Erscheint das abendländische Erbe zumal angesichts des zunehmenden Pluralismus der Religionen, der Integration außereuropäischer Zuwanderer und angesichts einer aggressiven neuen Rechten, die das Abendland beschwört, nur als unnötiger Ballast? Liegt es nicht nahe, dass sich Kirche als nützliche Kraft für Staat und Gesellschaft dadurch erweisen könnte, dass sie auf den Wahrheitsanspruch verzichtet und das abendländische Erbe zur Disposition stellt?
In der Vision des Apostels Paulus sah Kardinal Ratzinger die Fundamente Europas erkennbar werden
Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Ratzinger, hat vor vierzig Jahren in seiner Domkirche folgende Stelle aus der Apostelgeschichte (16,6 10) gedeutet: Auf einer Missionsreise in Kleinasien wird dem Apostel Paulus im Traum von einem Makedonier von Griechenland aus über die Meerenge zugerufen: "Komm herüber und hilf uns!" In dieser Vision sah der Kardinal wie in keinem anderen Vorgang die "Fundamente Europas" erkennbar werden, "seinen Grund und seinen Auftrag an uns".
Eine Vernunft, die Sehnsucht geworden ist
Der Makedonier steht für Griechenland, für Europa, "seine Bitte entscheidet die kommende Geschichte. In ihr ruft der Geist der griechischen Welt nach Jesus Christus. Und so ist Europa geworden, das Europa, in dem wir leben, das Europa, das heute uns ruft. Es beruht auf der Vereinigung von griechischem Geist und christlichem Glauben, auf einer Vernunft, die Sehnsucht geworden ist, im Entbehren ahnt, was ihr fehlt. Und es beruht auf der Hand Jesu Christi, der die offene Hand ergreift und ihr Wegweisung gibt".
DT
Wie das Christentum in Europa die Synthese aus dem Glauben Israels und dem griechischen Geist herstelle, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der „Tagespost“ vom 24. Januar 2019.