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Notre-Dame soll 2024 wieder ihre Pforten öffnen

Die Pariser Kathedrale Notre-Dame soll 2024 wieder ihre Pforten öffnen. Nun beginnt die eigentliche Restaurierung. Ein Besuch am Ort des Geschehens.
Restaurierung der Pariser Kathedrale Notre-Dame
Foto: patrick zachmann / Magnum Photos / Agentur Focus (www.xxpool.de) | Schwindelfrei arbeitet es sich in Notre-Dame am besten: Hier befreien Industriekletterer die Kathedrale von dem alten Gerüst, das in der Brandnacht mit dem Spitzturm zerstört wurde.

Das Schrillen der Säge ist schon von weitem zu hören. Die Rue du Cloître Notre-Dame, die durch das Domviertel führt, vibriert förmlich unter dem Dröhnen der Bohrer und Maschinen. Erst auf der Seinebrücke Quai de l'Archevêché beruhigt sich der Geräuschpegel. Ein Containerdorf von respekteinflößenden Ausmaßen dämmt den Lärm zwischen der Apsis des eingerüsteten Gotteshauses und den Passanten. In luftiger Höhe rahmt der Schwenkarm eines Krans die Silhouette der Kathedraltürme ein.

Seit dem Brand am 15. April 2019 ist im Pariser Kathedralviertel nichts mehr wie zuvor. Ein Trauma für manch einen Feuerwehrmann, der im herabregnenden Staub der mehr als 460 Bleischindeln des Kirchendachs gegen die Flammen kämpfte. Ein Heldenepos für andere. Geradezu ehrfürchtig erwähnen Kirchgänger den Küster, der in der Brandnacht geistesgegenwärtig den Sicherheitscode für den Safe, in dem Leidenswerkzeuge Christi aufbewahrt werden, parat hatte. Die Rettung der berühmten Passionsreliquien gelang, obwohl der für den Safe verantwortliche Mitarbeiter vor Aufregung die Zahlenkombination vergessen hatte. Inzwischen sind die von König Ludwig dem Heiligen (1214-1270) nach Paris gebrachten Reliquien - dazu gehören die Dornenkrone sowie ein Nagel und ein Stück Holz vom Kreuz Christi - im Louvre deponiert worden. 

Die offene Wunde von Notre-Dame

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Was in Notre-Dame beweglich war, ist in Sicherheit gebracht worden. Ein 27 Meter hoher Gerüstwall versperrt dem Betrachter im Inneren des weitgehend ausgeräumten Gotteshauses den Blick auf Gewölbe und Pfeiler des Kirchenschiffs. In der Vierung ist ein Regenschutz aufgespannt, um das Mauerwerk vor Feuchtigkeit zu schützen. Über dem Gerüst klafft in luftiger Höhe die offene Wunde von Notre-Dame: das beim Einsturz des Spitzturms entstandene Loch im Dach der Kathedrale. Als Bischofskirche dient Erzbischof Michel Aupetit derzeit Saint-Germain-l'Auxerrois im I. Pariser Arrondissement. Große Feierlichkeiten wie jüngst die Priesterweihe finden in der Kirche Saint-Sulpice statt, die mehr Gläubigen Platz bietet.

Im Vorfeld des französischen Nationalfeiertags am 14. Juli ist auf der größten Baustelle von Paris die Erleichterung spürbar. Die erste Phase des Wiederaufbaus von Notre-Dame ist abgeschlossen. Nach gut zwei Jahren Arbeit, in denen die Sicherung des Gebäudes und seiner einsturzgefährdeten Gewölbeteile im Mittelpunkt stand, beginnt nun die eigentliche Restaurierung. Dringend gesucht wird qualifiziertes Personal. 

Die Sanierung von Notre-Dame verlangt allerdings mehr als kunsthistorische und architektonische Fachkompetenz. Gebraucht werden Gespür für die Heiligkeit des Ortes und körperliche Fitness. Schon die Sicherung der Kathedrale hatte den Architekten Rémi Fromont und Pascal Prunet, die dem leitenden Architekten Philippe Villeneuve assistieren, einen Lehrgang im Klettern abverlangt. Um Brandschäden im Gewölbe aus nächster Nähe begutachten zu können, mussten sie sich mithilfe von Industriekletterern an den Ort des Geschehens begeben. 

Neue Erkenntnisse über die Baugeschichte der Kathedrale?

