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Éric Aumonier: "Mittelmaß ist tödlich für die Liturgie"

Im zweiten Quartal 2024 soll die Pariser Kathedrale Notre Dame wieder ihre Pforten öffnen. Bisher konzentrierten sich alle Bemühungen darauf, das brandversehrte Gebäude zu sichern. Nun sollen die eigentlichen Restaurierungsarbeiten beginnen. Ein Gespräch mit dem gebürtigen Pariser und Kirchenbeauftragten für den Wiederaufbau von Notre Dame, Bischof Éric Aumonier.
Wiederaufbau von Notre-Dame
Foto: patrick zachmann / Magnum Photos / Agentur Focus (www.xxpool.de) | "Die Kathedrale ist eine Gabe, das uns anvertraute Erbe vieler Jahrhunderte", meint der emeritierte Bischof Versailles, Éric Aumonier.

Exzellenz, der Pariser Erzbischof hat Sie damit beauftragt, die katholische Kirche im Restaurierungskomitee zu vertreten, das der französische Staat für die Notre-Dame eingesetzt hat. Worin bestehen Ihre Hauptaufgaben?

Es geht dabei um zwei Aufgaben, die miteinander zusammenhängen. Die erste besteht darin, den Erzbischof gegenüber der für die Restauration zuständigen staatlichen Einrichtung zu vertreten, an deren Spitze General Jean-Louis Gorgelin steht. Der General hat den Verwaltungsrat unter sich und ist für die operative Leitung und Überwachung der Baustelle zuständig. Ich vertrete das Erzbistum Paris im Verwaltungsrat, der sich aus mehreren Instanzen zusammensetzt: dem Denkmalschutz, der Pariser Stadtverwaltung und dem Kulturministerium. Die Stadt Paris ist einbezogen, weil ihr der Platz vor der Kathedrale gehört, auf der liturgische Feiern stattfinden können. Der Verwaltungsrat überwacht und organisiert die Wiederherstellung des Kirchengebäudes, deren erste Phase nun abgeschlossen ist. Meine zweite Aufgabe besteht darin, alle Arbeiten im Auge zu behalten, die mit der von Erzbischof Aupetit geplanten Kircheneinrichtung, der liturgischen Gestaltung und Mission in Notre-Dame zusammenhängen. Auch dafür sind mehrere Arbeitsgruppen eingerichtet worden.

Wie lässt sich das Projekt, Notre-Dame wiederherzustellen, prägnant beschreiben?

Es ist eine Chance, Notre-Dame wiederzuentdecken. Man kann an der Kathedrale nichts verbessern. Die Kathedrale ist eine Gabe, das uns anvertraute Erbe vieler Jahrhunderte. Das Leben in der Kathedrale ist nach und nach den Notwendigkeiten angepasst worden, die sich aus dem stetig wachsenden Besucherzustrom ergaben. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Besucherzahl kontinuierlich gewachsen. Nun erleben wir eine Zäsur, und das kann sich ausgesprochen günstig auswirken. Wir können uns nun fragen, wie wir besser mit dem Strom von zwölf Millionen Besuchern pro Jahr umgehen.

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Wie könnten die Besucher Notre-Dame nach der Restaurierung erleben?

Der Besucher soll auf pädagogisch wertvolle Weise empfangen werden und zugleich eine Einführung in das Kirchengebäude erhalten. Notre-Dame ist kein Museum, sondern ein Ort des Gebetes und ein Pilgerziel, vor allem für die Nachbardiözesen im Ballungsraum Paris, aber auch für Pilgergruppen aus ganz Frankreich. Es kommen aber immer mehr Besucher, die keine Christen sind. Sie sollen durch einen Wegweiser Orientierung in der Kathedrale finden. Wenn Notre-Dame wieder offen ist, soll ein starkes Team, das vorbetet, die Menschen auch mithilfe der reichen Ausstattung von Notre-Dame zum Nachdenken und Beten anregen. Es gibt bereits ein Team aus Theologen, Liturgen, Künstlern und dem Rektor der Kathedrale. Sie leben zwar in der Nähe von Notre-Dame, können die Kathedrale aber aus Sicherheitsgründen nicht ohne Genehmigung betreten. Das ist wiederum nur in Ausnahmefällen möglich, so dass sie nur abwarten können. Aber das liturgische Programm von Notre-Dame soll wieder so reich wie vorher werden: heilige Messen, Vespern, jedes Jahr haben hier zweitausend Gottesdienste stattgefunden.

Welche Diskussionspunkte gibt es mit Blick auf die Gestaltung des Innenraums?

