Hielt sich das Medieninteresse an den Veranstaltungen und Referenten (immerhin waren einige Kardinäle darunter) bislang eher in Grenzen, wird James Martin SJ von TV-Kameras und Fotografen begleitet wie ein Rockstar auf Abschiedstour. Sogar das irische Fernsehen berichtet, nachdem es den Beitrag des Jesuiten bereits vor Tagen als einen der Höhepunkte des Dubliner Weltfamilientreffens angepriesen hatte.
Die Erfahrungen Homosexueller in der Kirche sind bedrückend
Und tatsächlich war es ein besonderes Ereignis. Pater James Martin begann mit einem Gebet. Dann berichtet er von Erfahrungen homosexueller Menschen in der Kirche. Auch, wenn man unterstellt, er habe damit vor allem deren Versagen illustrieren wollen, sind die Schilderungen bedrückend. Martin nennt ein fünfmal höheres Suizidrisiko als Folge der Marginalisierung.
Es brauche eine neue Willkommenskultur
Obwohl LGBT-Menschen als Katholiken bereits Teil der Kirche sind, brauche es eine neue Willkommenskultur, so Martin, die von Vorurteilsfreiheit und Beteiligungbereitschaft seitens der Gläubigen getragen ist. Martin nennt zehn Punkte, die eine Gemeinde beherzigen kann, um diese Kultur zu verwirklichen. Sein Programm läuft zunächst auf Wertschätzung und Gleichberechtigung hinaus, um schließlich die besonderen Fähigkeiten von LGBT-Menschen herauszustellen: Wer marginalisiert wurde, kennt sich aus mit den Rändern, von denen der Papst spricht.
Über Problematisches schweigt Martin
Dabei, so betont Martin, folge die Kirche dann nur ihrer eigenen Lehre, dem im Katechismus gebotenen Respekt gegenüber Menschen mit homosexueller Neigung. Dennoch: Kirche und Homosexualität beziehungsweise LGBT, das ist eine komplizierte Materie, die tiefgründige Betrachtung braucht. Denn darüber, was problematisch ist beziehungsweise werden kann, schweigt Martin, der als begnadeter Redner seine Position hervorragend vermittelt, dabei jedoch zahlreiche Strohmänner und -frauen abfackelt, worunter die Seriosität des Beitrags etwas leidet.
Ein Raum der Unsicherheit
Zwischen der von ihm genannten verabscheuungswürdigen Homophobie, die sogar vor Gewalt nicht zurückschreckt, und einer berechtigten Sorge um die richtige theologische – also: dogmatische und pastorale – Einordnung gibt es jedenfalls einen Raum der Unsicherheit, einer Unsicherheit, die als solche nicht pathologisiert werden darf, sondern ebenfalls be- und geachtet werden muss.
Der tosende Applaus gibt ihm nicht Recht, regt aber zum Nachdenken an
Der tosende, kaum enden wollende Applaus in der überfüllten Halle 8A gibt ihm noch nicht Recht, sollte aber zum Nachdenken anregen. Nicht zuerst über die Bewertung der Homosexualität, sondern über die Frage, ob in unseren Gemeinden wirklich schon das Ende der Fahnenstange erreicht ist, wenn es um jenen Respekt gegenüber homosexuellen Menschen geht, den der Katechismus uns unmissverständlich aufträgt.
Ein Jesuit behandelt wie ein Superstar
Der charismatische James Martin hat dazu den Aufschlag gemacht. Dafür ist ihm – unabhängig davon, was man inhaltlich von den einzelnen Ideen hält – zu danken. Ein wichtiger Vortrag, der ein wenig rechtfertigt, dass der Jesuit behandelt wird wie ein Superstar. Wer ein Selfie mit ihm machen wolle, möge sich beeilen, meint der Moderator – Martin müsse rasch ein paar Hallen weiter. Dort signiert er sein soeben erschienenes Buch. Titel: „Eine Brücke bauen. Wie die katholische Kirche und schwule, lesbische, bisexuelle und trans* Menschen eine wertschätzende Beziehung finden“.
DT
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