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Herde gesucht

Im vergangenen Jahr hat die Zahl der Kirchenaustritte erneut stark zugenommen. Was tun deutsche Bistümer angesichts der desaströsen Statistik, um die verlorenen Schafe wiederzugewinnen?
Ein Bischof auf dem Weg zum Bonifatiusgrab in Fulda
Foto: Arne Dedert (dpa) | Angesichts immer größerer Austrittszahlen sind deutsche Bischöfe auf der Suche nach Wegen aus der Krise.

Besorgniserregend“ seien die dramatischen Rückgänge an Kirchenmitgliedern und Gottesdienstbesuchern. „Wir bedauern es, wenn Menschen die katholische Kirche verlassen.“ Die Zahlen der Sakramentenspendungen zeigen, „dass der Abwärtstrend nicht zu stoppen ist“. Der Sekretär der deutschen Bischöfe, Pater Hans Langendörfer SJ, griff kürzlich auf die derzeit übliche Mischung aus Kritik annehmen und Verständnis zeigen zurück. Aber was tun die deutschen Bistümer konkret, um in einem Land, in dem die Zahl der Priester 2018 um weitere 2 400 geschrumpft und in dem der Glaube vielerorts bereits komplett verdunstet ist, eine Kehrtwende einzuleiten? Langendörfer spricht von Veränderungsprozessen. „Initiativen wie Maria 2.0 zeigen uns, dass die Menschen sich Veränderungen in der Kirche wünschen. Der synodale Weg, den wir gemeinsam gehen wollen, soll auch diese Kritik aufgreifen“, betont der Jesuit.

Katholiken in Deutschland
Foto: Harald Woblick | Die jüngst veröffentlichten Zahlen zum kirchlichen Leben in Deutschland zeigen teils dramatische Verluste.

Was in der Stellungnahme fehlt ist ein Bericht über die Hausaufgaben, die Papst Franziskus den deutschen Bischöfen im Jahr 2015 anlässlich ihres damaligen Adlimina-Besuches aufgegeben hat. „Die Beichte“, so der Pontifex, „ist vielerorts verschwunden“ und deshalb, so forderte er, muss sichergestellt werden, dass „dieses für die geistliche Erneuerung so wichtige Sakrament in den Pastoralplänen der Diözesen und Pfarreien mehr Berücksichtigung findet.“

DBK verweist auf "Synodalen Weg" und "Maria 2.0"

Auch die Stichworte Bekehrung, Gebet, Mission und die Erinnerung, dass die katholische Kirche in Deutschland keine Insel ist, wie der Papst in seinem Brief an die Katholiken in Deutschland hervorhebt, spielen in der offiziellen Reaktion der deutschen Bischofskonferenzen keine Rolle. Hier geht es, wie der Verweis auf Maria 2.0 und den „Synodalen Weg“ verdeutlicht, vielmehr um die Fragen von Machtverteilung, Ämtern und Sexualität. Wie das konkret aussieht, zeigt eine Äußerung von Kardinal Marx bei einem Treffen mit Lektorinnen und Lektoren seines Erzbistums im Hinblick auf das geltende Predigtverbot von Laien bei Messfeiern: „Wollen wir nicht sagen, wer eine Begabung hat, der soll sprechen?“

Sprechen möchte der Berliner Erzbischof Heiner Koch insbesondere mit jenen, die aus der Kirche ausgetreten sind. „Bitte kommen auch Sie auf mich zu“, sagte er am Samstag im rbb-Rundfunk. „Lassen Sie uns wissen, was Sie bewogen hat, aus der Kirche auszutreten. Keine Sorge: Natürlich nehmen wir Ihre Entscheidung ernst, dass Sie nicht mehr dazugehören wollen“, so der Berliner Oberhirte. „Aber nur wenn wir wissen, warum Sie ausgetreten sind, können wir versuchen, aus unseren Fehlern zu lernen.“

Mehr als 7.000 Katholiken haben 2018 ihren Austritt aus der katholischen Kirche erklärt. Koch geht von verschiedenen möglichen Ursachen aus. „Missbrauchsfälle, die Kirchensteuer, eine schlechte Predigt, eine patzige Antwort bei der Anmeldung einer Beerdigung, ein von der Kirche nicht Beachtet- oder Respektiertwerden“.

