und Deportation der Juden durch die deutschen Besatzungstruppen. Im November 1944 wurde er zusammen mit 26 Priestern und Theologiestudenten von der mit den Nazis kollaborierenden Regierung inhaftiert. Mit der gleichen Leidenschaft stemmte sich Kardinal Mindszenty nach der Besetzung Ungarns durch Stalins Rote Armee gegen die Willkürherrschaft der Kommunisten: Als Erzbischof von Esztergom und Primas von Ungarn – traditionell die höchste ungarische Autorität nach dem König – prangerte er die Unterdrückung der Kirche durch die Kommunisten an und warf den sowjetischen Besatzern vor, den Aufbau des Landes zu verhindern. Gegen die Vertreibung der Deutschen aus Ungarn protestierte er ebenso wie gegen die Vertreibung der Ungarn aus der Slowakei.

Verhaftet, gefoltert und abgeurteilt

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Die Repressionen der von Moskau gesteuerten Kommunisten gegen die ungarische Kirche wuchsen: Kirchliche Vereine wurden verboten, der Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen abgeschafft, tausende katholische Schulen verstaatlicht. Priester wurden terrorisiert und verhaftet, Kollaborateure in die Kirche eingeschleust. Die Kirche wurde enteignet, ihre Verwaltung unter staatliche Aufsicht gestellt. Am 26. Dezember 1948 wurde Kardinal Mindszenty verhaftet, wochenlang gefoltert und sogar unter Drogen gesetzt. In einem Schauprozess wurde er schließlich im Februar 1949 wegen versuchten Umsturzes, Spionage und Devisenvergehen zu lebenslanger Haft verurteilt.

Im Verlauf des Ungarischen Volksaufstands wurde der Primas von Ungarn 1956 von Soldaten aus dem Gefängnis befreit und im Triumphzug nach Budapest zurückgebracht. Als jedoch die Rote Armee und Truppen des Warschauer Pakts in Budapest einmarschierten, floh Mindszenty in die dortige US-amerikanische Botschaft, wo er bis 1971 Asyl finden sollte. Anfang der 1970er Jahre drängten nicht nur die Amerikaner, die um ein Ende des Kalten Kriegs bemüht waren, sondern auch das vatikanische Staatssekretariat darauf, Mindszenty möge Ungarn verlassen und in den Westen ausreisen. Nach zähen Verhandlungen um die Ausreisebedingungen wurde er auf Vermittlung des Wiener Kardinals Franz König am 28. September 1971 von Nuntius Opilio Rossi nach Wien gebracht.
Nicht in Rom, sondern in Wien verlebte Kardinal Mindszenty sein nicht ganz freiwilliges Auslandsexil. Trotz vielfacher Proteste der kommunistischen Regierung Ungarns predigte er vor Exil-Ungarn in aller Welt und publizierte 1974 – ungeachtet aller vatikanischer Bedenken – seine Erinnerungen.

Als Erzbischof seines Amtes enthoben

Gegen seinen eigenen Protest wurde er Anfang 1974 als Erzbischof von Esztergom des Amtes enthoben – aus pastoralen Gründen, nämlich weil dem Vatikan ein modus vivendi mit der ungarischen Regierung wichtiger schien als Gerechtigkeit für den Bekenner-Kardinal. Am 6. Mai 1975 starb Kardinal Mindszenty in Wien und wurde, seinem Wunsch entsprechend, in der steirischen Wallfahrtsbasilika von Mariazell beigesetzt. Laut seinem Testament sollte sein Leichnam erst nach Esztergom überführt werden, „wenn der Stern der Moskauer Gottlosigkeit vom Himmel Mariens und des heiligen Stephans fällt“. Eben dies erfolgte am 4. Mai 1991.

Posthum wurde Kardinal Mindszenty rehabilitiert; alle Urteile gegen ihn wurden aufgehoben. Mit der Zuerkennung des heroischen Tugendgrads am 12. Februar 2019 begann – nach einem Vierteljahrhundert akribischen Studiums seines Lebens – auch die vatikanische Würdigung des großen Ungarn.
Diakon Gergely Kovács, der Vizepostulator des Verfahrens, sieht im Gespräch mit der „Tagespost“ in Budapest darin „eine wichtige Station im Verfahren zur Seligsprechung“. Die Untersuchung des Lebens sei nun abgeschlossen. „Für viele war die Frage, ob Kardinal Mindszenty nur ein nationaler Held war oder auch ein Heiliger. Dieses Dekret hat es entschieden. Es ist wie eine Hymne.“

Eine bestimmte Form des Martyriums

Nun fehlt, wie der heutige Erzbischof von Esztergom-Budapest und Primas von Ungarn, Kardinal Péter Erdö, und Vizepostulator Kovács dieser Zeitung bestätigen, nur noch ein anerkanntes Wunder. Die in Budapest ansässige Mindszenty-Stiftung beschäftigt sich damit und mit der Förderung der Verehrung des legendären Bekenner-Kardinals.

