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„Das Wichtigste ist die Freundschaft mit Christus“

Der scheidende Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann zieht eine Bilanz seiner Amtszeit. Von Regina Einig und Oliver Maksan
Foto: Hauck | Die Katholikenzahl ist nicht das Entscheidende für Bischof Friedhelm Hofmann. Wichtig ist, dass die Gläubigen die Botschaft verstanden haben und umsetzen.
Herr Bischof, am 17. September feiern Sie Ihr Silbernes Bischofsjubiläum und geben kurz darauf altersbedingt die Leitung des Bistums Würzburg ab. Wenn Sie zurückblicken auf Ihre Amtszeit: Was war Ihr glücklichster Tag?

Es gab viele glückliche Tage. Die Kilianifestwoche, in der wir unsere Bistumspatrone feiern, ist jedes Jahr ein Highlight. Hinzu kommen die Priester- und Diakonenweihen und die großen Gottesdienste im Dom. Herausragend waren dabei die Seligsprechungsfeiern der NS-Märtyrer Pfarrer Georg Häfner und Pater Engelmar Unzeitig. Eine besondere Freude war auch die Wieder-Eröffnung des Domes nach der Renovierung. Und besonders: die vielen Begegnungen mit den Menschen im Bistum.

Gab es auch Tage, die Sie besonders traurig gestimmt haben?

Ja, natürlich. Etwa dann, wenn ein Priester mitteilt, sein Amt verlassen zu wollen, und ich nichts mehr daran ändern konnte. Auch die neuesten Zahlen der Kirchenaustritte haben mich immer wieder erschüttert. Ganz besonders getroffen aber haben mich die Missbrauchsfälle, die zwar nicht während meiner Amtszeit passiert sind, aber doch niederschmetternd sind. Die Gespräche mit Opfern haben die Opfer, aber auch mich sehr mitgenommen. Also ja, es gab auch sehr traurige Tage.

Sie haben zahllose Predigten und Vorträge gehalten. Hatten Sie da den Eindruck, dass Sie als Verkünder des Glaubens ins Leere hineinsprechen?

Die Leute, die in die Gottesdienste gekommen sind, waren sicherlich offen für die Botschaft. Und ich habe ja an den Reaktionen feststellen können, dass die Predigten auch Folgen hatten. Ich denke nur an das große Thema Flüchtlinge, das mir sehr am Herzen liegt. Ich habe dazu aufgerufen, Flüchtlingen Wohnraum zu geben. Unglaublich viele Menschen – auch Ordensgemeinschaften – haben daraufhin ihre Häuser geöffnet. Das fand ich beeindruckend.

Aber der christliche Grundwasserspiegel ist auch während Ihrer Amtszeit gesunken. Die Säkularisierung schreitet voran. Nehmen wir die Einführung und Akzeptanz der Ehe für alle. Wie sind Sie mit dieser Entwicklung umgegangen?

Es ist eine traurige Gewissheit, dass der moralische Grundwasserspiegel sinkt, dass bei Vielen der Glaube nicht mehr wirklich innerlich greift und selbst das Verständnis für das christliche Menschenbild abnimmt. Die sogenannte „Ehe für alle“ ist meines Erachtens eine Katastrophe für die Gesellschaft. Die Ehe ist eine von Gott gewollte Gemeinschaft von Mann und Frau, die auf Zeugung neuen Lebens angelegt ist. Eine „Ehe für alle“ kann es deshalb nach katholischem Verständnis nicht geben. Wenn man darauf hinweist, verletzt oder diskriminiert man noch lange nicht homosexuell empfindende Menschen. Insgesamt vertraue ich aber einfach darauf, dass diese gesellschaftliche Entwicklung nicht ins Bodenlose führt, sondern uns wach macht für Fragen: Was will Gott von uns in dieser Zeit, was will er uns damit sagen?

Was will er uns damit sagen? Warum verlässt jedes Jahr eine deutsche Großstadt die katholische Kirche?