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Als Kirche sind wir, wie der Würzburger Bischof Franz Jung betont, „aufgefordert, uns selbst zu bekehren und Anstrengungen zu unternehmen, in einer Welt mit vielen Sinnangeboten Menschen für Christus zu gewinnen“. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick ist überzeugt: „Die Austrittszahlen und die Anzahl der Taufen können durch eine gute Seelsorge und missionarisches Wirken beeinflusst werden.“ Im Bistum Regensburg setzt man mit der Aktion „Austrittstelefon – Bitte rufen Sie an!“ zudem auf persönliche Erreichbarkeit und die Fähigkeit zuzuhören. Wie schon im letzten Jahr stehen hier bis zum 31. August Diakon Michael Weißmann, Schwester Maria Benedikta Rickmann, Monsignore Thomas Schmid und Pfarrer Georg Flierl als Zuhörer und Gesprächspartner zur Verfügung. Ein weiteres Plus in Sachen Stabilisierung und Rückgewinnung der Gläubigen ist: Traditionen pflegen wird im Bistum Regensburg großgeschrieben.

Vaterunserblog und Regensburger Rosenkranz

Da ist beispielsweise die St. Anna-Wallfahrt, zu der es informative Links auf der Homepage gibt, die das Erlebnis vertiefen helfen. Mit dem Regensburger Rosenkranz – gefertigt aus heimischen Hölzern und der Bibel mit den Sonntagsperikopen und ansprechenden Bildern aus verschiedenen Kirchen des Bistums zeigt man in diesem Bistum, dass es möglich ist, in aller Ruhe gemeinsam den Glaubensweg zu gehen. Sich über Jesus Christus, die Sakramente, die Heiligen und konkrete Wege, den Glauben zu leben, zu informieren, fällt auf der Homepage des Bistums leicht. Die Informationen sind gut sortiert. Man findet nicht nur einen Überblick über Zahlen und Fakten, sondern auch einen Vaterunserblog oder eine Videobotschaft mit den Glaubenszeugnissen derer, die zu ihrer Kirche stehen.

Schaut man sich die Homepage des Erzbistums Hamburg an, muss man deutlich weiter hinunterscrollen, um auf den Link „Theologisches, Spirituelles, Kulturelles und mehr“ zu stoßen. Hier setzt man statt auf Glaubensverkündigung stärker auf das Fortbildungsmodell. Angesprochen werden vor allem diejenigen, die bereits als Lektoren, Kommunionhelfer oder in den Chören der Pfarreien aktiv sind. Im Bistum Essen beschäftigt man sich seit 2018 intensiv auf theoretischer Ebene mit dem Thema. Die zu diesem Zweck gegründete Projektgruppe hat sogar ein Buch herausgebracht, in dem man in Interviews mit Ausgetretenen mehr über deren Gründe erfahren kann. Die Schlussfolgerungen, die die Gruppe rund um den Essener Generalvikar Klaus Pfeffer zieht: Mehr konkrete Erreichbarkeit, ein zeitgemäßes Outfit der Kirche und durchgreifende Änderungen der kirchlichen Lehre hinsichtlich der Sexualmoral tue not, um nicht noch mehr an Boden zu verlieren.

Zwischen "weiter so" und Reformkatholizismus

Wie das konkret und im weltkirchlichen Kontext aussehen soll, wird ebenso wenig thematisiert, wie Kardinal Marx die Frage beantwortet, wer künftig darüber entscheiden soll, wer eine Begabung zum Predigen hat. Dabei wäre es spannend, zu erfahren, ob rhetorisch und stimmtechnisch offensichtlich untrainierte Priester künftig vom Predigtdienst befreit sind und ob die unterhaltsame Pfarrgemeinderatsvorsitzende, die sich für den frei werdenden Posten des Predigers beworben hat, irgendeine Ausbildung erhalten sollte.

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Zieht man ein Fazit unter die nicht selten von Rat- und Hilflosigkeit kündenden Reaktionen aus den Diözesen, stellt man fest: Es gibt zwei grundsätzliche Formen des Umgangs mit dem Phänomen Kirchenaustritte. Die eine besteht in einem in seiner Munterkeit leicht verkrampft wirkenden „weiter so“. Die Vertreter des sogenannten Reformkatholizismus setzen unter dem Diktat der als notwendig deklarierten Modernisierung auf eine Aufhebung essenzieller Regeln und Traditionen. Diejenigen, die die gesellschaftlichen Entwicklungen beobachten und sowohl die Statistiken als auch Jesu Wort von der kleinen Herde ernst nehmen, arbeiten oft in Stille an der durch ihr Leben bezeugten unverkürzten Verkündigung des Evangeliums. Was auf diesem Weg helfen kann, lehrt ein Blick auf die Presseseite des Bistums Osnabrück zum Thema Kirchenaustritte. Dort befindet sich unter der Statistik und der Bekundung des guten Willens zur Änderung der Lage ein Bild mit der entscheidenden Bitte: „Herr, lehre uns beten.“

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