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„Die Zeit der Ermüdung scheint vorbei zu sein“

Die Charismatische Erneuerung hört auf, sich selbstverliebt oder ängstlich um sich selbst zu drehen, denn sie ist beim Dienst an der ganzen Kirche angekommen, meint der Wiener Diakon Johannes Fichtenbauer gegenüber der „Tagespost“. Von Stephan Baier
Die Charismatische Erneuerung (CE) feierte zu Pfingsten mit Papst Franziskus in Rom ihr 50-jähriges Bestehen. Welche Botschaften und Wegweisungen richtete Papst Franziskus an die CE?

Die Papstansprache während der ökumenischen Vigilfeier am Pfingstsamstag auf dem Circo Massimo war Programm. „Der Herr hat nur eine einzige Braut“, betonte Franziskus und sprach von dem Ruf zur Versöhnung der Christen hin zu einer „Einheit in Verschiedenheit“, zu der die charismatisch bewegten Christen beizutragen hätten. Das gemeinsame Bekenntnis, in dem wir schon längst fest verbunden sind, gilt es vor allem Trennenden zu verkünden: Jesus ist der Herr! Als Christen aus allen Konfessionen sind wir dazu berufen, diesen Frieden untereinander durch eine manifeste Praxis zu bezeugen. Diese Einheit gilt auch angesichts unserer Unterschiede. Allerdings, so Papst Franziskus, bedarf die Realisierung dieser Einheit einer besonderen Gnade der Versöhnung, die er als spezielles Geschenk des Heiligen Geistes gerade an die Charismatische Erneuerung ausmachen kann. In diesem Sinn rief der Papst die Jubiläumsteilnehmer zu einem Dienst an dieser ökumenischen Gnade auf, als einen Dienst an der ganzen Kirche. Jesaja 61 zitierend, sprach Franziskus gar von einem besonderen Gnaden-Jahr zur Umsetzung dieser Berufung. Dabei geht es um eine dreifache Berufung: zur Taufe im Heiligen Geist, die er offensichtlich für alle Christen wünscht, zu einem lebendigen Lobpreis, für den sich die „Charismatiker“ nicht zu schämen brauchen und vor allem zu einem Dienst an den Armen. „Die Kirche zählt auf euch“, rief er der Menge zu, „auf euer Zeugnis, auf euren Dienst.“

Die CE war von Anfang an ökumenisch ausgerichtet. Versteht sie sich als Wegbereiterin für die Ökumene, oder ist das ein Sonderweg am Rande der Großkirchen?

Die Anfänge der CE sind eine erstaunliche Erfahrung von „geistlicher Ökumene“. Eine Studentengruppe an einer katholischen Universität in Pittsburg erfährt 1967 während eines Exerzitienwochenendes die Erweckung im Heiligen Geist, gerade nachdem einige von ihnen Kontakt mit „charismatisch erneuerten“ anglikanischen und methodistischen Christen hatten. Und so ging es weiter, nicht nur in den USA, auch auf anderen Kontinenten. Jedenfalls die ersten Jahre. Die gemeinsame, konfessionsübergreifende Erfahrung Gottes schuf eine Innigkeit der Begegnung, wie sie in der rein intellektuell-theologischen Suche nach Einheit kaum erlebbar war und ist. Doch schon zehn Jahre später setze sich die Angst vor der „pfingstlichen Überfremdung“ unter den Katholiken durch. Fast 30 Jahre lang wurde die besondere ökumenische Gnade in der CE heruntergespielt. Was für ein Verlust. Die Tatsache, dass innerhalb der CE international seit etwa zehn Jahren eine Wiederentdeckung dieser ökumenischen Dimension Raum greift, ist ein Segen und kommt zum richtigen Zeitpunkt. Die „geistliche Ökumene“, wie sie schon vom Zweiten Vatikanum dringend als eine unersetzbare Schiene der Versöhnungsarbeit gefordert wurde, findet in dieser charismatischen Version wohl ein sehr dynamisches Beispiel. Dabei haben sich Ökumene-Fachleute innerhalb der Bewegung immer dagegen verwehrt, dass die „Ökumene der Herzen“ gegen die „Ökumene der Theologen“ ausgespielt werden darf. Es braucht beides in Komplementarität miteinander.

