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Missbrauch: Neue Anschuldigen von Erzbischof Viganò

Der Vatikan hat Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs an den Messdienern des Papstes vertuscht, soll der italienische Erzbischof Viganò in einem Interview mit der „Washington Post“ behauptet haben.
Carlo Vigano: Neue Anschuldigungen
Foto: IN | Erhebt schwerer Anschuldigungen gegen Papst Franziskus und hochrangige Mitglieder der Kurie: der italienische Erzbischof Carlo Viganò.

Anfang Juni veröffentlichte die „Washington Post“ ein ausführliches, schriftlich geführtes Interview mit dem italienischen Erzbischof Carlo Viganò. Die Antworten des Erzbischofs umfassten der „Post“ zufolge 8000 Wörter. Einige Passagen veröffentlichte die Zeitung allerdings nicht, nach Angaben der Redaktion aus dem Grund, da die darin erhobenen Vorwürfe nicht verifiziert werden konnten.

Das amerikanische Online-Nachrichtenportal „Lifesitenews“ hat nun ein ausführliches Statement Viganòs publiziert, bei dem es sich um Passagen des Interviews mit der „Washington Post“ handeln soll, die die Zeitung aufgrund unklarer Faktenlage zurückhielt.

Gleicht man Viganòs Äußerung bei „Lifesitenews“ mit dem Original-Interview der „Post“ ab, so stellt man fest, dass es sich dabei um die Fortsetzung der Antwort des Erzbischofs auf eine Frage handelt, die im Original nach einem Absatz bereits zu Ende ist. „Lifesitenews“ gibt an, die ausführliche Antwort habe „wichtige Informationen über Anschuldigungen des sexuellen Missbrauchs gegen einen hohen Beamten des Heiligen Stuhls sowie über die Vertuschung seitens eines ehemaligen Seminaristen und nunmehrigen Priesters“ erhalten. Daher habe man die Passagen veröffentlicht.

Der Name einer Person sei jedoch von „Lifesitenews“ entfernt worden, weil die Redaktion an dieser Stelle keine ausreichende Grundlage für die Anschuldigungen habe finden können. Wie das Nachrichtenportal in den Besitz der angeblichen, bisher unveröffentlichten Passagen des Viganò-Interviews gelangte, ist nicht bekannt.

Die „Tagespost“ veröffentlicht die Passage des von „Lifesitenews“ publizierten Textes im Wortlaut.

DT/mlu

Washington Post: Sehen Sie Anzeichen dafür, dass der Vatikan unter Papst Franziskus geeignete Schritte unternimmt, um das ernste Problem des Missbrauchs anzugehen?
Wenn nicht, was fehlt Ihrer Meinung nach?

Viganò: Die Zeichen, die ich sehe, sind wirklich unheilvoll. Papst Franziskus tut nicht nur fast nichts, um diejenigen zu bestrafen, die sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben, sondern er tut auch absolut nichts, um diejenigen zu entlarven und vor Gericht zu bringen, die es den Tätern seit Jahrzehnten leichtgemacht und deren Taten gedeckt haben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Kardinal Wuerl, der die Taten von McCarrick und anderen jahrzehntelang vertuschte, und dessen wiederholte und unverhohlene Lügen sich allen, die aufmerksam waren, offenbarten, musste wegen der Empörung der Bevölkerung in Schande zurücktreten. Doch als Papst Franziskus seinen Rücktritt annahm, lobte er ihn für seinen „Edelmut“. Welche Glaubwürdigkeit hat der Papst nach einer solchen Aussage?

"Der Papst und viele Würdenträger in der Kurie
sind sich dieser Anschuldigungen sehr wohl
bewusst, aber in keinem der beiden Fälle wurde
eine offene und gründliche Untersuchung erlaubt"

Aber ein solches Verhalten ist keineswegs das Schlimmste. Um auf den Gegenstand des Gipfels, den Missbrauch von Minderjährigen, zurückzukommen, möchte ich Sie nun auf zwei wirklich schreckliche Fälle aus der jüngeren Vergangenheit aufmerksam machen, in denen es um Anschuldigungen von Straftaten gegen Minderjährige während der Amtszeit von Papst Franziskus geht. Der Papst und viele Würdenträger in der Kurie sind sich dieser Anschuldigungen sehr wohl bewusst, aber in keinem der beiden Fälle wurde eine offene und gründliche Untersuchung erlaubt. Ein objektiver Beobachter kann nicht anders, als zu vermuten, dass schreckliche Taten vertuscht werden.