Wenn Sie in die Geschichte zurückschauen, hat es immer wieder ein gesellschaftliches Auf und Ab gegeben. Und wir stehen nun zurzeit in einem gesellschaftlichen Umbruch, der viele Gründe hat. Zum einen: Es geht uns sehr gut in Deutschland. Wir haben hier keine wirkliche Not. Wir sind so gesättigt, so sehr auf uns selber konzentriert. Das berührt auch uns Katholiken und lässt uns erlahmen. Viele Mitmenschen meinen zudem, sie könnten leichter und froher ohne Gott und Glaube leben. Aber dass das ein Irrtum ist, wissen wir ja.

Mit der Volkskirche ist es also vorbei?

Wir werden Abschied nehmen von der großen Volkskirche. Die ist demnächst sicherlich Vergangenheit. Hier bei uns im Bistum Würzburg gibt es sie aber noch. Wenn ich auf die Dörfer kam zu Festen oder auch zu Firmfeiern, dann spürte ich, dass der Glaube nicht nur Folklore ist, sondern für viele Menschen immer noch eine frohmachende Lebensgrundlage. Und da sehe ich auch die Kinder und Jugendlichen, die uns sonst so sehr fehlen.

Aber die Zeichen weisen auch auf dem Land in eine andere Richtung.

Ja. Aber was heißt das denn? Dass wir resignieren sollen? Nein. Uns muss es darum gehen, dass die, die zum Glauben stehen, wieder neues Herdfeuer sein können. Insofern ist für mich nicht die Zahl der Kirchgänger oder der Katholiken das Entscheidende, sondern dass die, die die Botschaft verstanden haben, sie auch umsetzen. Und wenn das geschieht, dann werden wir auch wieder offene Ohren finden.

Zwischenzeitlich werden die Christen weniger, nimmt die Zahl der Muslime zu. Es gibt viele Katholiken, die Angst vor einer Islamisierung Deutschlands haben. Können Sie diese Sorge verstehen?

Ich kann sehr gut verstehen, dass Leute angesichts islamistischen Terrors vor dem Islam Angst haben. Klar muss sein: Wenn Muslime zu uns kommen und hier leben wollen, müssen sie unsere Regeln des Zusammenlebens akzeptieren. Aber für mich als Christ ist doch der Islam keine Herausforderung. Es ist doch die Schwäche des Christentums, vor der wir Angst haben sollten. Das Gebot der Stunde ist, auf Augenhöhe mit Muslimen zu sprechen. Wir müssen ihnen klar machen, dass wesentliche zivilisatorische Fortschritte wie die Charta der Vereinten Nationen oder das deutsche Grundgesetz auf dem christlichen Ethos basieren. Wir müssen ihnen sagen, dass auch ihre Freiheit und ihr Wohlstand davon abhängen, dass das Christliche Grundlage bleibt.

Soll man als Katholik für die Bekehrung von Muslimen beten?

Ja, wir beten für die Muslime. Wir tun dies in der ganzen Kirche beispielsweise am Karfreitag, wenn wir für alle Menschen beten, die nicht an Christus glauben, „dass der Heilige Geist sie erleuchte und sie auf den Weg des Heiles führe“. Wir Christen haben den Auftrag zur Verkündigung der frohen Botschaft. Wir beten immer wieder dafür, wenden aber keine Gewalt an.

Kardinal Meisner hat mit Blick auf die zahlreichen kirchlichen Einrichtungen einmal gesagt, die Kirche in Deutschland habe einen zu kleinen Motor für eine zu große Karosserie. Da gibt es zwei Möglichkeiten: den Motor verstärken oder die Karosserie verkleinern. Welchen Weg schlagen Sie der Kirche in Deutschland vor?

Ich schlage schon den Weg der Konzentration vor. Die Kirchensteuer wird nicht mehr lange so üppig fließen wie derzeit. Vieles an Institutionen werden wir dann nicht mehr bezahlen können. Da wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Das ist an sich nicht ungesund. Ich forciere dabei aber keine kleine Kirche oder kleine Herde. Ich würde die starke Präsenz der Kirche im öffentlichen Raum nicht einfach abstreifen wollen, sondern da stützen, wo es noch trägt.