Eine Frage ist die Stellung des Hochaltars. Bis zur Amtszeit von Kardinal Lustiger 1981 diente ein Provisorium als Altar in Notre-Dame. Der Altar, der dann in der Vierung steht aufgestellt wurde, ist beim Brand stark beschädigt worden. Nun muss über einen neuen Altar nachgedacht werden, der wie der vorherige in der Vierung stehen soll. Eine andere Frage ist: In jede Bischofskirche gehört eine Kathedra, ein Bischofsstuhl. Wo soll er stehen? Wie soll die Kathedra aussehen? Wo soll der Ambo aufgestellt werden? Da muss es vielleicht Korrekturen geben, denn der Ambo steht für die ganze Bedeutung, die das Wort Gottes hat. Das darf aber nicht dazu führen, dass der Ambo zuviel Eigengewicht bekommt, denn es geht um das Wort Gottes. Der Ambo darf davon nicht ablenken, auch nicht vom Altar, der das größere Zeichen ist. Das soll auch an der Form erkennbar sein. Der Ambo soll ganz schlicht und einfach sein. Eine weitere Überlegung ist, wie der Zusammenhang zwischen Eucharistie und Taufe sinnfällig werden kann.

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Worum geht es dabei?

Bei der Eucharistie feiern wir eine Gnade, die auf der Taufe beruht. Daran erinnert das Taufbecken. Es soll daher nicht in einem Winkel versteckt oder in eine dunkle Ecke verbannt werden, sondern besser ins Auge fallen. Wir überlegen auch, wie wir die Sitzgelegenheiten wählen: Meistens stehen in Kirchen Stühle oder Bänke. Wir suchen nach einer Möglichkeit, bei der das Kirchenschiff in seiner ganzen Größe und Ausstrahlungskraft sichtbar wird. Wir möchten, dass ein Teil des Hauptschiffs unbestuhlt bleibt, damit jeder, der die Kathedrale betritt, die Wucht dieses Raums entdecken kann. Natürlich muss es immer ein bestimmtes Kontingent an Sitzgelegenheiten geben, beispielsweise für Werktagsmessen. Dabei ist zu bedenken, wie bestuhlt werden soll. Ziel ist, dass die Bestuhlung beweglich und leicht zu transportieren ist. Das war in Notre-Dame zwar vorher auch schon so, aber vielleicht lässt sich hier noch etwas verbessern. Und nicht zuletzt gibt es heute natürlich mehr technische Möglichkeiten als vor zwanzig Jahren, auch wenn Beleuchtung und Akustik schon vor dem Brand gut waren.

Werden nach der Restaurierung beide Formen des römischen Ritus in Notre-Dame gefeiert?

Wie überall kann der Ortsbischof die Feier der außerordentlichen Form des römischen Ritus in Ausnahmefällen genehmigen. Ich gehe aber davon aus, dass die Restaurierung das Verständnis für die ordentliche Form, wie sie in Notre-Dame gefeiert wird, vertiefen kann. Seitdem gibt es in der ordentlichen Form eine bemerkenswerte Entwicklung, deren Früchte wir jetzt sehen. Eine Zeitlang gab es eine falsche Gegenüberstellung beider Formen des römischen Ritus. Dieser Antagonismus schwindet.

Wie erklären Sie sich den großen Zulauf junger Gläubiger zur alten Messe?

Was sie mögen, ist das Schöne. Ich bin mir nicht sicher, ob sie eine so starke Bindung an den Ritus haben. Gerade in Notre-Dame ist die Schönheit der Liturgie und der Orgel erfahrbar. Man soll Jugendliche auch in ihrem Sinn für Schönheit bestärken, darin, dass Liturgie nicht mittelmäßig bleiben, sondern sich in ganzer Schönheit entfalten soll. Mittelmaß ist tödlich für die Liturgie. Aber mittelmäßig geht es auch im Formalismus und im Ritualismus zu.

Stichwort Orgel: Wie geht es in puncto Kirchenmusik weiter?

Glücklicherweise ist die Hauptorgel bei dem Brand nicht allzu sehr beschädigt worden und muss lediglich gereinigt werden. Dagegen ist die Chororgel zerstört worden. Paris ist von jeher ein traditionsreicher Standort für Kirchenmusik: Schon im 13. Jahrhundert gab es an der Kathedrale eine Musikschule. Heute erhält die Sakralmusik in Notre-Dame öffentliche Unterstützung. Die Kosten für die "Sakralmusik in Notre-Dame" werden jeweils zu einem Drittel vom Staat, von der Stadt Paris und dem Erzbistum getragen. Das musikalische Repertoire in Notre-Dame   Liturgie, Konzerte, et cetera   soll noch reicher werden.   

Die Pandemie hat die wirtschaftliche Lage verschärft. Merken Sie das am Spendenfluss?

Nein, sowohl die Spendenbereitschaft der Großspender als auch der Kleinspender ist überwältigend. Zwei Stiftungen, die "Fondation du Patrimoine" und die "Fondation Notre-Dame", haben zu Spenden aufgerufen. Was mich bewegt, sind die einfachen Gläubigen aus aller Welt, die nicht nur spenden, sondern sich auch für den Fortgang der Arbeiten interessieren. Auch die Reaktionen auf die Informationskampagne des Erzbistums gegenüber Priestern und Gläubigen hat Wirkung. Die Priester hören sich die Pläne nicht nur an, sondern machen auch Vorschläge und geben uns Anregungen weiter. Nie war das Interesse an Notre-Dame größer als jetzt.

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