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Christliche Bedeutung des Sonntags

Ein stolzes Alter: Der freie Sonntag feiert 1700. Geburtstag! Doch seine christliche  Bedeutung als "kleines  Ostern" prägt unsere  Gesellschaft immer weniger. 
St. Michael Kirche in der Kaufinger Strasse in München.
Foto: FrankHoermann/SVEN SIMON via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Der Sonntag als christliches Fest bestimmt immer weniger den immer noch freien Sonntag . Kirchen bleiben auch an Sonntagen leer.

Vor 1700 Jahren, am 3. März 321, proklamierte Kaiser Konstantin den Sonntag als arbeits- und gerichtsfreien Tag: "Alle Richter und Einwohner der Städte, auch die Arbeiter aller Künste, sollen am ehrwürdigen  Tag der Sonne  ruhen." Ausgenommen waren nur dringende Feldarbeiten und die gerichtliche Freilassung von Sklaven. Der Tag der Sonne (dies solis) wurde mehr und mehr zum Tag des Herrn (dies dominica). Diese christozentrische Benennung prägte den Sprachgebrauch in den romanischen Sprachen, während wir im Deutschen und Englischen weiterhin den "Sonntag" beziehungsweise "Sunday" begehen. 

Dies dominica

Goldmünze von Kaiser Konstantin
Foto: imago-images | Goldmünze von Kaiser Konstantin

Bereits in frühchristlicher Zeit feierten die Christen den Sonntag als Tag der Auferstehung des Herrn. Die Apostelgeschichte berichtet, dass die Christen "am ersten Wochentag versammelt waren, um das Brot zu brechen" (Apg 20,7). Ein frühes Zeugnis findet sich in der um das Jahr 80 entstandenen Didache: "Wenn ihr aber am Herrentag zusammenkommt, dann brecht das Brot und sagt Dank, nachdem ihr zuvor eure Übertretungen bekannt habt, damit euer Opfer rein sei." Auch im Brief des Barnabas, eines Begleiters und Schülers von Paulus, heißt es: "Deshalb begehen wir den achten Tag in Freude, an dem auch Jesus von den Toten auferstanden und, nachdem er sich geoffenbart hatte, in den Himmel aufgestiegen ist." 

Alle kommen zusammen

In der auf das Jahr 150 datierten Apologie des Kirchenlehrers, Philosophen und römischen Märtyrers Justin wird eine Sonntagsliturgie beschrieben: "An dem nach der Sonne benannten Tag findet die Zusammenkunft von allen, die in Städten oder auf dem Land herum weilen, an einem gemeinsamen Ort statt. Es werden die Aufzeichnungen der Apostel und die Schriften der Propheten vorgelesen. Wenn dann der Vorleser aufgehört hat, hält der Vorsteher eine Ansprache, in der er ermahnt und auffordert, diesen schönen Lehren und Beispielen nachzufolgen. Sodann stehen wir alle zusammen auf und schicken Gebete zum Himmel für uns selbst und für alle anderen auf der ganzen Welt ( ). Nachdem wir die Gebete beendet haben, grüßen wir einander mit einem Kuss. Dann wird dem Vorsteher der Brüder Brot gebracht und ein Becher mit einer Mischung von Wasser und Wein. Dieser nimmt es, sendet durch den Namen des Sohnes und des Heiligen Geistes Lob und Preis zum Vater aller Dinge empor und verrichtet eine lange Danksagung dafür, dass wir dieser Gaben von ihm gewürdigt wurden. Ist er mit den Gebeten und der Danksagung zu Ende, stimmt das ganze Volk ein, indem es spricht: Amen. Nachdem der Vorsteher die Dankhandlung vollbracht und das ganze Volk eingestimmt hat, reichen die Diakone ( ) jedem Anwesenden vom dankgesegneten Brot und vom mit Wasser vermischten Wein zum Genuß dar und bringen davon auch den Abwesenden." 

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Der Revolutionskalender wurde zum Flop

Mit der sich ausbreitenden Christianisierung Europas prägte die Sonntagskultur mehr und mehr die Völker des Erdteils. Der Sonntag war über Jahrhunderte nicht nur der Tag des Messbesuchs, sondern ein Festtag, an dem weder gefastet noch blutige Fehde geführt werden sollte. Die Waffen und die knechtische Arbeit hatten zu ruhen, damit der Mensch zu Gott und dadurch zu sich selbst komme. 