Innerkirchlich wird sich nicht zuletzt durch die fatale Entwicklung bei der Zahl der Priesterweihen einiges ändern. Warum wollen immer weniger Männer Priester werden?

Zunächst will ich sagen, dass mich diese Frage nicht loslässt. Ich habe trotz viel Gebet und Überlegungen aber das Ruder im Bistum auch nicht herumreißen können. Junge Männer kommen heute zumeist nicht mehr aus einem christlich geprägten Elternhaus. Wenn zuhause nicht von Gott gesprochen wird, nicht gebetet wird, kommt man nur schwer auf die Idee, diesen Weg zu gehen. Das zweite ist: Es gibt bei jungen Leuten eine Bindungsangst. Das wird ja auch bei Ehen sichtbar. Die Menschen wollen sich einander nicht mehr für ein Leben lang versprechen. Dann ist der Zölibat natürlich eine hohe Hürde, die von manchen nicht übersprungen wird, obwohl sie sicherlich geeignet wären als Priester. Und dann kommt natürlich der hohe Erwartungsdruck auf den Priester aus den Gemeinden hinzu. Das laugt viele Priester aus. Die jungen Leute fragen sich dann, ob sie sich das antun wollen.

Schrecken nicht auch die pfarrlichen Strukturreformen ab? Die Pfarreien werden immer größer, leitende Pfarrer führen mehrere Mitbrüder. Manche Priester kommen vielleicht nie in eine Leitungsfunktion.

Mit diesen größeren Strukturen ist zumindest die Chance gegeben, dass die Geistlichen freier werden für die Seelsorge, weil sie die Verwaltung abgeben können. Aber es kann auch ein Problem sein, dass es abschreckend wirkt, wenn man erst mit 50 Jahren Letztverantwortung übertragen bekommt. Ich will Ihren Hinweis nicht abtun. Aber noch haben wir ja diese Großstrukturen nicht. An dieser Stelle will ich zudem klarstellen: Nur ein Priester kann eine Pfarrei leiten. Die katholische Kirche ist sakramental strukturiert. Der Priester ist der, der Christus repräsentiert und durch den die Einheit in der Pfarrei gewährleistet wird. Das heißt natürlich nicht, dass diese eine Pfarrei nicht von Gemeinden gebildet wird, die von Laien getragen werden. Die Aufgabe des Priesters ist es ganz wesentlich, diese Charismen zu fördern, aber auch, sie zu ordnen. Aber nochmal: Die Kirche ist auf das Priestertum hin gegründet.

Aber ist sie auch auf das zölibatäre Priestertum gegründet? Nicht wenige sehen in der Weihe von viri probati die Lösung des Priestermangels. ZDK-Chef Sternberg hat sich etwa dafür ausgesprochen, um die sonntägliche Eucharistie sicherzustellen. Andere gehen noch weiter und wollen das Priestertum für Frauen öffnen.

Also die Frauenweihe ist nicht möglich. Der Priester repräsentiert schließlich Christus und muss deshalb ein Mann sein. Da hat die Kirche keine Spielräume. Von dieser Frage ist die Zölibatsfrage zu unterscheiden. Ich halte den Zölibat für eine ganz wichtige Einrichtung. Die Kirche macht dadurch deutlich, dass sie kein innerweltlicher Großkonzern ist, sondern auf anderen Gründen fußt. Es hat in unserer Kirche aber immer auch verheiratete Priester gegeben, etwa in den unierten Kirchen oder Konvertiten. Es ist daher möglich, die Frage der viri probati zu diskutieren. Man darf diese Diskussion aber nicht so führen, dass man den Zölibat schlechtredet und ihn für überflüssig hält. Es kann nur darum gehen, dass man erprobte Männer, zum Beispiel Diakone, die sich als verheiratete Männer zum kirchlichen Dienst fähig gezeigt haben, zu Priestern weiht. Ein solcher Schritt kann aber nur im Einvernehmen mit der Gesamtkirche entschieden werden. Der Papst ist sicherlich offen dafür, in dieser Richtung nachzudenken, aber er ist gleichzeitig keiner, der die Kirche aus ihren Fundamenten herausreißen will.