Am 50. Geburtstag hat man die Pubertät ja bereits hinter sich. Worin sehen Sie die „Kinderkrankheiten“ der CE? Und wie sehen Sie den Lernweg der CE?

Die Zeit des Anfangs der Bewegung war sicher von einer überwältigenden neuen Erfahrung geprägt, die durchaus den Blick auf das Ganze des Christentums trüben konnte. Eine kindliche Freude über das Neue, ein gewisser anfänglicher Fanatismus ist zuzugestehen. Wenn sich diese Haltung, wie es sie zunächst in vielen Kreisen gab, zu einem gefährlichen Elitedenken verzerrt, dann geht es in die falsche Richtung. Kaum war die Phase der Selbstüberschätzung überwunden, so glitt die CE in den 1990er Jahren in nicht wenigen Regionen in eine falsche Nivellierungs- und Anpassungsphase. In vielen sogenannten charismatischen Kreisen lag das eigentlich „Charismatische“ still. Der lebendige Lobpreis, die Praxis der Charismen, die dienenden Kräfte nach außen hatten Seltenheitswert. Erst in den letzten 15 Jahren kommt es wieder zu Verlebendigung, vor allem auf der Südhalbkugel. Unzählige dynamische Kommunitäten, Gebetshäuser, Evangelisationsschulen, Heilungszentren beleben das Kirchenbild. Die CE hört auf, sich selbstverliebt oder auch ängstlich um sich selbst zu drehen, sie ist beim Dienst an der ganzen Kirche und an der Welt angekommen, realistisch wissend, dass ihr Angebot nur ein Teil dessen ist, was Gottes Geist in der ganzen Kirche tut.

Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn meinte – bei allem Wohlwollen – jüngst, bei manchen charismatischen Gruppen könne man den Eindruck haben, es habe „zwischen Bibel und heute nichts gegeben“. Welche Rolle spielen Tradition und Lehramt für die Charismatische Erneuerung?

Zunächst muss gesagt werden, dass die Wiederentdeckung der Kirche des Neuen Testaments und ihres radikalen Zeugnisses zum Wesen aller Erneuerungsbewegungen gehört. Die Begegnung mit dem lebendigen Gott ist eben immer auch die Begegnung mit dem Gott der Heilsgeschichte und der Faszination, die von diesen biblischen Zeugnissen ausgeht. Und dennoch. Die Traditions- und Theologievergessenheit in manchen charismatischen Kreisen gehört eben zu jenen Kinderkrankheiten, die zu überwinden sind. Meine Erfahrung ist freilich: Je länger sich charismatische Gruppierungen intensiv auf Gottes Führung einlassen, je mehr sie dies in der ehrlichen Auseinandersetzung mit allen Aspekten des Lebens tun, was auch das Ringen um das Scheitern einschließt, desto früher werden diese Gruppen vor schwierige Fragen gestellt, die eben nur im Licht der Lehrtradition der ganzen Kirche und ihrer Weisheit zu beantworten sind. Ich habe diese gesunde Hinwendung zum Schatz der Tradition sowohl bei katholischen, wie auch bei vielen Freikirchengruppen gesehen.

Wie etabliert ist die CE in der institutionell verfassten katholischen Kirche Deutschlands und Österreichs heute?

Es ist keine Frage, dass die Kraft der CE in diesen Tagen auf der Südhalbkugel zu finden ist. Dies hat auch viel mit der Mentalität der Völker des Südens zu tun: eine größere Offenheit für das nicht Planbare, nicht Kontrollierbare, für den Einbruch Gottes mitten in die Welt. Gleichzeitig dürfen wir dankbar eine charismatische Neubelebung in Europa und in Nordamerika feststellen. Die Zeit der Ermüdung scheint vorbei zu sein. Die klassischen kleinen Gebetsgruppen gibt es nach wie vor, und das ist gut so. Gleichzeitig haben sich vielerorts ganz neue Formen charismatischen Lebens etabliert: neue Gemeinschaften, Gebetszentren, Heilungsorte, Evangelisationskampagnen für ganze Großstädte, Pfarrerneuerungskonzepte für ganze Diözesen. Vieles von dem ist aus der Anregung durch protestantische und freikirchliche Vorbilder entstanden. Diese Anregungen werden ohne falsches Kopieren klug in die „katholische Welt“ übersetzt, was erstaunlich gut gelingt.

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