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Rosario Livatino: Märtyrer im Kampf gegen die Mafia

Der italienische Richter Rosario Livatino ließ im Kampf gegen die Mafia sein Leben. Der aufopferungsvolle Katholik soll nun seliggesprochen werden.
Mord an Rosario Livatino
Foto: via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Der Richter Rosario Livatino wurde 1990 auf seinem Weg zur Arbeit von der Mafia getötet, gegen die er ankämpfte. Der überzeugte Katholik soll nun seliggesprochen werden.

Am 4. Mai spricht die Kirche einen außergewöhnlichen Märtyrer selig: den Richter Rosario Livatino. Der Fall des Ehrwürdigen Diener Gottes Rosario Livatino wurde in einem Dekret vom 21. Dezember des vergangenen Jahres von der vatikanischen Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse an oberster Stelle gelistet. Gleich darunter ist ein Schwarz-Weiß-Foto eingefügt, das einen attraktiven jungen Mann im schwarzen Anzug, weißem Hemd und mit schwarzer Krawatte zeigt. Der „giudice ragazzino“, wie er wegen seines Aussehens genannt wurde, mit „jungenhafter Richter“ übersetzbar, hat auf dieser Fotografie einen wachen, furchtlosen und doch freundlichen Blick und sein Lächeln würde ihn bei sämtlichen Schwiegermüttern in spe mehr als qualifizieren.

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Scheinbar unscheinbarer Mann

Tatsächlich bietet Rosarios eher harmlos und freundlich wirkende äußere Erscheinung keinerlei Hinweis auf seine Tätigkeit als erbitterter Feind der Mafia, die in der Gegend um Agrigent „Stidda“ heißt, dem sizilianischen Dialektwort für Stern, und sich als (brutalerer) Ableger der weitaus bekannteren Cosa Nostra versteht.

Das irdische Leben dieses tiefgläubigen Mannes endete vor gut dreißig Jahren auf dem Weg zur Arbeit als beisitzender Richter am Gerichtshof von Agrigent. Es war der Morgen des 21. September 1990 und der 37 Jahre alte Livatino wollte von dem Städtchen Canicatti aus, wo er am 3. Oktober 1952 geboren worden war, die knapp halbstündige Strecke mit seinem schon etwas betagten roten Fiesta auf der Strada Statale 640 zurücklegen, die seinen Geburts- und Wohnort mit dem an der Südküste Siziliens gelegenen Agrigent verbindet, eine Stadt, die vor allem für ihre archäologischen Fundstätten bekannt ist.

Jeden Tag die Frühmesse besucht

Gegen 8.30 Uhr spielt sich auf der SS 640 eine Szene wie in einem schlechten Actionfilm ab. Während ein anderer Wagen Livatinos Fiesta in den Straßengraben abdrängt, eröffnet sein Mörder von einem Motorrad aus das Feuer auf das Heck und trifft den Richter in die Schulter. Der kann verletzt aus dem Wrack entkommen und versucht über eine Böschung hinab zu fliehen. Die zweite Kugel trifft ihn tödlich.

Später wird bekannt werden, dass ihn seine Meuchelmörder eigentlich vor der Kirche abpassen wollten – Rosario besuchte jeden Tag die Frühmesse. Am Ende entschied man sich dafür, ihn auf der Fahrt zur Arbeit zu beseitigen. Im Dekret der Kongregation für die Seligsprechungsprozesse wird dazu vermerkt, man habe ihn „in odio alla fede“ – aus Hass auf den Glauben – ermordet. Erwähnt wird weiterhin, dass der Mord äußerst brutal ausgeführt worden war, die zweite Kugel wurde direkt in sein Gesicht gefeuert. Kurz davor habe er sich noch an seine Mörder mit gütigen und besänftigenden Worten gewandt.

Vollkommen dem Schutz des Allmächtigen anvertraut

Besonders erwähnt wird auch, dass er wie immer ohne Leibwache unterwegs gewesen war, denn er hatte sich vollkommen dem Schutz des Allmächtigen anvertraut. Das geht auch aus seinen Arbeitsnotizen und -protokollen hervor, die er stets mit den drei Großbuchstaben „STD“ überschrieb – „Sub Tutela Dei“, unter dem Schutz Gottes. Doch es gab noch einen weiteren Grund, warum er auf Personenschutz verzichtete: Er wollte nicht, dass Frauen seinetwegen zu Witwen und Kinder zu Waisen würden.

