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„Ein Lächeln auf den Lippen – das Kreuz im Herzen“

„Ein Lächeln auf den Lippen - das Kreuz im Herzen“: dies war der Wahlspruch von Mutter Elisabeth von der Heiligen Eucharistie. Heute vor 75 Jahren, am Karfreitag des Jahres 1945, ging sie bei Ravensbrück für eine Familienmutter in die Gaskammer.
Elisabeth Rivet
Foto: Screenshot | Viele ehemalige Leidensgenossinnen berichteten von der außergewöhnlichen Ausstrahlung und Persönlichkeit Mutter Elisabeths, die selbst geschwächt war und im Lager unter ihrer angegriffenen Gesundheit litt.

Geboren am 19. Januar 1890 als Tochter einer französischen Offiziersfamilie in der Nähe von Algier, entschied sich Elisabeth Rivet mit 22 Jahren, Ordensfrau zu werden. Sie trat in Lyon der Kongregation „Unsere Liebe Frau vom Mitleiden“ bei, die sich in der Sozialfürsorge um verlassene und verwaiste Kinder, Verstoßene und Hilflose kümmerte. Im Mai 1913 erhielt Elisabeth Rivet zusammen mit dem Ordenskleid den Namen Schwester Marie Elisabeth von der Heiligen Eucharistie. Ihre ewigen Gelübde legte sie im März 1915 ab. In ihrem Dienst versuchte sie, mit mütterlicher Liebe  verlassenen Kindern und jungen Mädchen Heimat zu geben und einen Weg ins Leben zu weisen. Wegen ihres „vorbildlichen geistlichen Lebens und ihrer geistigen Fähigkeiten“ berief man sie zur Novizenmeisterin und dann zur Oberin.

Im März 1933 wurde sie von ihren Mitschwestern zur Generaloberin gewählt und widmete sich in diesem Amt mit  großer Energie, Charisma und Glaubensstärke dem Sozialwerk ihres Ordens. In den 1930er Jahren führte Sie sehr belastende Verhandlungen mit den städtischen Behörden von Lyon, die wegen antiker Ausgrabungsfunde auf dem Kloster-Gelände  ihrer Ordensgemeinschaft forderten, das Kloster zu räumen und sich eine neue Bleibe zu suchen. Aus dieser Zeit der Prüfung erhalten ist ein Gebet Mutter Elisabeths, das die tiefen Quellen ihres Wahlspruchs „Ein Lächeln auf den Lippen – das Kreuz im Herzen“ offenlegt:

Jesus, verhöhnt, verachtet, verleumdet, verraten,
von allen verlassen, hab´ Erbarmen mit mir!
Fiat et Amour
(…)
Wenn Du willst, dass meine Tage nur ein Todeskampf seien,
indem  keine Stimme von oben die Not mildert,
dass jeder mich verlässt, vergisst, verleugnet
und selbst meinen Schmerz beleidigt;

Wenn Du willst, dass meine Stirn mit Dornen gekrönt werde;
Dass ich für immer den Zauber von Tabor lassen soll;
Wenn Du willst, dass wie Dich mich alle verlassen,
Oh mein Gott, will ich es immer noch.

In den unendlichen Abgrund Deiner Barmherzigkeit,
In den Strom Deines Blutes, will ich mich zurückziehen.
Die überquellende Güte aus Deinem Herzen , Oh Jesus!
wird mir immer vergeben.

Gelehnt an Dein Herz werde ich meinen Kelch trinken
Aber erfülle mich mit dem Strom der ewigen Liebe.
Für meine Mühen gib mir die Kraft, die Seelen zu retten.

Eine Seele in der Prüfung.

Amen! Fiat! Halleluja!

Nach der Besetzung Frankreichs durch das NS-Regime 1940 und der sich anschließenden Judenverfolgung entschied Mutter Elisabeth mit Unterstützung von Kardinal Gerlier, die verschiedenen Klöster ihres Ordens für Verfolgte zu öffnen. Zahlreiche Zeugnisse berichten, dass Mutter Elisabeth jüdische Frauen, Säuglinge und Kinder in ihren Einrichtungen aufgenommen und versteckt hat. Sie kümmerte sich auch um langfristige Verstecke für ältere Juden außerhalb des Klosters und  wirkte an einem geheimen Hilfe-Netzwerk mit, dem Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Lyon, der jüdischen Pfadfinderinnen und andere nicht jüdische Retter angehörten. Später gab sie dem französischen Widerstand (Résistance) das Einverständnis, ihr Kloster zur Lagerung von Waffen und Munition nutzen zu dürfen.