Zwei bisher der Fürsprache Mindszentys zugeschriebenen Wunder – eines in Frankreich, das andere in Ungarn – seien im Vatikan nicht anerkannt worden, berichtet Kovács. „Wir bekommen Berichte von Heilungen, und wenn es scheint, dass sich eines zu untersuchen lohnt, lassen wir es in der Diözese prüfen. Gleichzeitig wachse die Verehrung. „Sogar in Nigeria wurde eine Gemeinschaft zur Verehrung Mindszentys gegründet. Viele Leute bitten um seine Fürsprache.“
Für undenkbar hält der Vizepostulator, dass die ersehnte Seligsprechung beim Besuch von Papst Franziskus am 12. September in Budapest– im Rahmen des Internationalen Eucharistischen Kongresses also – stattfindet. Nicht nur wegen des fehlenden Wunders, sondern auch, weil zeitgleich in Warschau der nicht minder prominente polnische Primas, Kardinal Stefan Wyszynski, seliggesprochen wird.

Viele Ungarn sehen in Mindszenty längst einen Märtyrer, und dies, obwohl viel Zeit zwischen seiner Kerkerhaft und seinem Tod liegt. „Es war eine bestimmte Form des Martyriums, die hier untersucht wurde“, sagt Kovács. Der Kardinal-Primas sei ja im Gefängnis gefoltert worden, und später an den durch Folter verursachten Herzproblemen gestorben. „Die Todesursache war ein Herzinfarkt, und diese Probleme begannen in den Gefängnisjahren.“
Die zuständige römische Kongregation habe jedoch entschieden, das Verfahren nicht zu ändern: Und  so sei Kardinal Mindszenty als Bekenner zu behandeln, nicht als Märtyrer.

Sein Buch stand im Gegensatz zu der offiziellen Ostpolitik des Vatikans

Mit Blick auf das Exil und die Amtsenthebung Mindszentys wirbt der Vizepostulator im Gespräch mit dieser Zeitung um Verständnis für die vatikanische Position. Die historische Forschung habe zuletzt „neue Aspekte gefunden, die das Vorgehen des Vatikans in ein neues Licht rücken“.
1971 habe der Primas Ungarn verlassen, weil der Vatikan, die Amerikaner und der ungarische Staat es wollten, doch „am Ende wollte es auch der Kardinal, und das nicht nur aus Gehorsam“. Er habe gewusst, dass die Ausreise die einzige Möglichkeit war, seine Lebenserinnerungen zu veröffentlichen. „Die Publikation der Memoiren war für ihn sehr wichtig, um die Aufmerksamkeit der Welt auf die Lage der ungarischen Kirche zu lenken.“

Später sei dieses Buch die wichtigste Ursache für die Amtsenthebung als Primas von Ungarn und Erzbischof von Esztergom gewesen: Papst Paul VI. habe Mindszenty mit Blick auf die pastorale Lage in Ungarn gebeten, sein Buch nicht zu publizieren. Im Fall der Amtsenthebung, so habe der Papst damals argumentiert, sei Mindszenty jedoch frei, über die Publikation selbst zu entscheiden. „Das Buch stand im Gegensatz zur offiziellen Ostpolitik des Vatikans“, erklärt Kovács. Er findet: „Auch heute kann ein Erzbischof nicht eine gegenteilige Meinung zum Vatikan äußern.“
Die meisten Ungarn würden Kardinal Mindszenty heute nicht einfach als einen antikommunistischen Helden betrachten, sondern als einen Helden im Kampf für Religionsfreiheit, christliche Werte und europäische Traditionen. Ihn persönlich habe allerdings die Treue des Primas am meisten beeindruckt, sagt Kovács.

Nichts konnte seine Treue zum Papst erschüttern

Im Vorzimmer des stellvertretenden Regierungschefs, Zsolt Semjén, steht eine Mindszenty-Statue auf dem Schreibtisch der Sekretärin. Der Vizepremier selbst meint im Interview mit der „Tagespost“, der Primas sei stets „ein Kompass“ gewesen: „In der NS-Zeit stand er zu den verfolgten Juden und gegen die Nazis. Dafür wurde er inhaftiert. Später stand er gegen die kommunistische Diktatur.“
Das Beispiel des Lebens von Mindszenty zeige, „dass er stets gemäß der christlichen Tradition die richtige Richtung fand: gegen den jeweiligen Mainstream, für Gott, Heimat und Kirche“. Semjén merkt an, Mindszenty sei „dem christlichen Erbe auch dann treu geblieben, als die Kirche ihn unfair behandelt hat“. Der Kardinal sei „im Zeichen der vatikanischen Ostpolitik geopfert“ worden, „aber nicht einmal das konnte seine Treue zum Heiligen Stuhl erschüttern“. Das Fazit des katholischen Politikers lautet: „Darum ist er ein Märtyrer und ein Heiliger – und ich bete, dass das von Rom bald anerkannt wird.“

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