Die Französische Revolution kippte in ihrem antichristlichen Furor nicht bloß den "Tag des Herrn" (dimanche), sondern wollte den Wochenrhythmus überhaupt neu ordnen und eine Zehn-Tage-Woche einführen. Auch in deutschen Landen wurde versucht, die Aufteilung der Zeit in Dekaden einzuführen, nachdem die linksrheinischen Gebiete ab 1794 französisch besetzt waren. Die Feier des Sonntags war unmöglich geworden, weil nur der zehnte Tag ein freier Tag war. Sogar das Tragen von Sonntagskleidung war nur an den "Decadi" genannten zehnten Tagen erlaubt. Ähnlich agierte später Stalins Sowjetunion: Sie führte 1929 einen "Revolutionskalender" ein, der die Sieben-Tage-Woche durch eine Fünf-Tage-Woche mit 12 Monaten zu 30 Tagen sowie zusätzlichen Revolutionsfeiertagen einführte. 1940 ließ die Sowjetunion das Experiment jedoch wieder fallen und gestand, dass sie sich damit nicht gegen die tief verwurzelten Traditionen durchsetzen konnte. Viele Arbeiter waren am Ruhetag des Revolutionskalenders wie auch am Sonntag der Arbeit ferngeblieben. 

Kein arbeitsfreier Sonntag 

Aus anderen, nämlich kapitalistischen Gründen gab es im Zug der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts Versuche, den arbeitsfreien Sonntag fallenzulassen. Otto von Bismarck wehrte sich gegen einen arbeitsfreien Sonntag in Deutschland mit dem Argument der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie. Gewerkschaften und Vertreter der Kirche stritten hier unausgesprochen auf derselben Seite für den freien Sonntag. Ging es kirchlicherseits vorrangig um das Seelenheil und die dafür erforderliche Sonntagsheiligung, so spielte auch die soziale Frage eine Rolle. Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler setzte sich in einer Rede vor zehntausend Arbeitern auf der Liebfrauenheide bei Offenbach für eine Verkürzung der Arbeitszeiten und den freien Sonntag für die Arbeiter ein. 

Erste Arbeitszeitgesetze, die den Sonntag als arbeitsfreien Tag garantierten, gab es Ende des 19. Jahrhunderts, etwa das Schweizer Fabrikgesetz von 1877. Der arbeitsfreie Sonntag wird in Deutschland erst mit der Weimarer Verfassung in Verfassungsrang erhoben. Mit Artikel 139 der Weimarer Verfassung (der heute durch Artikel 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes ist) sind Sonntage neben staatlich anerkannten Feiertagen als "Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt". 

Fundament und Kern des liturgischen Jahres 

Das Zweite Vatikanische Konzil bezeichnet den Herrentag als "Ur-Feiertag, den man der Frömmigkeit der Gläubigen eindringlich vor Augen stellen soll, auf dass er auch ein Tag der Freude und der Muße werde". Begründung: "Der Herrentag ist Fundament und Kern des ganzen liturgischen Jahres." (SC 106) Aus christlicher Sicht erinnert der Sonntag als "erster Tag" der Woche an die Schöpfung, und als "achter Tag" an die "mit der Auferstehung Christi angebrochene neue Schöpfung". (KKK 2174) Weiter lesen wir im Katechismus der Katholischen Kirche: "Die Feier des Sonntags hält sich an die sittliche Vorschrift, die dem Menschenherzen von Natur aus eingeschrieben ist", nämlich Gott einen sichtbaren, öffentlichen und regelmäßigen Kult zu erweisen. "Die sonntägliche Feier des Tages des Herrn und seiner Eucharistie steht im Mittelpunkt des Lebens der Kirche." (KKK 2176f.) 

Das Kirchenrecht gießt diese Theologie in eine Verpflichtung: "Am Sonntag und an den anderen gebotenen Feiertagen sind die Gläubigen zur Teilnahme an der Messfeier verpflichtet; sie haben sich darüber hinaus jener Werke und Tätigkeiten zu enthalten, die den Gottesdienst, die dem Sonntag eigene Freude oder die Geist und Körper geschuldete Erholung hindern." (CIC, can.1247) 

Sonntagskirchgang

Kirchgang im Schwarzwald
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Kirchgang im Schwarzwald. - Historische Postkarte .

Der Sonntagskirchgang in Deutschland schwindet jedoch seit 70 Jahren ebenso kontinuierlich wie die Kirchenzugehörigkeit: 1950 hatte die Kirche bei einer Bevölkerung von 50,3 Millionen Einwohnern in Westdeutschland 23,2 Millionen Mitglieder. Davon ging Sonntag für Sonntag jeder Zweite in die Kirche. 2019 gehörten von 83 Millionen Einwohnern im vereinten Deutschland noch 22,6 Millionen der katholischen Kirche an. Davon gehen neun Prozent, also zwei Millionen Katholiken, regelmäßig sonntags in die Kirche. 