Nach Denunziation im März 1944 verhaftet

Nach einer Denunziation wurde Mutter Elisabet schließlich im März 1944 zusammen mit ihrer Stellvertreterin, Schwester Maria von Jesus, durch die Gestapo verhaftet und in das Gefängnis Fort Montluc bei Lyon gebracht. Bei ihrer Verhaftung übernahm sie alle Verantwortung und bat für die ihr Anvertrauten: „Meine Herren, ich bitte Sie, die Schwestern und die Kinder nicht anzurühren.“   

Über mehrere Zwischenstationen in Frankreich und Deutschland wurde Mutter Elisabeth im Juli 1944 in das überfüllte Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück überführt. Nach ihrer Verhaftung wurde sie gezwungen, ihren Ordenshabit abzulegen, was sie tief getroffen hat: „Nichts Schlimmeres kann mir jetzt passieren. Man hat mir mein Ordenskleid ausgezogen.“ Im Konzentrationslager setzte sie aber durch, dass sie ein einfaches schwarzes Kleid - ähnlich ihrem Ordenshabit - tragen konnte und damit als Ordensfrau erkennbar blieb. Sie betete mit den katholischen Mitgefangenen den Rosenkranz, sammelte sie sonntags um sich und betete aus dem Gedächtnis mit ihnen die Messgebete.

Außergewöhnliche Ausstrahlung und Persönlichkeit

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Viele ehemalige Leidensgenossinnen berichteten von der außergewöhnlichen Ausstrahlung und Persönlichkeit Mutter Elisabeths, die selbst geschwächt war und im Lager unter ihrer angegriffenen Gesundheit litt. Inmitten von Terror und Elend des überfüllten Lagers gab Mutter Elisabeth ihren Kameradinnen Leib und Seele, schenkte Liebe, Trost und Mut: „Sie kam mit uns zur harten Arbeit, ermutigte uns, tröstete uns, (….) brachte uns, die wir noch jung waren, abends noch etwas von ihrer eigenen Suppenration.“(…) „In ihrer Nähe hatten wir das Gefühl, von aller Gefahr entfernt zu sein. Sie war so wundervoll mutig, nahm alle Demütigungen an, alle Arbeiten, alle Frondienste auch wenn sie ihre Kräfte überstiegen, mit einer außerordentlichen Ruhe und Gelassenheit.“(…) „Ihr Lächeln erhellte uns alle.“ (…) „Sie war die Seele des Lagers, die den Mut wieder aufrichtete, das Feuer am Brennen hielt, die Leiden um sich herum linderte“(…) „ihr strahlender Glaube und ihre grenzenlose Aufopferung war das einzige Licht in diesem schmerzerfüllten Inferno.“

Gegen Kriegsende war das Konzentrationslager Ravensbrück maßlos überbelegt, die Zustände unvorstellbar. Tausende Frauen starben an Entkräftung und einer Typhus-Epidemie, Tausende wurden selektiert, erschossen, vergiftet oder vergast. Im März 1945 wurde Mutter Elisabeth mit 1500 anderen Frauen in ein Außenlager in der Uckermark überführt und dort bei der Selektion wegen ihrer geschwollenen Beine dem Sonderblock zugewiesen - der letzten Station vor dem Transport in den Tod.

Freiwilliger Gang in die Gaskammer

Am Karfreitag, dem 30. März 1945, kurz vor der Befreiung des Lagers, wurden Frauen aus diesem Sonderblock zum Appell aufgerufen – zur Auswahl für den Transport in die Gaskammer. Auf den mehrfachen Aufruf der Häftlingsnummer einer verzweifelten Familienmutter  meldete sich Mutter Elisabeth statt dieser Frau. Mutter Elisabeth betrat an deren Stelle den  Lastwagen in die Gaskammer und verabschiedete sich bei einer überlebenden Gefangenen mit den Worten: „Ich breche auf in den Himmel. Gebt Nachricht in Lyon…“

Im November 1945 verlieh die französische Regierung Mutter Elisabeth postum das „Croix de guerre“ mit Stern, 1961 ehrte sie die Französische Republik mit einer Briefmarke und 1979 wurde eine Straße in Lyon nach ihr benannt. An dieser Zeremonie nahmen drei französische Rabbiner teil und präsentierten eine Dankesrolle zum Gedenken an „die mutige Frau, die ihr eigenes Leben opferte, um das Leben vieler Juden zu retten“.  1991 eröffnete Kardinal Decourtray in Lyon ihren Seligsprechungsprozess. 1996 ernannte die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem Mutter Elisabeth als Gerechte unter den Völkern.                                                           

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