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Müssen Christen Pazifisten sein?

Friedensidealismus liegt im Trend. Diesen sollte die Kirche herausfordern, findet der Autor Christoph Rohde. Er entwirft in seinem neuen Buch eine christliche Gegenposition zum Pazifismus.
Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan
Foto: via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Der um sich greifende, deutsche Pazifismus zeigt sich skeptisch gegenüber der Bundeswehr und ihren Auslandseinsätzen. Hier nimmt eine Bundeswehrärztin, stationiert in Afghanistan, einer Patientin Blut ab.

"Müssen Christen Pazifisten sein?“ Diese Leitfrage auf der Grundlage christlicher Anthropologie zu beantworten und daraus eine realistische Friedensethik zu schmieden, ist das anspruchsvolle Anliegen des jüngsten Buches des Politikwissenschaftlers und Sicherheitsexperten Christoph Rhode, das nun im Lepanto-Verlag erschienen ist. Zweifellos ein heißes Eisen, befinden wir uns doch in einer Zeit, in der demokratische Streitkultur allzu oft in Schwarz-Weiß-Kategorien polemisiert und sich erst wieder neu justieren muss, um konstruktiv und freiheitlich genannt werden zu können.

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Die katholische Lehre nennt Gründe für einen gerechtfertigten Krieg

Die Frage nach einem christlich verantwortbaren Umgang mit Gewalt hatte in der Zeit der Friedensbewegung eine neue Dynamik gewonnen, die bis heute in Teilen der Kirche und in Parteien vor allem bei den Grünen pazifistische Antworten fand und findet. Dekalog, Bergpredigt und das Gebot der Feindesliebe scheinen starke Argumente dafür zu sein. Im Kompendium der Katholischen Soziallehre aber finden wir die Möglichkeit und Bedingungen eines gerechtfertigten Krieges. Müssen Katholiken sich hier also gegen diese Lehre stellen, um glaubwürdige Christen zu sein? Ein moralisierender Zeitgeist ist hier schnell mit allzu einfachen Antworten zur Hand. Er bietet damit auch reichlich kirchenpolitischen Sprengstoff.

Aus katholischer Sicht ist Pazifismus moralisch falsch

Christoph Rohde wagt eine Gegenposition zu begründen, die den Pazifismus nicht verurteilt, ihn aber aus katholischer Sicht für unrealistisch und deshalb für moralisch falsch hält. Hierzu entwickelt er keinen Theorieentwurf einer katholischen Friedensethik. Vielmehr reiht er im Sinne des Titels zahlreiche Prämissen für eine solche Systematik essayistisch aneinander.

Nach Prolog und Einleitung folgen zwölf große Kapitel. Zuerst werden deutsche Befindlichkeiten zum Friedensthema diskutiert, anschließend drei theoretische Ansätze zur Politik im Spannungsfeld von Macht und Moral und dann die Unmöglichkeit der Realisierung einer perfekten politischen Ethik. Danach werden die Zwei-Reiche-Lehre Luthers und die Theorie des gerechten Krieges kurz skizziert. Es folgen anwendungsbezogene Abschnitte zur Diplomatie der katholischen Kirche, dem Politikverständnis der Päpste seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und zu politischen Friedensinitiativen der Kirche seit 1945 und zu kirchlichen Friedensschriften. Sodann wird ein katholischer Kommunitarismus als Sozialphilosophie vorgeschlagen, ehe friedenspolitische Herausforderungen Deutschlands in der Gegenwart und zehn thesenartige Pfeiler einer katholischen Friedensethik den großen Gedankenbogen abschließen.

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Die Kirche sollte dem pazifistischen Zeitgeist gegenhalten

Vor allem kritisiert Rhode die medial, politisch und auch kirchlich wirksame Kultur eines ethischen Maximalismus, der paternalistisch von einer Avantgarde Themen wie Gender-Mainstreaming, Klima-Aktivismus, Liberalisierung der Stammzellenforschung und eben einen pazifistischen Friedensidealismus zum Leitbild stilisiert. Gerade in Deutschland mit seiner belasteten Geschichte stoße eine solche Moralisierung auf fruchtbaren Boden, was sich etwa in mangelnder Ausstattung und Investitionsbereitschaft für die Bundeswehr wie einer Skepsis gegenüber deren Auslandseinsätzen zeige, ebenso im utopischen Selbstbild eines bloßen Handels- und Zivilstaates, fehlendem Nationalbewusstsein und Neutralitätsträumereien in gefährlicher Äquidistanz zu China und den USA.