Stichwort Papst Franziskus: Der Heilige Vater ist auch in der nicht-kirchlichen Öffentlichkeit ungeheuer populär. Haben Sie einen messbaren Franziskus-Effekt festgestellt, der sich an Messbesuch oder Wiedereintrittszahlen feststellen ließe?

Ich weiß nicht, ob man die Frage sinnvoll stellen kann. Wenn ich das mache, dann ist jeder von uns Verlierer. Das könnte ich mich ja auch fragen. Ich sehe den „Franziskus-Effekt“ – wenn man das Wort überhaupt gebrauchen soll – darin, dass Kirche in der Weltöffentlichkeit einen viel positiveren Stellenwert gefunden hat. Das hat nicht die Konsequenz, dass mehr Leute in die Kirche eintreten oder beichten gehen. Aber sagen wir mal, der Schorf, der sich angesammelt hat, fällt ab. Die Kirche wird wieder positiv gesehen. Aber ich erlebe innerkirchlich, dass manche Leute damit Probleme haben. Sie meinen, der Papst würde die Kirche und ihre Lehre aushöhlen. Ich habe absolut kein Verständnis dafür. Er ist der Stellvertreter Jesu Christi wie die anderen Päpste vor ihm auch. Benedikt verehre ich sehr, Johannes Paul II. sowieso. Aber ich kann mir Päpste nicht nach Geschmack aussuchen. Diesen Papst mag ich, diesen aber, vielleicht weil er aus einem anderen Kulturkreis wie Südamerika kommt, nicht. Da müssen wir selbstkritisch und vorsichtig sein.

Zur Selbstkritik: Würden Sie sagen, dass die Kirche in Deutschland die Stunde des deutschen Papstes verpasst hat? Gerade Papst Benedikts Entweltlichungsrede in Freiburg stieß auf massiven Widerstand.

Papst Benedikt hatte völlig recht. Wir sind in Deutschland eine reiche Kirche. Aber angesichts der Not in der Welt fasse ich mich ja schon selber an den Kopf, ob alle die Rücklagen, die wir bilden, gerechtfertigt sind, oder ob wir das Geld jetzt nicht den Armen und Hungernden geben müssten. Insgesamt ist es eine Schande, wie mit Benedikt in Deutschland oft umgegangen wurde. Papst Benedikt ist einer der größten Theologen, die je auf dem Stuhl Petri saßen. Er hat Kirche und Welt so viel Positives und Wichtiges in Wort und Tat gegeben. Dass wir das in Deutschland nicht immer positiv aufgenommen haben, das ist eigentlich die Tragik. Aber ich bin überzeugt, in 20, 30 Jahren wird Papst Benedikt als Kirchenlehrer der Moderne neue Hörer finden.

Wie wollen Sie Ihren Ruhestand verbringen?

Ich bin mir bewusst, dass ich in die zweite Reihe zurücktrete. Ich werde mich nicht in die Amtsführung meines Nachfolgers einmischen. Das habe ich mir vorgenommen. Mein Vorgänger Bischof Scheele hat das genauso gehalten. Aber ich bin bereit, mitzuhelfen, wenn ich angefragt werde, etwa bei Firmungen. Wohnen werde ich weiterhin in Würzburg.

Welchen Rat würden Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg geben?

Er soll offen auf die Menschen zugehen. Dann soll er die Grundsätze der Kirche in aller Eindeutigkeit vertreten. Er muss auch offen sein für die Priester, Diakone und hauptamtlichen Mitarbeiter in der Pastoral. Aber das wichtigste ist die Freundschaft mit Christus. Das wünsche ich meinem Nachfolger von ganzem Herzen.

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28.03.2024, 21 Uhr
Regina Einig