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"Christlichem Zeugnis in der Welt einen breiten Atem geben"

Im Wortlaut die Ansprache des Heiligen Vaters beim Regina Coeli am 29. April.
Papst Franziskus wendet sich an die Gläubigen
Foto: Alessandra Tarantino (AP) | Papst Franziskus wendet sich an die Gläubigen.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Auch an diesem fünften Sonntag der Osterzeit fährt das Wort Gottes fort, uns den Weg und die Bedingungen zu weisen, um Gemeinschaft des auferstandenen Herrn zu sein. Am vergangenen Sonntag war die Beziehung zwischen dem Gläubigen und Jesus, dem Guten Hirten, hervorgehoben worden. Heute unterbreitet uns das Evangelium den Moment, da Jesus sich als der wahre Weinstock vorstellt und uns einlädt, mit ihm vereint zu bleiben, um reiche Frucht zu bringen (vgl. Joh 15,1-8). Der Weinstock ist eine Pflanze, die mit den Reben eine Einheit bildet; und die Reben sind nur fruchtbar, wenn sie mit dem Weinstock vereint sind. Diese Beziehung ist das Geheimnis des christlichen Lebens, und der Evangelist Johannes bringt es mit dem Verb „bleiben“ zum Ausdruck, das im heutigen Abschnitte neun Mal wiederholt wird. „In mir bleiben“, sagt der Herr; im Herrn bleiben.

Es geht darum, beim Herrn zu bleiben, um den Mut zu finden, aus uns selbst herauszugehen, aus unseren Bequemlichkeiten, aus unseren begrenzten und geschützten Räumen, um in die offene See der Bedürfnisse der anderen zu stechen und unserem christlichen Zeugnis in der Welt einen breiten Atem zu geben. Dieser Mut, aus uns selbst herauszugehen und uns in die Bedürfnisse der anderen hineinzubegeben, entsteht aus dem Glauben an den auferstandenen Herrn und aus der Gewissheit, dass sein Geist unsere Geschichte begleitet.

Eine der reichsten Fürchte, die der Gemeinschaft mit Christus entspringt, ist nämlich der Einsatz der Liebe zum Nächsten, die Brüder und Schwestern mit Selbstverleugnung zu lieben, bis zu den letzten Konsequenzen, so wie Jesus uns geliebt habe. Die Dynamik der Nächstenliebe des Gläubigen ist kein Ergebnis von Strategien, sie entspringt nicht äußerlichen Anregungen, sozialen oder ideologischen Forderungen, sondern sie geht aus der Begegnung mit Jesus und dem Bleiben in Jesus hervor. Er ist für uns der Weinstock, von dem wir den Lebenssaft aufnehmen, also das „Leben“, um in die Gesellschaft eine andere Art des Lebens und der Hingabe zu bringen, die die Letzten an die erste Stelle setzt.

Wenn man mit dem Herrn innig vertraut ist, wie der Weinstock und die Reben innig miteinander vereint sind, vermag man Früchte des neuen Lebens, der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit und des Friedens tragen, die aus der Auferstehung des Herrn hervorgehen. Es ist dies das, was die Heiligen getan haben, diejenigen, die in Fülle das christliche Leben und das Zeugnis der Liebe gelebt haben, weil sie echte Reben des Lebens des Herrn waren. Aber um heilig zu sein, „muss man nicht unbedingt Bischof, Priester, Ordensmann oder Ordensfrau sein. [...] Wir sind alle berufen, heilig zu sein, indem wir in der Liebe leben und im täglichen Tun unser persönliches Zeugnis ablegen, jeder an dem Platz, an dem er sich befindet“ (Apostolisches Schreiben „Gaudete et exsultate“, 14). Wir alle sind dazu berufen, heilig zu sein; wir müssen mit diesem Reichtum heilig sein, den wir vom auferstandenen Herrn empfangen. Jede Aktivität – Arbeit und Ruhe, Familie und soziales Leben, die Ausübung politischer, kultureller und wirtschaftlicher Verantwortung –, jede Aktivität, sowohl die kleine als auch die große, ist, wenn sie in Gemeinschaft mit Jesus und mit einer Haltung der Liebe und des Dienstes gelebt wird, eine Gelegenheit, in Fülle die Taufe und die dem Evangelium entsprechende Heiligkeit zu leben.

Es helfe uns Maria, Königin der Heiligen und Vorbild vollkommener Gemeinschaft mit ihrem göttlichen Sohn. Sie lehre uns, wie die Reben am Weinstock in Jesus zu bleiben und uns nie von seiner Liebe zu trennen. Nichts nämlich vermögen wir ohne ihn, denn unser Leben ist der lebendige Christus, der in der Kirche und in der Welt gegenwärtig ist.


Nach dem Regina Coeli:

Liebe Brüder und Schwestern!

Gestern wurde in Krakau die Laiengläubige Anna Chrzanowska seliggesprochen, die ihr Leben der Sorge um die Kranken widmete, in denen sie das Antlitz des leidenden Jesus sah. Wir wollen Gott für das Zeugnis dieser Apostelin der Kranken danken und uns anstrengen, ihr Beispiel nachzuahmen.

Ich begleite mit dem Gebet das positive Ergebnis des interkoreanischen Gipfels vom vergangenen Freitag und das mutige Engagement der Führer der beiden Parteien, einen Weg des aufrechten Dialogs für eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel zu verwirklichen. Ich bete zum Herrn, dass die Hoffnungen auf eine Zukunft des Friedens und der brüderlicheren Freundschaft nicht enttäuscht werden und dass die Zusammenarbeit weiterhin gute Früchte für das geliebte koreanische Volk und für die ganze Welt bringen kann.

In der vergangenen Woche wurde die christliche Gemeinschaft Nigerias erneut von der Tötung einer Gruppe von Gläubigen heimgesucht, unter diesen zwei Priester: wir empfehlen dem Gott der Barmherzigkeit diese Brüder und Schwestern, auf dass er jenen so geprüften Gemeinden beistehe, Eintracht und Frieden wiederzufinden.

Liebe Brüder und Schwestern, übermorgen, am 1. Mai, werde ich am Nachmittag den Marienmonat mit einer Wallfahrt zum Heiligtum Unserer Lieben Frau von der Göttlichen Liebe („Madonna del Divino Amore“) beginnen. Wir werden den Rosenkranz beten, besonders für den Frieden in Syrien und auf der ganzen Welt. Ich lade alle ein, sich geistlich anzuschließen und das Gebet des Rosenkranzes für den Frieden über den ganzen Monat Mai hinweg zu verlängern.

Aus dem Italienischen von Armin Schwibach

 

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