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Ein Frage von missbrauchter Macht

Theologen über Klerikalismus: In Graz beschäftigte sich ein Studientag mit Machtstrukturen in der Kirche, die den Missbrauch begünstigt haben könnten. Von Moritz Windegger
Tagung zu Klerikalismus und Missbrauch
Foto: Friso Gentsch (dpa) | Die Kirche verweigere seit dem 19. Jahrhundert den Dialog mit den Humanwissenschaften, seit den 1970er Jahren sei sie noch einmal ein Stück antimodernistischer geworde, meint der Freiburger Theologe Magnus Striet.

Klerikalismus” ist ein verbreiteter Begriff. Papst Franziskus sieht darin die Ursache für sexuellen Missbrauch in der Kirche. Die theologische Fakultät der Karl-Franzens-Universität in Graz organisierte jetzt einen Studientag und fragte, ob es Machtstrukturen in der Kirche gibt, die den Missbrauch begünstigt haben.

"Es geht nicht an, Homosexualität und Missbrauch in ursächlichen Zusammenhang zu stellen"

“Um aus der Endlosschleife herauszukommen, muss die Kirche offensiv mit diesem Skandal umgehen”, stellte eine der Organisatorinnen der Veranstaltung, Irmtraud Fischer, fest. Fischer ist Professorin für Alttestamentliche Bibelstudien. Als eine der wenigen in der internationalen Debatte bewahrt sie die Geistesgegenwart, einer Verzweckung des Skandals für andere Theologie-Agenden entgegenzutreten: “Es geht nicht an, Homosexualität und Missbrauch in ursächlichen Zusammenhang zu stellen. Ebenso wenig gilt das für den Zölibat”, sagte Fischer. Auch das Alte Testament erzähle die “übelsten Dinge” dieser Welt, auch von Missbrauch. Beim Lesen der Bibel sollten wir heute zwar nicht die Standards im Alten Orient beurteilen, “aber wir sind verpflichtet, solchen Texten jedwede normierende Kraft abzusprechen”, erläuterte Fischer.

Einen anderen Ansatz wählte die Dogmatikprofessorin Gunda Werner. Ihr ging es darum, jene “Themen zu beleuchten, die hinter dem Missbrauch liegen”. Mit den Ideen des französischen Soziologen Michel Foucault (1926-1984) analysierte Werner: “Ein geschlossenes Machtsystem, in dem alle Lebensbereiche eines Menschen unter Beobachtung stehen, hat asymmetrische Machtstrukturen zur Folge”, sagte sie. Hierbei entstünden Abhängigkeiten. Als Beispiel nannte sie die Beichtpraxis. Ob es tatsächlich Daten gibt, die darauf deuten, dass Beichte Schweigen und Vertuschung befördert, erläuterte sie nicht.

Theologe Striet sieht Ursache "systemischen Missbrauchs" in Theologie und Sakramentenverständnis

Der Freiburger Theologe Magnus Striet sieht die Ursache “systemischen Missbrauchs” in Theologie und Sakramentenverständnis: Überhöhung und Sakralisierung des Klerus, die Beichtpraxis, in der Menschen bis heute schuldhafte Sexualität vermittelt werden würde, und die Erbsündenlehre, die seit Augustinus die Kirche bestimmte, seien Ausdruck einer voraufklärerischen Theologie. Die Kirche verweigere seit dem 19. Jahrhundert den Dialog mit den Humanwissenschaften, seit den 1970er Jahren sei sie noch einmal ein Stück antimodernistischer geworden.

Für Striet lebten katholische Priester in einem Zwiespalt zwischen Überhöhung des Amtes und eigener menschlicher Bedürfnisse. Im Umgang mit der eigenen Sexualität seien sie schlicht überfordert.  Wäre einer homosexuell, wäre diese Überforderung noch schlimmer. In der “Gegenwelt der Seminare” (Striet) gelte dies bis heute. Dazu verwies er öfter auf die Missbrauchs-Studie der deutschen Bischofskonferenz. Zu den inzwischen vermehrt aufgetauchten Zweifeln an dem, was diese Zahlen genau aussagen, sagte Striet in Graz nichts. Allerdings stellte auch er fest, dass die Aktenlage schwierig sei. Archive wurden offenbar gesäubert oder bearbeitet. Trotzdem war sich Striet seiner Schlussfolgerungen mit empirischer Gewissheit sicher.

Für den Kirchenrechtler Lüdecke bleibt die Moraltheologie das Hauptproblem

Ebenso sicher gab sich der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke: Eine Kirche, in der der Priester “in Persona Christi” handelt, führe zu Überhöhung. Dazu zitierte er Selbstbeschreibungen von Priestern aus früheren Jahrzehnten, in denen von “Glanz” und “Heiligkeit” die Rede ist. Auf Nachfrage aus dem Publikum antwortete der Regens des Grazer Priesterseminars darauf, dass die Situation heute sicher eine andere sei als noch vor Jahrzehnten. Außerdem stellte Lüdecke fest, dass das Kirchenrecht sexuellen Missbrauch immer noch als “minderes Verbrechen” werte. Die Bemühungen von Benedikt XVI., nicht nur das Recht anzupassen, sondern die Verbrechen auch zu benennen, lässt Lüdecke aus. Für ihn bleibt die Moraltheologie das Hauptproblem:  “Wer wirklich etwas ändern will, muss mit dem Erbe von Johannes Paul II. aufräumen”.

Dann kam das Referat von Sandra Fernau. Die Theologin hatte in Niedersachsen an jenem Projekt mitgearbeitet, in dem “Überlebende von Missbrauch”  von den erlittenen Verbrechen erzählt haben. Die Texte beschreiben, wie Buben aus Schlafsälen geholt und auf welche Art sie in Zellen vergewaltigt wurden. Und wie Täter das auch noch theologisch schönzureden suchten. Obschon in Graz einiges offen blieb, wurde dabei jedem klar: Für derartige Verbrechen darf es in der Kirche “null Toleranz” geben.

DT

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