Auf diese durchaus konsequente, wenn auch ungewöhnlich gedachte, Nächstenliebe ging übrigens auch seine Entscheidung zurück, nicht zu heiraten. Er wollte im Falle seiner Ermordung, mit der er stets zu rechnen hatte, keine Witwe hinterlassen. Nebenzu hätte ihn eine Ehefrau erpressbar gemacht. Außerdem wohnte er in einem Mehrfamilienhaus in Canicatti, in dem auch einer der lokalen Mafiabosse residierte, der ihn immer wieder zu bestechen versuchte. Livatino verließ deshalb das Haus zumeist durch den Hintereingang, um diesem Mann nicht zu begegnen, der ihn übrigens besonders wegen seines christlichen Glaubens zutiefst verachtete.

Bereits in jungen Jahren in der Katholischen Aktion engagiert

Rosario, einziges Kind seiner Eltern, geboren am 3. Oktober 1952, hatte sich bereits in jungen Jahren in der Katholischen Aktion engagiert. Nach dem Besuch des Gymnasiums schrieb er sich an der juristischen Fakultät an der Universität in Palermo ein und machte dort im Juli 1975 einen glänzenden Abschluss mit summa cum laude. Kurz darauf begann auch schon seine ebenso vielversprechende wie lebensgefährliche juristische Karriere in Agrigent: Als stellvertretender Staatsanwalt ermittelt er zehn Jahre lang von 1979 bis 1989.

Ab dieser Zeit führte er auch ein persönliches Tagebuch, auch mit geistlichen Einträgen.
Livatino nutzte konsequent moderne Ermittlungsmethoden, die er mit der gebotenen Härte anwendete: Er ließ Telefone abhören, Bankkonten überprüfen, ließ Ländereien und Villen beschlagnahmen und ging Spuren ins Ausland nach. Dabei ließ er sich jedoch nie korrumpieren und behielt in jedem Fall die menschliche Achtung vor den Delinquenten, ob er sie nun verhörte oder festsetzte. Als er ermordet wurde, hatte er bereits das Amt eines Richters inne.

Papst Johannes Paul II. besuchte die Eltern Rosarios

Die Trauerfeier für Rosario Livatino geriet zu einer politischen Kundgebung. Die Anwesenheit der beiden berühmtesten Speerspitzen im Kampf gegen die italienische Mafia, die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, adelte seinen Kampf durch ihre persönliche Anwesenheit. Borsellino und Falcone wurden kaum zwei Jahre später von der Cosa Nostra umgebracht und erlangten so die säkulare Unsterblichkeit. Bei Livatino kam eine weitere Komponente hinzu: die besondere Aufmerksamkeit der Päpste für sein Werk und sein Martyrium.

Nur drei Jahre nach seiner Ermordung besuchte der polnische Papst Johannes Paul II. anlässlich eines Sizilienbesuches auch die Eltern Rosarios, wobei er die Hände der Mutter in die seinen nahm und mehrere Minuten schweigend mit ihr betete. Für ihn war Rosario bereits zu dieser Zeit ein „Märtyrer der Gerechtigkeit und indirekt auch des Glaubens“. Am Ende rief er während seiner heiligen Messe im Tal der Tempel, einer der berühmtesten antiken Stätten Agrigents, den Capos, den großen wie den kleinen mafiosi zu, sie sollten sich bekehren. Denn: „Eines Tages wird Gottes Urteil über euch kommen!“ Franziskus hat die Arbeit, die begonnen wurde, nun mit einem großen Ausrufezeichen fortgesetzt, indem er Rosario Livatino und seine Arbeit durch die Seligsprechung nochmals ganz oben auf die Agenda setzt, ihn offiziell als Märtyrer anerkennt.

Geburts-Pfarrkirche von Livatino möchte den künftigen Seligen nicht hergeben

Doch Medienberichten zufolge ist inzwischen ein Streit zwischen dem Erzbischof von Agrigent und dem Gemeinderat von Canicatti entbrannt. Denn Livatino ruht bislang in der Pfarrkirche seines Geburtsorts. Dies entsprach dem Wunsch seines mittlerweile verstorbenen Vaters und wäre vermutlich auch sein eigener Wunsch gewesen, denn Livatino hatte sich stets für seine Gemeinde engagiert. Erzbischof Montenegro möchte den künftigen Seligen aber gerne in seiner Kathedrale haben, der „besseren Wahrnehmbarkeit“ wegen. Dagegen leistet nun der Gemeinderat Widerstand, insbesondere durch seinen Vorsitzenden Alberto Tedesco, der mit den Worten zitiert wird, man habe in Canicatti den „einhelligen, festen und granitharten Willen“, Livatino in der Pfarrkirche zu behalten.

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