1.  Der erste Fall soll sich innerhalb der Mauern des Vatikans am Kleinen Seminar Pius X. abgespielt haben, das nur wenige Schritte von den Domus Sanctae Marthae entfernt liegt, wo Papst Franziskus lebt. Das Seminar bildet Minderjährige aus, die als Ministranten in der Peterskirche und bei päpstlichen Zeremonien dienen.

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Der Seminarist Kamil Jarzembowski, ein Mitbewohner eines der Opfer, behauptet, Dutzende Vorfälle sexueller Gewalt erlebt zu haben. Zusammen mit zwei anderen Seminaristen zeigte er den Täter an, zuerst persönlich bei seinen Seminaroberen, dann schriftlich bei Kardinälen und schließlich 2014, wiederum schriftlich, bei Papst Franziskus selbst. Eines der Opfer war ein Junge, der angeblich seit seinem 13. Lebensjahr fünf Jahre lang missbraucht wurde. Der mutmaßliche Täter war der damals 21-jährige Seminarist Gabriele Martinelli.

Für das Kleine Seminar ist die Diözese Como zuständig. Geleitet wird es vom Verein „Don Folci“. Eine vorläufige Untersuchung wurde Andrea Stabellini, dem Offizial von Como, übertragen. Dieser fand eine ausreichende Beweislage für weitere Untersuchungen. Ich erhielt aber aus erster Hand Informationen darüber, dass seine Vorgesetzten ihm verboten haben, die Untersuchung fortzusetzen. Er kann für sich selbst aussagen, und ich bitte Sie, ihn zu interviewen. Ich bete dafür, dass er den Mut findet, Ihnen zu erzählen, was er mir so mutig mitteilte.

Darüber hinaus erfuhr ich, wie die Behörden des Heiligen Stuhls mit diesem Fall umgegangen sind. Nachdem Don Stabellini die Beweise gesammelt hatte, wurde der Fall sofort vom damaligen Bischöfe von Como, Diego Coletti, zusammen mit Kardinal Angelo Comastri, dem Generalvikar des Papstes für die Vatikanstadt, vertuscht. Außerdem forderte der damalige Präsident des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, Kardinal Coccopalmerio, den Don Stabellini konsultiert hatte, nachdrücklich, die Untersuchung einzustellen.

"Sie werden sich vielleicht wundern, wie
dieser schreckliche Fall abgeschlossen wurde"

Sie werden sich vielleicht wundern, wie dieser schreckliche Fall abgeschlossen wurde: Der Bischöfe von Como entfernte Don Stabellini aus dem Amt des Offizials. Der Informant, der Seminarist Kamil Jarzembowski, wurde aus dem Seminar ausgeschlossen. Die beiden anderen Seminaristen, die zusammen mit ihm Anzeige erstatteten, verließen das Seminar; und der angebliche Täter, Gabriele Martinelli, wurde im Juli 2017 zum Priester geweiht. All dies geschah innerhalb der Mauern des Vatikans, und während des Gipfels kam nichts davon zur Sprache.

Der Gipfel war daher äußerst enttäuschend. Denn es ist Heuchelei, Missbrauch an Minderjährigen zu verurteilen und zu behaupten, mit den Opfern zu sympathisieren, während man sich weigert, sich den Tatsachen ehrlich zu stellen. Eine geistliche Neubelebung des Klerus dringend notwendig, aber sie wird letztendlich wirkungslos sein, wenn es keine Bereitschaft gibt, das eigentliche Problem anzugehen.

2.  Der zweite Fall betrifft Erzbischof Edgar Peña Parra, den Papst Franziskus zum neuen Substituten im Staatssekretariat ernannt hat, und der damit die drittmächtigste Person in der Kurie ist. Dabei ignorierte der Papst im Wesentlichen ein erschreckendes Dossier, das ihm von einer Gruppe von Gläubigen aus Maracaibo mit dem Titel „¿Quién es verdaderamente Monseñor Edgar Robinson Peña Parra, Nuevo Sustituto de la Secretaría de Estado del Vaticano?“ („Wer ist Erzbischof Edgar Robinson Peña Parra, der neue Substitut im Staatssekretariat, wirklich?“) zugeschickt wurde. Das Dossier wurde im Namen der „Grupo de Laicos de la Arquidiócesis de Maracaibo por una Iglesia y un Clero según el Corazón de Cristo“ („Laien aus der Erzdiözese Maracaibo für eine Kirche und einen Klerus nach dem Herzen Jesu“) von Dr. Enrique W. Lagunillas Machado unterzeichnet. Diese Gläubigen beschuldigten Peña Parra schrecklicher Sittenlosigkeit. Sie beschrieben ausführlich seine angeblichen Verbrechen. Das könnte sogar ein Skandal sein, der den von McCarrick übertrifft. Es darf nicht geduldet werden, dass darüber geschwiegen wird.

