Der französische Kardinal Philippe Barbarin sieht für sich keine Zukunft mehr an der Spitze der Erzdiözese Lyon. Das erklärte der 69-Jährige Primas von Gallien jüngst in einem ausführlichen Interview mit dem französischen Wochenmagazin „Le Point“. Barbarin, der Ende Januar vom Vorwurf der Nichtanzeige sexueller Übergriffe an Minderjährigen durch einen Priester freigesprochen worden war, sprach von einem „medialen Tsunami“, der die vergangenen vier Jahre gewütet habe. Derzeit wartet er auf die Entscheidung von Papst Franziskus, der sein Rücktrittsgesuch noch nicht angenommen hat.
Als Seelsorger nach Madagaskar?
Auf die Frage, wie er sich seine Zukunft vorstelle, antwortete Kardinal Barbarin, er könne sich eine Tätigkeit als Wallfahrtspriester vorstellen, aber auch als Prediger bei geistlichen Exerzitien oder als Seelsorger in Madagaskar. Dort hatte er bereits in den 90er Jahren als Priester gearbeitet.
Kardinal Barbarin war im März 2019 in erster Instanz zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden, weil er einen Priester, der vor 1991 mehrere Minderjährige sexuell missbraucht hatte, nicht angezeigt hatte. Über die Dauer des gesamten Verfahrens betonte Barbarin jedoch seine Unschuld. Gegen das Urteil legte der Kardinal schließlich Berufung ein. Er hatte sich seit dem Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens zurückgezogen und ließ seine Amtsgeschäfte ruhen.
Stets mit Missbrauchsverfahren in Verbindung gebracht
Darüber hinaus erklärte Barbarin gegenüber „Le Point“, dass sein Name stets mit dem Missbrauchsverfahren in Verbindung gebracht werde. „Ich werde derjenige bleiben, der schändliche Taten nicht angezeigt hat“, so der französische Kardinal. Gleichzeitig gestand er eigenes Fehlverhalten ein. Er bedauere, die Untersuchung der Missbrauchsfälle nicht vertieft zu haben. „Der Skandal hat enorme Ausmaße angenommen, weil wir zu lange gewartet haben.“
Dennoch sei er nie der Auffassung gewesen, etwas zu vertuschen. Zu vertuschen bedeute, dass man etwas wisse und es dennoch geschehen lasse, und das sei „abscheulich“. Die Fälle, die die gegen ihn erhobenen Vorwürfe betreffen, würden jedoch bis zu 30 Jahre zurückreichen.
DT/mlu
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