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Corona-Exerzitien: Den Sündern gnädig

Für den heiligen John Henry Newman war die Sünde ein unendlich größeres Übel als Pest, Hunger und Krieg. Selbst fromme Christen scheinen diese Sichtweise verlernt zu haben.
Für John Henry Newman waren alle Übel eine Frucht der Sünde
Foto: KNA | Für den heiligen John Henry Newman waren alle Übel eine Frucht der Sünde, „sie sind nur die erste Rate der Sündenstrafe”.

In seinen „Betrachtungen über die christliche Lehre” fragt der heilige John Henry Newman, woher es komme, dass wir in einer so elenden Welt leben. Von diesem Elend gibt er eine ausführliche Schilderung, in der es unter anderem heißt: „Welch schreckliche Plagen ziehen hin über die Erde: Krieg, Hungersnot und Seuchen! Warum das alles, o mein Gott!” Seine Antwort ist eindeutig: Alle diese Übel sind eine Frucht der Sünde, „sie sind nur die erste Rate der Sündenstrafe”.

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Newman schildert drastisch alle möglichen Leiden

Newman schildert drastisch alle möglichen Leiden, „Schmerzen in jedem Glied, Durst, Ruhelosigkeit und Fieberwahn”, um dann zu sagen, dass dies alles nichts im Vergleich sei zu der „furchtbaren Krankheit der Seele, die wir Sünde nennen“. Sie sind nur ein schwaches Bild der Sünde, ihr Schatten. „Lehre mich, was die Sünde ist!“, bittet Newman den Herrn in diesem Gebet, das sich an den „unendlich barmherzigen Gott“ richtet. Es geht darum, zu erkennen, dass die Sünde „ein unendlich größeres Übel als Pest, Hunger und Krieg” sei.

Es ist interessant zu sehen, wie sehr selbst fromme Christen diese Sichtweise verlernt haben. Statt angesichts des Elends in der Welt eine klarere Erkenntnis über den Charakter der Sünde zu gewinnen, verdunkelt sich eher ihr Bild von Gottes Güte. Sie schieben Gott den Schwarzen Peter zu: „Wie kannst du das zulassen? Warum hast du das getan?”

Die Barmherzigkeit des Herrn als große Hoffnung

Die richtige Sichtweise geht genau in die umgekehrte Richtung und wird uns in den Improperien, den Heilandsklagen des Karfreitags gelehrt. Da ist es der geschundene Herr, der uns fragt: „Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt? Antworte mir.“ So lautet der Refrain nach jeder Aufzählung dessen, was der Herr für sein Volk getan hat, zum Beispiel: „Vierzig Jahre habe ich dich geleitet durch die Wüste. Ich habe dich mit Manna gespeist und dich hineingeführt in das Land der Verheißung. Du aber bereitest das Kreuz deinem Erlöser.”

Newman hatte das verstanden: „Ich habe Dich ans Kreuz geschlagen, meine Sünde hat es getan“, schreibt er in seiner Betrachtung über die Hässlichkeit der Sünde. Er bekennt in vielen Wendungen vor dem Herrn seine Strafwürdigkeit. Und gerade deshalb ist die Barmherzigkeit des Herrn seine große Hoffnung, und wird er nicht müde, den Herrn zu loben: „Du bist überaus schön in Deiner ewigen Natur, o Herr. Du bist auch schön in Deinen Leiden.“

Was für ein Gegensatz zur heutigen Mentalität, die glaubt, dass erfahrenes Leid irgendeine Richterkompetenz über Gott verleihe! Als Seelsorger begegne ich immer wieder Menschen, die unter einem schweren Kreuz stöhnen. Diese meine ich nicht. Sie haben alles Recht auf Ernstgenommenwerden, Hilfe und Trost. Ich meine eher jene Betroffenheitsrhetorik und das Pseudopathos, mit dem selbst manche Theologen Gott anklagen, aber auch manche Fälle von Weinerlichkeit, mit der fromme Christen in Coronazeiten mehr sich selbst als den leidenden Herrn beklagen und bejammern!

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Kostbarer Wegführer in schweren Zeiten

Sind wir unzufrieden mit Gott? Bei vielen Heiligen können wir erkennen, dass sie nicht ein Problem damit hatten, dass Gott zu wenig, sondern dass er zu viel liebt. Seine kostbare Liebe verschwendet er an ein undankbares, widerspenstiges Geschlecht, dem er immer und immer wieder verzeiht. Deshalb wollte die kleine heilige Theresia sich als ein Ganz-Brandopfer der barmherzigen Liebe weihen, damit diese eine Herz findet, wo sie angenommen wird.

Wenn Christus im Gleichnis uns das Gebet des Zöllners „Sei mir Sünder gnädig“ als Vorbild hinstellt, dann bedeutet dies eine Absage an jede Anspruchsmentalität Gott gegenüber. Die Betrachtungen des heiligen John Henry Newman sind nichts anderes als eine ausführliche Entfaltung dieses Gebets. Sie sind für uns ein kostbarer Wegführer, um uns auch in diesen schweren Zeiten dankbar als von Gottes Liebe Beschenkte zu wissen.

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