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Hans Maier: Die "verspätete" Nation Deutschland und ihre Etappen

In seinem neuen Band zur jüngeren deutschen Geschichte beleuchtet Hans Maier das Dritte Reich, deutsche Literatur sowie Religion und Politik in Deutschland. Eine Rezension.
Szene aus "Faust" des Deutschen Nationaltheaters Weimar.
Foto: Martin Schutt (dpa-Zentralbild) | Für Hans Maier ist Goethes "Faust" exemplarisch für die deutsche Literatur. Hier eine Szene aus "Faust" in einer Aufführung des Deutschen Nationaltheaters Weimar 2016 mit Lutz Salzmann als Faust.

Kurz vor seinem 90. Geburtstag, den Hans Maier am 18. Juni feiern darf, hat er im vorliegenden Band Beiträge zur jüngeren deutschen Geschichte zusammengestellt. Mit Ausnahme des ersten Kapitels stammen die acht Beiträge aus den Jahren 1999 bis 2019. Drei Themenbereiche werden in je zwei Texten beleuchtet: das Dritte Reich, deutsche Literatur sowie Religion und Politik in Deutschland. Die Kapitel geben ein Bild der deutschen Geschichte vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart wieder.

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"Deutschland" ersetzt den Begriff "Reich"

Zu Beginn legt Hans Maier mit „Die Deutschen und der Westen“ seine Münchener Antrittsvorlesung von 1966 wieder vor. Er nimmt darin wesentliche Argumente seiner Freiburger Habilitation von 1962 über „Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre“ (1966) auf und führt sie weiter. Die aristotelische Tradition der deutschen Staatslehre und der besondere Weg der Naturrechtstradition in Deutschland, die besonders auf Thomasius und Wolff zurückgeht, werden akzentuiert. Ideengeschichtlich wird die anfangs zögerliche Bindung Deutschlands an den Westen deutlich.
Ein weiterer Beitrag betrachtet „Die Deutschen unter dem Grundgesetz“. Als das Grundgesetz 1949 verkündet wurde, war Hans Maier noch nicht ganz achtzehn Jahre alt. Es sollte übergangsweise Sicherheit geben, wurde indes, obwohl man die Bezeichnung „Verfassung“ bewusst vermied, zur rechtlichen Grundlage für die positive Entwicklung Deutschlands bis heute. Aus einem Provisorium ist eine „Verfassung aller Deutscher geworden“, so Maier.
Das Grundgesetz hat überdies die Nation „Deutschland“ aus der Taufe gehoben und diesen Namen an die Stelle des Begriffs „Reich“ gesetzt. In den Epochen zuvor war nur vom Adjektiv „deutsch“ die Rede: „Heiliges römisches Reich deutscher Nation“, „Deutscher Bund“ oder später das „Deutsche Reich“.
Mit dessen verhängnisvoller Fortsetzung befasst sich Maier in „Das ,Dritte Reich‘ im Visier seiner Gegner“. Gewalt stand im Zentrum der Durchsetzung des Nationalsozialismus, der eine Revolution mit „elementarer Wucht“ war. Bereits im Kapitel zuvor über „Hitler und das Reich“ untersucht Maier den Begriff „Reich“, der bis zur Kontaminierung durch Adolf Hitler und die nationalsozialistische Ideologie tiefgreifenden Wandlungen unterworfen war. Gerade in diesem historischen Amalgam des Reichsbegriffs besteht heute die Gefahr der „diffuse[n] Vorstellungswelt der ,Reichsbürger‘.“ Zunächst konnte Hitler in seinem Sprachgebrauch den Reichsbegriff nicht verwenden. Erst später sah er, dass er an den noch immer virulenten Reichstraditionen festhing. So kam es zur Vorstellung eines „Dritten Reichs“. Hitler verband es mit seinem Begriff von der „Vorsehung“, durch die er den Nationalsozialismus ungewollt als politische Religion stilisierte.

