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„Hier glaubt man an die Arbeit statt an Gott“

Geflüchtete junge Christen berichteten beim Katholikentag über ihre Erfahrungen in Deutschland. Von Gerd Felder
Siemens-Förderklasse für Geflüchtete
Foto: Monika Skolimowska (dpa-Zentralbild) | 26.04.2016, Sachsen, Leipzig: Der 19-jährige Mohammad aus Afghanistan arbeitet im Ausbildungszentrum der Siemens Professional Education an der Verdrahtung eines Schaltschranks.

Das Urteil der drei jungen geflüchteten Christen aus dem Irak und Syrien über den Glauben der Deutschen fiel vernichtend aus. „Hier glaubt man an die Arbeit oder höchstens noch an Fußball, aber nicht an Gott“, erklärte Alaa Murad stellvertretend für die drei jungen Leute, die der Gemeinde der arabisch sprechenden Christen in Münster angehören. „Das Zeitmanagement im Hinblick auf Gott und Arbeit ist in Deutschland total aus dem Lot.“ Allerdings hoben die drei bei einem Zeugengespräch zum Thema „Integration im Alltag: Chancen und Probleme“ beim Katholikentag auch hervor, dass es für sie als Christen einfacher sei, sich in Deutschland zu integrieren, als für muslimische Flüchtlinge. „Wir sind offener aufgewachsen als gleichaltrige Muslime, wissen, was hier läuft, und dürfen alles tun, was Deutsche auch tun dürfen“, stellte die angehende Studentin Meghrig Aro fest.

Alaa Murad, 1992 in Mossul (Irak) geboren, berichtete, dass er 2003 zunächst ins syrische Damaskus geflüchtet und dann 2009 nach Deutschland gekommen sei. Das sei ihm durch ein Programm der evangelischen Kirche ermöglicht worden, mit dessen Hilfe 2 000 Christen in Deutschland aufgenommen worden seien. Alaa war 17, als er in Münster ankam und musste sich erst einmal mit der Frage herumschlagen, wie er an der Schule vorläufig eingestuft werden sollte, bis er endlich das richtige Gymnasium fand. „Das Problem ist: Wenn man nach Deutschland kommt, kann man nach Einschätzung der Einheimischen nichts“, lautete seine kritische Einschätzung. „Einen Menschen nur nach seinem Namen und Aussehen einzustufen, wie es hier geschieht, das finde ich krass.“ So habe er beispielsweise erleben müssen, dass eine sehr erfahrene Religionslehrerin ihm gegenüber bekundet habe: „Es gibt da, woher Sie kommen, keine Christen mehr.“ Mitschüler hätten ihn allen Ernstes gefragt, wie sein Zelt zu Hause ausgesehen habe und ob er mit dem Kamel von Ort zu Ort geritten sei. „Man muss einfach alles von Null auf erklären, denn wir denken, reden, essen anders“, resümierte Alaa. „Das sind zwei verschiedene Welten.“ Derzeit studiert er in Bochum.

Der 22-jährige Lavan Qaqus hatte zunächst noch sein Abitur im Irak absolviert, konnte aber dort nicht studieren und entschloss sich wegen des Bürgerkriegs zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen vor zweieinhalb Jahren zur Flucht über die Türkei nach Deutschland. Zwei Jahre lang musste er auf einen Aufenthaltsstatus warten und konnte dann erst einen Deutsch-Kurs absolvieren. „Es ist sehr wichtig, die Sprache zu lernen und mit den Einheimischen zu kommunizieren“, betonte der Katholik. Deshalb fing er im Laufe der Zeit an, Basketball zu spielen und knüpfte dabei auch Freundschaften. Gerade macht er eine Ausbildung in der Altenpflege und will später studieren.

Meghrig Aro, armenisch-orthodoxen Bekenntnisses und in Kamischli an der Grenze zur Türkei geboren, erzählte, dass sie nach ihrer Flucht vor fünf Jahren zunächst sechs Monate lang mit ihrer Familie in einem kleinen Raum gelebt habe. „Ich konnte kein Wort Deutsch und kannte niemanden“, erinnerte sie sich. „Alles war neu.“ Erst als die große Flüchtlingswelle Deutschland im Sommer 2015 erreicht habe, sei die Bevölkerung aufgewacht und habe gemerkt, dass die Flüchtlinge Hilfe bräuchten. Nach zehn Monaten Deutschunterricht auf einer Sprachschule habe sie das Gymnasium besuchen können, aber dass der Unterricht in allen Fächern in Deutsch stattgefunden habe, sei für sie sehr schwer gewesen. Auch die Wohnungssuche für die siebenköpfige Familie habe zweieinhalb Jahre gedauert. Inzwischen habe sie aber deutsche Freunde gewonnen und die europäische und deutsche Kultur sehr gut kennengelernt; demnächst wolle sie studieren. „Alles braucht eben seine Zeit“, meinte sie lächelnd.

Die Kontakte in die alte Heimat sind bei allen drei jungen Leuten sehr eingeschränkt. „Das Zuhause besteht nicht so sehr aus Steinen, sondern mehr aus Menschen“, meinte Alaa Murad. „Unser Haus in Mossul steht noch, aber der Kontakt zu Nachbarn und Freunden besteht nur noch oberflächlich.“ Und Meghrig Aro ergänzte: „Mir ist bewusst, dass das Kamischli, wie es vor fünf Jahren war, völlig verschieden ist von dem heute, und ich möchte das schöne Bild von damals in Erinnerung behalten.“ Wenn sie mit den zurückgebliebenen Verwandten vor Ort telefoniere, dann werde ihr immer wieder versichert, dass es allen gut gehe. „Ob sie uns nur beruhigen wollen oder ob das wirklich stimmt, weiß ich nicht“, sagte sie.

Alle drei stimmten darin überein, dass sie ihren christlichen Glauben vor dem Krieg so hätten ausüben können, wie sie wollten. Inzwischen aber spielten religiöse Unterschiede eine viel größere Rolle. Und trotz aller Probleme sind sich alle drei auch einig in ihrem positiven Urteil über die Integration in Deutschland. „Für mich ist die Gemeinde der arabisch sprechenden Christen in Münster eine große Hilfe“, bekannte Meghrig Aro. „Die eigene Kultur nicht zu vergessen und sich gleichzeitig zu integrieren, das ist wichtig. Ohne Bildung kommt man nicht weiter.“ Auch der sonst eher kritische Alaa Murad stimmte zu: „Flüchtlinge haben in Deutschland alle Chancen, sich zu bilden und zu integrieren. Wir haben alle Rechte, die die Einheimischen auch haben, und alle Wege stehen uns offen.“  Nicht verstehen können die drei allerdings, dass viele junge Deutsche nicht in die Kirche gehen und dass gerade Christen oft neidisch auf ihre Mitmenschen sind. „Einen Satz wie: ,Ich hasse meinen Bruder´ - den habe ich hier zum ersten Mal gehört“, fasste Meghrig Aro ihre Eindrücke zusammen.

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