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Unter Frauen

Maria 2.0 versteht sich als logische Antwort auf den Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche. Mehr Gleichheit, mehr Demokratie - statt Patriarchat und verkrustete Strukturen. Selbst Gott wird ein Schüler kluger Frauen. Eine Kurzreportage
Bebelplatz und St. Hedwigs-Kathedrale
Foto: Lisa Ducret (dpa) | Eine Manifestation des Klerikalismus war noch nie so grau und harmlos, wie die jüngste der Bewegung "Maria 2.0" auf dem Berliner Bebelplatz.

Nieselregen benetzt den Bebelplatz. Vor grauem Nebelschleier erheben sich Kolonnaden und Kuppel der Berliner Hedwigskathedrale. Holzplatten versiegeln eine Seitentüre. Ein Plakat auf dem Hauptportal verkündet den Umbau. Die Messe findet in Sankt Joseph statt. Es ist eine Kirche ohne Messe am Sonntagmorgen.

Wie zum Trotz tummeln sich Regenschirme auf dem Platz. Vornehmlich Frauen haben sich eingefunden. Vornehmlich jenseits der 50 Jahre. Zwar gibt es auch junge Frauen und Männer, aber ein gewisses Schema zeichnet sich ab. Es sind vielleicht 80 Personen, die sich auf einen Gottesdienst vorbereiten. Einen Gottesdienst ohne Priester. Das ist nicht ungewöhnlich unter Evangelikalen. Aber die Veranstalter sind katholisch.

80 Personen bereiten sich auf einen Gottesdienst ohne Priester vor

Angelika Plümpe erhebt die Stimme. Die Endsechzigerin mit silbrigem, kurzen Haar und feinen Lachfalten übernimmt die „liturgische Leitung“ der wortgottesdienstähnlichen Veranstaltung. Plümpe ist stellvertretende Sprecherin der katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (KFD). Sie ist eine Leitfigur von „Maria 2.0“ in Berlin und Brandenburg.

Vor der eigentlichen Zeremonie verliest sie die Forderungen der Organisation. Missbrauchsfälle in der Kirche müssten an weltliche Gerichte delegiert, der Zölibat abgeschafft und die Sexualmoral an heutige Lebensumstände angepasst werden. Die Ungleichbehandlung von Frauen sei „unbiblisch“. Frauen müssten stattdessen „Zugang zu allen kirchlichen Ämtern“ haben. Plümpe beendet den Vortrag mit einem Aufruf zu einer Petition an die Bischöfe.

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"Aller unterdrückter Frauen" gedenken

Es folgen Flöten- und Gitarrentöne. Die Anhänger von Maria 2.0 singen „Sonne der Gerechtigkeit“. Im Nieselregen zittert ein kleiner Hund, schmuddelig geworden im Herbstwetter. Die Fernsehkamera des Rundfunks Berlin-Brandenburg umtänzelt die kleine Schar im Kreis. Wo in einem Gottesdienst sonst das Schuldbekenntnis folgt, ruft die Leiterin dazu auf „innezuhalten“ und „aller unterdrückter Frauen“ zu gedenken.

Den Höhepunkt bildet das Evangelium. Es ist keine Tageslesung, sondern eine Passage, sorgfältig für den Anlass ausgewählt: Christus und die Griechin aus Syrophönizien (MK 7,24-30). Das Halleluja davor und danach rahmt es ein. Die folgende Predigt hat dagegen rein weltliche Töne. Jesus macht Unterschiede: ein Hund soll nichts vom Brot der Kinder essen. Das – so sagt die Sprecherin – hat sie früher „sehr geärgert“. Christus selbst, der die Menschen in Gruppen teilt. Deswegen ist es auch nicht der Gottessohn, der hier Lehrer sei, sondern die Frau. Sie ist beständig. Sie argumentiert. Weil sie Jesus überzeugt, sieht es dieser ein, ihre Tochter vom Dämon zu erlösen. Die Schlussfolgerung: eine Begegnung „auf Augenhöhe“, das Ende einer „religiösen, nationalistischen“ Sicht, eine Auflösung von „Gruppenbeziehungen“ durch Argumente. Wenn der Heiland lernfähig ist, „dann auch die Kirche“. Und weiter: „Niemanden wird etwas weggenommen.“

Emotionen, die haben immer nur die anderen

Der Satz ist im politischen Deutschland nicht unbekannt. Er fiel in der Flüchtlingskrise, er fiel bei Einführung der Homo-"Ehe". Jetzt fällt er auf dem Bebelplatz. Die Fürbitten gehen in eine ähnliche Richtung. Bitte für Widerverheiratete, Bitte für Schwule, Bitte für alle, die keinen „heteronormativen Lebensstil“ pflegen, Bitte für alle, die „von dieser Kirche“ diskriminiert werden. Und: Fürbitten für diejenigen, „die sich an Traditionen klammern, die Angst vor Veränderungen haben“. Emotionen, die haben immer nur die anderen.

Was Thomas von Aquin und Johannes Paul II. zu solcher Gefühligkeit gesagt hätten? Sie sind leider nicht da. Erzbischof Heiner Koch muss sie im anschließenden Treffen im Kulturforum vertreten. Der beschwichtigt: das sei alles keine Machtfrage. Mannsein und Frausein habe seinen Sinn. Die freundlichen Worte stoßen nicht überall auf offene Ohren. Die Runde murmelt vor sich hin. „Abziehbild“, empört sich eine Aktivistin, als er auf die Probleme mit den Orthodoxen hinweist, die sich gegen die Frauenweihe wehren. Da ist sie noch, dieses alte, weiße, männliche Patriarchat in seiner provokativen Zivilkleidung, immer noch entkoppelt vom Kirchenvolk. In Wirklichkeit war eine Manifestation des Klerikalismus noch nie so grau und harmlos.

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