Katholische Literatur fristete im 19. Jahrhundert oft ein Ghettodasein

Mit „Säkularisation – wohltätige Gewaltsamkeit?‘“ geht Maier auf die große Säkularisation von 1803 ein, die drastisch vor Augen führte, dass die Güter der Kirche nicht uneingeschränkten Schutz genossen haben. Der Reichsdeputationshauptschluss hat verdeutlicht, dass die Kirche zwar viel an politischem Einfluss verloren hat, aber ihre Erneuerungskraft „aus dem Geist der Kontemplation und Passion“ hat stärken können. Im Abschnitt „Vom Zusammenleben der Religionen in Deutschland“, der den Band abschließt, betrachtet Hans Maier das aktuelle Zusammenwirken der drei großen Offenbarungsreligionen in Deutschland, das nicht immer frei von Konflikten ist. Mit dem Schutz der Religionsfreiheit regelt Artikel 4 GG auch die Koexistenz der Religionen und Konfessionen. Judentum, Christentum und Islam sollen bei aller Verschiedenheit eine „abrahamitische Öffnung“ leben, ohne dabei den Bezug auf Abraham als „Wunderrezept“ aufzufassen.
Ein weiteres Themenfeld, mit dem Hans Maier auf die deutsche Geschichte zugeht, ist die Literatur. Das Kapitel „Literatur und Konfession in Deutschland“ zeigt, dass die konfessionelle Verschiedenheit das literarische Leben vielfach angefacht hat. Doch die katholische Seite war gerade im 19. Jahrhundert oft im Hintertreffen. Nicht selten fristete die katholisch geprägte Literatur ein Ghettodasein, von dem es nur wenige Ausnahmen vom Schlage eines Joseph von Eichendorff gab. Anders sieht es in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Bis in die 1960er Jahre hinein prägten Werke von Katholiken, wie Reinhold Schneider oder Werner Bergengruen, die deutsche Literatur, bevor sich das Blatt wieder zu wenden begann.

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Goethes "Faust" als "Drama der Deutschen"

Exemplarisch für die deutsche Literatur ist Goethes „Faust“. Maier nennt es in der Kapitelüberschrift mehrdeutig „das Drama der Deutschen“. Dieses Drama prägt sich in der Grundkraft des Tragischen aus: im Abwenden der Katastrophe wird diese herbeigeführt. Der Stoff des „Faust“ ist der eines „Weltspiels“, das nicht ohne biblische Motive auskommt, wie etwa der Pakt zwischen Gott und dem Satan aus dem Buch „Hiob“ zeigt: allein der innerweltliche Zustand soll vollendete Glückseligkeit erreichen. Doch der Weg dorthin fordert Opfer und führt zu Rechtsbrüchen. Wen das irdische Gericht als „gerichtet“ ansieht, der oder die ist vor dem ewigen Gericht „gerettet“. Der Gedanke der Vollendung verbindet Faust I und Faust II, der im Fortschrittsgedanken, im Klirren der Spaten, seinen ambivalenten Höhepunkt und Abschluss findet.

Hans Maier schreibt mit feiner Feder. Er verknüpft in den verschiedenen Kapiteln die Wegmarken zu einer Geschichte Deutschlands in Neuzeit und Moderne. Der Band ist gut geeignet, um die fünfbändige Werkausgabe, die in den Jahren 2006 bis 2010 ebenfalls bei C. H. Beck erschienen ist, zu ergänzen. Maier schreibt über die deutsche Geschichte aus eigener Anschauung. Er hat in Universität und Kultuspolitik die Entwicklung der jungen Bundesrepublik nach 1945 aktiv begleitet und geprägt. Sein Blick auf die „verspätete Nation“ Deutschland steht „sine ira et studio“ über den Parteien und verweist ganz selbstverständlich auf aktuelle Debatten, so über die Bedeutung des Grundgesetzes, den Platz Hitlers in der deutschen Geschichte oder die Gefahr der Reichsbürgerbewegung. Dennoch sieht Maier mit Zuversicht auf die Zukunft Deutschlands, das sich bewährt hat, in bösen wie in guten Jahren.

Hans Maier: Deutschland. Wegmarken seiner Geschichte. Verlag C. H. Beck, München 2021, 206 Seiten, ISBN 978-3-406-76453-0, EUR 24,-

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