Einige Fakten wurden bereits in den Medien veröffentlicht, insbesondere in der italienischen Wochenzeitung L'Espresso. Ich möchte nun Fakten hinzufügen, die dem Staatssekretariat im Vatikan seit 2002 bekannt sind, und die ich als Nuntius erfahren habe.

"Im Januar 2000 beschuldigte der Journalist Gastón
Guisandes López aus Maracaibo einige Priester aus der
gleichnamigen Diözese des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen
und anderer mutmaßlicher krimineller Aktivitäten"

Im Januar 2000 beschuldigte der Journalist Gastón Guisandes López aus Maracaibo einige Priester aus der gleichnamigen Diözese, darunter Erzbischof Peña Parra, des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und anderer mutmaßlicher krimineller Aktivitäten.

Im Jahr 2001 bat Gastón Guisandes López zweimal um eine Audienz beim apostolischen Nuntius in Venezuela, Erzbischof André Dupuy, um diese Fragen zu besprechen. Der Erzbischof weigerte sich jedoch unerklärlicherweise, ihn zu empfangen. Er berichtete dennoch dem Staatssekretariat, dass der Journalist Erzbischof Peña Parra zwei sehr schwere Verbrechen vorgeworfen hatte, deren Umstände dabei beschrieben wurden.

Edgar Peña Parra wurde erstens vorgeworfen, am 24. September 1990 zwei minderjährige Seminaristen aus der Pfarrei San Pablo verführt zu haben, die noch im selben Jahr in das Große Seminar von Maracaibo eintreten sollten. Der Vorfall soll in der Kirche Nuestra Señora del Rosario (Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz) stattgefunden haben, wo José Severeyn Pfarrer war. Pfarrer Severeyn wurde später von dem damaligen Erzbischof Roa Pérez aus der Gemeinde entfernt. Der Fall wurde von den Eltern der beiden jungen Männer der Polizei gemeldet und vom damaligen Rektor des Großen Seminars, Pfarrer Enrique Pérez, sowie vom damaligen Geistlichen Leiter, Pfarrer Emilio Melchor, untersucht. Pfarrer Pérez bestätigte auf Anfrage des Staatssekretariats schriftlich die Vorkommnisse vom 24. September 1990. Ich habe diese Dokumente mit meinen eigenen Augen gesehen.

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Zweitens soll Edgar Peña Parra zusammen mit [Name von "Lifesitenews" entfernt] in den Tod eines Arztes und eines gewissen Jairo Pérez im August 1992 auf der Insel San Carlos im Maracaibosee verwickelt gewesen sein. Die beiden starben an einem Stromschlag, wobei es nicht klar wurde, ob es sich dabei um einen Unfall handelte oder nicht. Diese Anschuldigung ist ebenfalls in dem oben genannten Dossier enthalten, das von der Laiengruppe aus Maracaibo geschickt wurde. Darin wird ebenfalls vermerkt, dass die beiden Leichen nackt gefunden wurden, mit Anzeichen für makabre homosexuelle, unzüchtige Handlungen. Diese Anschuldigungen sind, gelinde gesagt, äußerst schwerwiegend. Doch Peña Parra musste sich ihnen nicht nur nicht stellen, sondern durfte auch im diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls weiterarbeiten.
Diese beiden Vorwürfe wurden 2002 vom damaligen Apostolischen Nuntius in Venezuela, Erzbischof André Dupuy, dem Staatssekretariat mitgeteilt. Die entsprechenden Unterlagen – wenn sie nicht vernichtet wurden – befinden sich sowohl im Personal-Archiv des Staatssekretariats, in dem ich die Position des Delegierten für die päpstlichen Vertretungen innehatte, als auch im Archiv der apostolischen Nuntiatur in Venezuela, wo seither folgende Erzbischöfe als Nuntius tätig gewesen sind: Giacinto Berloco von 2005 bis 2009; Pietro Parolin von 2009 bis 2013; und Aldo Giordano von 2013 bis heute. Sie alle hatten Zugang zu den Unterlagen, in denen über diese Anschuldigungen gegen den zukünftigen Substituten berichtet wurde, ebenso wie die Kardinalsstaatssekretäre Sodano, Bertone und Parolin sowie die Substitute Sandri, Filoni und Becciu.

