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Buße statt Streit

Die einen haben Angst vor der Corona-Pandemie, die anderen vor den Schutzmaßnahmen. Doch jetzt gilt es, zusammenzurücken, sich gegenseitig zu stärken und auch für jene Befürchtungen und Sorgen Verständnis zu haben, die man selbst gerade nicht teilt.
Buße in Corona-Zeiten
Foto: Alessandra Tarantino (AP) | Fastenzeit ist nicht die Zeit, von anderen Umkehr zu fordern, sondern selber umzukehren. Im Bild: Papst Franziskus beim Sondersegen "Urbi et orbi" auf dem leeren Petersplatz.

Wenn die Pandemie erst einmal vorüber ist, wird man im Rückblick sine ira et studio prüfen müssen, wie weit die radikalen staatlichen Maßnahmen tatsächlich angemessen waren. Auch im Hinblick auf die kirchlichen Maßnahmen wird darüber zu debattieren sein, ob sie allzu schnell oder über das angemessene Maß hinaus den staatlichen Vorgaben gefolgt sind. War die Kirche manchmal sogar noch staatlicher als der Staat? Den Eindruck, von dem ein Teil des Gottesvolkes heimgesucht wird, nämlich dass es durch seine Hirten allzu bereitwillig von den Sakramenten, den Quellen des Heils, abgeschnitten wurde, sollte man jedenfalls nicht auf die leichte Schulter nehmen.

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Erschreckender Alarmismus mancher Kirchen

Auf der anderen Seite erschreckt mich der Alarmismus, mit dem manche die Kirche heftig anklagen und verurteilen - so als ob Feigheit das einzige Motiv wäre, das in Frage kommt, um das Verhalten der Bischöfe zu erklären, und nicht in Wirklichkeit die Verantwortung, die auch auf der Kirche liegt, das Ihrige beizutragen, um die Pandemie einzudämmen. Insofern befinden sich die Bischöfe in einem Dilemma, und man sollte es ihnen - bei aller möglichen Verschiedenheit in der Situationseinschätzung - abnehmen, dass sie aus Verantwortung handeln. Auch den pauschalen Vorwurf, die Kirche gehe auf Tauchstation, kann nur erheben, wer all die Anstrengungen übersieht, die gemacht werden, um auf den verbliebenen Kanälen bei den Menschen zu sein und sie zu stärken. Als ein Beispiel von vielen  will ich den Youtube-Kanal von Bischöfe Stefan Oster erwähnen.

Sorge bereitet mir auch die Gefahr von neuen Parteiungen und Spaltungen unter den Gläubigen aufgrund des Streits darüber, was man von all dem zu halten habe. Die einen haben Angst vor der Pandemie, die anderen vor den Schutzmaßnahmen. Die eine Seite wirft der anderen mangelnden Gauben vor, die andere der einen mangelndes Verantwortungsgefühl.

Christliches Zeugnis gegenseitiger Liebe ist nötig

Merken wir nicht, dass wir in Gefahr sind, dem Durcheinanderwerfer auf den Leim zu gehen? Wie sehr bräuchte jetzt die Welt unser christliches Zeugnis gegenseitiger Liebe! Sollten wir nicht eher darauf bedacht sein, zusammenzurücken, uns gegenseitig zu stärken, Verständnis füreinander zu haben, auch für jene Befürchtungen und Sorgen, die wir selber gerade nicht teilen? Sollte das geistliche Band im gemeinsamen Glauben nicht stärker sein als unsere Meinungsverschiedenheiten in Dingen, die wir kaum vollständig überblicken können?

Auch ich selber muss mich in diesem Zusammenhang wegen meiner Diskussionsfreudigkeit an der Nase fassen und mich daran erinnern, dass über die ersten Christen laut Apostelgeschichte nicht gesagt wurde: “Seht, wie sie miteinander diskutieren!”, sondern: “Seht, wie sie einander lieben!”

Den Blick auf uns selbst wenden

Und damit komme ich zum Kernpunkt: Alles Diskutieren, Streiten und Kritisieren hält uns nur von dem ab, was wir in der Fastenzeit tun sollten: in uns gehen und Buße tun! Wenn wir in der Oration des Vierten Fastensonntags Gott um den Trost seiner Gnade bitten, weil “wir mit Recht für unsere Missetaten gezüchtigt werden”, dann lehrt uns die alte Liturgie, den Blick auf uns selbst zu wenden, um vor Gott Gnade zu finden, statt ungnädig über andere zu richten. Fastenzeit ist nicht die Zeit, von Anderen Umkehr zu fordern, sondern selber umzukehren.

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