Man erhofft sich von der Sanierung in den nächsten drei Jahren neue Erkenntnisse über die Baugeschichte der Kathedrale. Dafür wurde tonnenweise Schutt gesichtet. Was an Holz- und Steinpartikeln sowie Metallstücken noch brauchbar sein könnte, ist inventarisiert. Die mühsame Handarbeit paart sich mit einem anspruchsvollen wissenschaftlichen Projekt, das vom Nationalen Zentrum für Wissenschaftsforschung (CNRS) in Zusammenarbeit mit dem französischen Kulturministerium durchgeführt wird: Eine 3-D-Aufnahme von Notre-Dame, die jeden Winkel der Kathedrale detailliert abbildet und die gotische Architektur faktisch gläsern werden lässt: Sämtliche Informationen, die über die Baugeschichte vorhanden sind, sollen hier gespeichert werden. Zugleich stoßen die Arbeiter an die Grenzen der Technik. Als kürzlich der gut 55 Tonnen schwere Transformator, der die Baustelle mit Strom versorgt, ausgetauscht wurde, benutzte man, wie im Mittelalter, die Seine als Transportweg zur Baustelle. Die Brücken der Kathedralinsel hätten der Last nicht standgehalten.

Sichtbares Zeichen des Wiederaufbaus wird der 96 Meter hohe Spitzturm, dessen Vorgänger beim Brand vollständig vernichtet wurde. Nach einigem Hin und Her hat der französische Staat, der als Bauherr für die Restaurierung verantwortlich ist, den originalgetreuen Nachbau des ursprünglich hölzernen Turms beschlossen. Dessen Architekt Eugène Viollet-le-Duc hatte 1859 exakte Baupläne hinterlassen. Die zu diesem Zweck eigens geschlagenen tausend Eichen trocknen nun, bis der Feuchtigkeitsgehalt auf unter dreißig Prozent sinkt.

Eine kunsthistorisch höchst anspruchsvolle Aufgabe wartet in den 24 Kapellen von Notre-Dame auf Handwerker und Künstler. Bis Januar entstand ein genauer Reinigungs- und Restaurationsplan, für den Tests in den Kapellen Saint Ferdinand und Notre-Dame des Guadalupe als Grundlage dienten. Nun sollen Statuen und Bilder wieder instand gesetzt werden ohne über das, Restaurierungsziel hinauszuschießen. Daneben nimmt sich die Reinigung der ausgelagerten Chorfenster eher als Routinevorgang aus.   

Hauptorgel blieb vom Feuer verschont

Als eigene Baustelle innerhalb des Großprojekts Notre-Dame gilt die Sanierung der aus dem 18. Jahrhundert stammenden Hauptorgel. Sie war erst fünf Jahre vor dem Brand restauriert worden und blieb vom Feuer verschont. Mit mehr als achttausend Pfeifen, 115 Registern und fünf Manualen ist sie die größte Orgel Frankreichs. Bis auf wenige überdimensionale Orgelpfeifen sind inzwischen fast alle Pfeifen und die Spieltische ausgebaut worden. Das sperrige Orgelgehäuse steht noch an seinem angestammten Platz. Seine bei den Löscharbeiten entstandenen Wasserschäden gelten als überschaubar. Allerdings haben der Bleistaub und extreme Temperaturschwankungen dem Instrument zugesetzt.

Bis zur Wiedereröffnung 2024 will Erzbischof Aupetit Notre-Dame zu besonderen Anlässen auch liturgisch nutzen. Der Blick durchs symbolische Schlüsselloch in das Innere der Kathedrale dürfte nicht zuletzt für die 340.000 Spender aus aller Welt interessant sein. Für die Restaurierung von Notre-Dame liegen Spenden beziehungsweise verbindliche Zusagen in Höhe von 830 Millionen Euro vor. Darunter sind Firmen wie American Express oder The Walt Disney Corporation. Es ist eine Frage der nationalen Ehre, hier nicht zurückzustehen: Die französische Unternehmerfamilie Arnault, die den Luxusgüterkonzern LVMH führt, will für ihre 200-Millionen-Spende auf Steuervergünstigungen verzichten.

Die Wiedereröffnung im Jahr 2024 soll jedenfalls kein Fremderlebnis werden. Chefarchitekt Villeneuve verteidigt in der Öffentlichkeit mit Nachdruck das klassische Wiederaufbaukonzept für die Kathedrale. Notre-Dame braucht aus seiner Sicht keinen zeitgenössischen Fingerabdruck, in dem sich Stararchitekten verewigen, sondern eine professionelle Bescheidenheit, die die zeitlose Schönheit der Kathedrale respektiert: "Wenn die Mona Lisa eines Tages einen Schmiss abbekäme, würden wir ihr dann etwa eine neue Nase verpassen? Notre-Dame ist unsere Mona Lisa."

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