"Besonders empörend ist das Verhalten von Kardinal
Parolin, der sich als Kardinalsstaatssekretär der jüngsten
Ernennung von Peña Parra zum Substituten nicht widersetzte
und ihn zu seinem engsten Mitarbeiter machte"

Besonders empörend ist das Verhalten von Kardinal Parolin, der sich als Kardinalsstaatssekretär der jüngsten Ernennung von Peña Parra zum Substituten nicht widersetzte und ihn zu seinem engsten Mitarbeiter machte. Mehr noch: Jahre zuvor, im Januar 2011, lehnte Parolin als Apostolischer Nuntius in Caracas die Ernennung von Peña Parra zum Erzbischof und apostolischen Nuntius für Pakistan nicht ab. Vor solchen wichtigen Ernennungen wird ein strenger Informationsprozess durchgeführt, um die Eignung des Kandidaten zu überprüfen, so dass diese Anschuldigungen sicherlich Kardinal Parolin zur Kenntnis gebracht wurden.

Darüber hinaus kennt Kardinal Parolin die Namen einer Reihe von Priestern in der Kurie, die sexuell unkeusch sind und gegen die Gesetze Gottes verstoßen, zu deren Lehre und Praxis sie sich feierlich verpflichtet haben. Und er schaut weiterhin weg.

Wenn die Verantwortung von Kardinal Parolin schwerwiegend ist, so ist dies umso mehr die von Papst Franziskus. Denn er hat einen Mann, der wegen solch schwerer Verbrechen beschuldigt wird, für eine äußerst wichtige Position in der Kirche ernannt, ohne zuvor auf eine offene und gründliche Untersuchung zu bestehen. Diese schreckliche Geschichte hat noch einen weiteren skandalträchtigen Aspekt. Peña Parra ist mit Honduras, genauer gesagt mit Kardinal Maradiaga und mit Bischöfe Juan José Pineda, eng verbunden. Zwischen 2003 und 2007 diente Peña Parra in der Nuntiatur in Tegucigalpa. In dieser Zeit war er Juan José Pineda ganz nahe, der 2005 zum Weihbischof von Tegucigalpa geweiht und die rechte Hand von Kardinal Maradiaga wurde. Juan José Pineda trat im Juli 2018 von seinem Amt als Weihbischof zurück, ohne den Gläubigen von Tegucicalpa einen Grund dafür zu nennen.  Papst Franziskus hat die Ergebnisse des Berichts nicht veröffentlicht, den der Apostolische Visitator, der argentinische Bischöfe Alcides Casaretto, vor mehr als einem Jahr unmittelbar und allein an ihn übergeben hat. Wie kann man die bestimmte Entscheidung von Papst Franziskus interpretieren, nicht über diese Angelegenheit zu sprechen oder Fragen zu beantworten, außer als Vertuschung der Fakten und Schutz eines homosexuellen Netzwerks? Solche Entscheidungen offenbaren eine schreckliche Wahrheit: Anstatt offene und ernsthafte Ermittlungen gegen die Beschuldigten schwerer Straftaten gegen die Kirche zuzulassen, lässt der Papst die Kirche selbst leiden.

"Papst Franziskus selbst deckt den Missbrauch jetzt,
wie er es vorher bei McCarrick getan hat"

Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Sie fragten mich, ob ich Anzeichen dafür sehe, dass der Vatikan unter Papst Franziskus geeignete Schritte unternimmt, um das ernste Problem des Missbrauchs anzugehen. Meine Antwort ist einfach: Papst Franziskus selbst deckt den Missbrauch jetzt, wie er es vorher bei McCarrick getan hat. Ich sage das mit großer Sorge. Als König David den gierigen reichen Mann in Nathans todeswürdigem Gleichnis aussprach, sagte der Prophet ihm unverblümt: „Du bist der Mann“ (2. Sam 12,1-7). Ich hatte gehofft, dass mein Zeugnis wie das von Nathan aufgenommen werden könnte, aber es wurde stattdessen wie das von Micha aufgenommen (1. Kön 22,15-27). Ich bete, dass sich das ändert.

Aus dem Englischen von José García

Die Hintergründe zu diesem Thema finden Sie in der Wochenausgabe der Tagespost.

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