In Österreich waren es vor der Corona-Krise noch zehn Prozent der Katholiken, die sich an die Sonntagspflicht hielten. Neun von zehn österreichischen Katholiken gehen an normalen Sonntagen nicht zur Messe, auch wenn viele von ihnen die Kinder taufen lassen, am Heiligen Abend "Stille Nacht, heilige Nacht" singen und am Karsamstag zur "Fleischweih" (Osterspeisensegnung) kommen. An den beiden "Zählsonntagen" des Jahres 2019 wurden 497.000 und 533.000 Messbesucher registriert; bei einer Katholikenzahl von 4,91 Millionen. Waren vor einem Jahrhundert noch mehr als 90 Prozent der Einwohner Österreichs katholisch, so sind es heute nur mehr 55 Prozent. "Der Kirche wird die Lebensrelevanz abgesprochen", meint ein Diözesansprecher zur "Tagespost". 

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Gott bekommt keinen Termin mehr

Nach der Corona-Krise wird das wohl zusätzlich für jene gelten, denen die Kirche während der Lockdowns virtuell fern, unpersönlich und allzu administrativ schien. Wenn all das, was distante Katholiken zuvor noch in die Pfarrei führte   Taufen, Hochzeiten, Erstkommunionen und Firmungen   monatelang gar nicht im Angebot ist, könnte auch die Nachfrage danach rasch erlahmen. Schätzungen gehen in Deutschland nach Ende der Lockdowns von einem Absinken der regelmäßigen Sonntagspraxis auf rund drei Prozent aus. Die Abstandsgebote haben in den Kirchen zu erheblichen Teilnehmerbeschränkungen geführt. Dass viele Gläubige vergrault wurden, nimmt man auch im Episkopat an. "Ich fürchte, viele werden nicht wiederkommen", ahnte der stellvertretende Vorsitzende der Bischofskonferenzen, Franz-Josef Bode, bereits im Januar. 

Was also bleibt vom Sonntag? Ein gewerkschaftlich gut verteidigter, arbeitsrechtlich gesicherter Ruhetag, ein Beitrag zur richtigen Work-life-balance? Sicher ein Tag der Familie und des Ehrenamts, der Erholung, des Sports und der gemeinschaftlichen Freizeitgestaltung. 

Ausgehöhlter Schutz  

Gesetze schützen den arbeitsfreien Tag, höhlen ihn aber zugleich aus: Verkaufsoffene Sonntage sind vielerorts beliebt und gefragt. Oft wurden sie von Kommunalverwaltungen und Verkehrsvereinen gegen eine Front aus Kirchen und Gewerkschaften erstritten. Die dafür gesetzlich erforderlichen traditionellen Feste wurden schnell etabliert. Was mehr als zweimal stattgefunden hat, gilt auch hier als Tradition. Wer will, kann   außer im Lockdown   zumindest im Sommer jeden Sonntag in erreichbarer Entfernung einen verkaufsoffenen Sonntag finden. So wird der Sonntag zum Shoppingtag. Geöffnete Fitnessstudios und andere Sportanlagen lassen ihn eher zum Tag der körperlichen als der seelischen Ertüchtigung werden. 

Die Langeweile wird zum Thema, wenn der Sonntag nicht mehr der Tag des Herrn ist und damit seinen Sinn zu verlieren scheint. Dann wird der Laptop im Homeoffice zur Versuchung, der sonntäglichen Langeweile durch ein paar Stunden Arbeit zu entgehen. Der abendliche Tatort wird an Stelle der morgendlichen Messe zum Ritual. Der Sonntag wird gefüllt mit endlosen Netflix-Staffeln und Computerspielen. Nicht mehr kommunistische Ideologen oder kapitalistische Ausbeuter bedrohen unseren Sonntag, sondern eine relativistische Unterhaltungsmentalität, in der Gott keinen Termin mehr bekommt. 

Rechtfertigungsdruck

Mehr und mehr gerät der Sonntag unter Rechtfertigungsdruck. Wie soll man einen gemeinsamen freien Tag erklären, der aus der christlichen Praxis hervorging, wenn weniger als fünf Prozent der Bevölkerung den Sonntag noch heiligen? Retten kann den Sonntag nur ein eindeutig christliches Bekenntnis. "Lasst uns nicht unseren Zusammenkünften fernbleiben, wie es einigen zur Gewohnheit geworden ist, sondern ermuntert einander", mahnte einst der Autor des Hebräerbriefs (Hebr 10,25). Wie übersetzt man das für müde gewordene Katholiken des 21. Jahrhunderts? 


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