Rohde fordert zurecht, dass die Kirche sich hier mit einer profilierten Position wieder mehr Gehör verschaffen sollte. Schließlich habe sie das Naturrecht, die Bellum-Iustum-Lehre und dazu ebenso viele theoretisch fundierte Beiträge, etwa in Lehrschreiben wie „Pacem in Terris“ oder praktische Vorbilder wie die Initiativen von Sant Egidio, herausragende Persönlichkeiten wie etwa die letzten drei Päpste oder die diplomatischen Erfolge von Vatikan und Heiligem Stuhl zum Fall des Eisernen Vorhangs oder auch zur Friedenspolitik bis in die Gegenwart hinein. Selbstbewusst sollte sich die Kirche einmischen in die friedensethischen Debatten und sich dabei nicht in falsch verstandener Unterwürfigkeit vom Schwarz-Weiß-Denken des medial transportierten Pazifismus verbiegen.

Rohde plädiert für ein realistisches Christentum

Rohde plädiert, in Anlehnung an den reformierten Pfarrer Reinhold Niebuhr, für ein realistisches Christentum, das in Anlehnung an Michael Walzer eine kommunitaristische Ordnung begründen solle, welche die conditio humana wahrnimmt und eine gewaltsame Verteidigung im Sinne der Bellum-Iustum-Theorie der katholischen Kirche rechtfertigt. Drohneneinsätze hingegen werden abgelehnt. Die hier vertretene Wehrhaftigkeit ist dann nicht allein Politik, sondern auch Tugend, die befreit für ein ehrliches wie entschlossenes Eintreten gegen Unterdrückung etwa in China, im Iran oder in islamistischen Vereinigungen etc..

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Das christliche Menschenbild kommt zu kurz in Rohdes Buch

Eine solche Haltung braucht Mut, da sie nicht im Trend der Zeit liegt. Das verdient Respekt. Das Buch würde noch gewinnen, würde deutlicher das christliche Menschenbild für die Begründung entfaltet. Den Realismus als Abkehr von der Utopie hat schon Thomas von Aquin umfassend eingeführt. Die Verweise auf Niebuhr sind dem Forschungsinteresse des Autors geschuldet. Viele sozialphilosophische Gedanken verdienen eine Vertiefung beziehungsweise Klärung. Habermas als Doyen des Liberalismus zu präsentieren ist ebenso missverständlich wie die Anlehnung an den Sozialisten Michael Walzer. Das Einflechten einer kommunitaristischen Ordnung ist für die Grundlinie nicht notwendig, lässt es doch wichtige Erkenntnisse katholischer Ordnungsethik, wie etwa die irenischen Gedanken Sozialer Marktwirtschaft und überhaupt die Soziallehre der Kirche außer Acht und führt sie einen neuen Tugendidealismus ein.

Das Pontifikat des heiligen Johannes Paul II. auf den Kampf gegen Hammer und Sichel zu beschränken, ist theologisch verkürzt, auch das grundsätzliche Verständnis zur Kapitalismuskritik von Papst Franziskus oder das Abkanzeln evangelischer Positionen. So bleibt manches assoziativ. Abgesehen davon sind die leidenschaftlichen Gedankengänge erfrischend lesenswert, sie beleuchten wissend viele Kontexte und entsprechen dem Anspruch, Prämissen einer katholischen Friedensethik zu skizzieren. Eine solche zu entfalten, wäre nun der nächste Schritt, den Christoph Rohde mutig herausfordert.


Christoph Rohde: Das Kreuz und der Krieg. Prämissen einer realistischen katholischen Friedensethik. Lepanto Verlag Rückersdorf, 2021, 368 Seiten, ISBN ISBN-13: 978-3942605205,
EUR 18,50

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