Tiefenentspannte Katholiken sind in Zeiten der Kirchenkrise ein Phänomen mit Seltenheitswert. George Weigels verschmitztes Lächeln und diskrete Ironie scheinen die Wogen, die das Schiff des Kirche derzeit umtreiben, einen Abend lang zu beruhigen. Der Biograf Johannes Pauls II. des Washingtoner Think Tanks „Ethics and Public Policy Center“ und Autor des katholischen Magazins „First Things“ ist nach München gekommen, um sein neues Buch „Die Erneuerung der Kirche – Tiefgreifende Reform im 21. Jahrhundert“ (Media Maria-Verlag) vorzustellen.
Unaufgeregt im Tonfall beschreibt er Krise und Wirkung
Unaufgeregt im Tonfall beschreibt er im gesteckt vollen Pfarrsaal der Münchner Allerheiligengemeinde Krise und Wirkung. Ein Gentleman der Kirchenkritik, der Probleme beim Namen nennt – etwa die getauften katholischen Heiden, die ohne Überzeugung innerhalb der kanonischen Grenzen der Kirche leben. Sie sind zugleich Ziel seiner missionarischen Verve. George Weigel hat einen geistlichen Marshallplan zum Wiederaufbau der in den westlichen Ländern schwächelnden katholischen Kirche mitgebracht.
Wer hören will, der höre: Die Kirche der Neuevangelisierung, der Weigels Herzblut gilt, drückt die klassischen Merkmale – Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität – in zehn Facetten aus: Freundschaft mit Christus, Anerkennung der göttlichen Offenbarung und Lehrautorität der Kirche, Feier der Sakramente als Weg zur Heiligung, Aufruf zur lebenslangen Bekehrung, die würdige Feier traditioneller und konzilsgemäß erneuerter Liturgie, ein christozentrisches Verständnis der Heiligen Schrift, das ein gewisses Maß an historisch-kritischer Deprogrammierung beinhaltet, die Akzeptanz der kirchlichen Hierarchie als Ausdruck der Vielfalt der Berufungen, Mission in Form einer kulturbildenden Gegenkultur, die Verbindung von Glaube und Vernunft im öffentlichen Wirken sowie missionarisches Bewusstsein in der Erwartung des wiederkehrenden Herrn. Die Prüfsteine, an denen sich jede Kirchenreform messen lassen muss, bestehen aus Weigels Sicht in der Freundschaft mit Christus und in der Mission.
Weigel kämpft für das geistige Erbe von Johannes Paul II.
Viele der überwiegend jüngeren Teilnehmer waren noch nicht auf der Welt, als der Papst gewählt wurde, dessen Konzilsinterpretation den Begriff Neuevangelisierung maßgeblich geprägt hat: der heilige Johannes Paul II. Für sein geistliches Erbe kämpft Weigel unbeirrbar und unpolemisch. Ein amerikanischer Gentleman mit Sendungsbewusstsein, dessen positive Perspektive auf Europa mitunter verblüfft.
Die gegenwärtige Phase der Kirchengeschichte vergleicht George Weigel im Gespräch mit dieser Zeitung mit einer Reinigung, die noch nicht abgeschlossen ist. Ohne Lamento, eher aus gebotener Nüchternheit erwartet er weitere negative Nachrichten über klerikales Fehlverhalten und bischöfliches Versagen in der Leitung. Als Fortschritt in der Aufarbeitung der Missbrauchskrise in den USA wertet er die Anwendung einheitlicher Standards in den Diözesen und die Einbindung von Laien.
DT
Aber was wird aus dem Erbe Johannes Pauls II.? Verblasst es? Die Antwort erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe der "Tagespost" vom 04. Juli 2019.