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Theologe: Evangelische Kirche verspielt ihre Zukunft

Der evangelische Theologe Udo Schnelle wirft der evangelischen Kirche vor, sich häufig dem Zeitgeist anzudienen. Die Bibel werde oft nicht mehr als Wort Gottes angenommen. Auch den kirchlichen Dialog mit dem Islam sieht er kritisch.
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Foto: Julian Stratenschulte (dpa) | ARCHIV - Zwei Frauen sitzen am 08.07.2013 in der Marktkirche in Hannover (Niedersachsen). Am 21.07.2017 legen die katholische und evangelische Kirche Zahlen zur Mitgliederentwicklung vor.

Die evangelischen Kirchen dienen sich häufig dem Zeitgeist an und verspielen so ihre Zukunft. Diese Ansicht vertritt der Theologieprofessor Udo Schnelle in einem Beitrag für die Evangelische Nachrichtenagentur "idea". Schnelle lehrte Neues Testament in Erlangen und Halle und ist Autor mehrerer theologischer Standardwerke. Ihm zufolge sieht die evangelische Kirche ihre Zukunft in der politischen Ethik und orientiert sich dabei an Ideen aus dem rot-grünen Politik-Spektrum. Eine dieser Leitideen sei der „globale Universalismus, wonach jeder für jeden und für alles in der Welt Verantwortung habe“. Er führe zu einer Art „Intensiv-Ethik, die permanent fordert und sich moralisch unendlich überlegen fühlt“.

Ein Beispiel dafür sei die Flüchtlingsfrage. Die EKD erwecke den Eindruck, dass es eine Aufnahmepflicht ohne Grenzen gebe. Es gebe jedoch kein unbegrenztes Helfen. Grenzenlosigkeit bedeute die Außerkraftsetzung von Regeln. Ohne Begrenzung sei keine Integration möglich. Auch theologisch sei die Forderung der Grenzenlosigkeit falsch. Jesu Christi Aussagen zur Nächsten- und Feindesliebe bezögen sich auf die individuelle Alltagsethik und nicht auf globale Prozesse des 21. Jahrhunderts. Schnelle: „Zwar ist Helfen die Pflicht von Christen; aber wie und in welchem Umfang man hilft, ist eine Frage der Vernunft.“

Schnelle zufolge wird in der evangelischen Kirche die Bibel nicht mehr als Wort Gottes ernst genommen. Das zeige sich etwa an der Zustimmung der evangelischen Kirche zur „Ehe für alle“. Sie sei ein „krasses Beispiel politischer Willfährigkeit“ und stehe im eklatanten Widerspruch zur Bibel. Für Jesus Christus entspreche nur die Ehe zwischen Mann und Frau dem Willen des Schöpfers (Markus 10,1-9). Für die evangelische Kirche sei die Bibel ein „kulturelles Traditionsrelikt“, auf das man noch pflichtbewusst verweise. Ansonsten folge man aber den eigenen politischen und ethischen Vorlieben. Schnelle: „Ist die Angst vor den Vorwürfen der Diskriminierung und mangelnden Toleranz größer als die Zuversicht in die Wahrheit des Wortes Gottes?“ Für viele Bischöfe sei die positive Erwähnung in den Medien der Maßstab ihres Handelns. Den Gemeindegliedern bleibe die faktische Geringschätzung der Bibel in Kirche und Theologie nicht verborgen.

Zudem äußerte sich Schnelle zum kirchlichen Dialog mit dem Islam. Um sich nicht dem Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus oder der Islamophobie auszusetzen, scheine eine „theologische Abrüstung“ das Gebot der Stunde zu sein. Einzelne Bischöfe und Synoden seien dabei, den biblischen Wahrheitsanspruch deutlich zu reduzieren. Er werde „entweder gar nicht mehr oder nur noch entschärft und verschämt artikuliert“.

Der Gegensatz zwischen Christentum und Islam lasse sich jedoch nicht auflösen. Für Christen sei Jesus Christus der Sohn Gottes. Für den Islam sei dies eine Irrlehre. Die christliche Vorstellung des dreieinigen Gottes sei vom Islam von Anfang an bekämpft worden. Sie gelte bis heute als Ausdruck der Verfälschung des Wesens des einen allmächtigen Gottes. Der Koran bezeichne Christen in Sure 9,29-33 als Lügner, Häretiker und zu bekämpfende Polytheisten.

DT/idea

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