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Kardinal Marx löst die „Katholische Integrierte Gemeinde“ auf

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx greift durch und löst geistliche Gemeinschaft auf.
Die Frauenkirche ist fast vom Nebel verdeckt.
Foto: Alexander Pohl / via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Einst machte die Integrierte Gemeinde durch die Besetzung der Münchner Frauenkirche von sich reden. Nun zog das Erzbistum den Schlussstrich.

Am 20. November teilte das Ordinariat des Erzbistums München und Freising mit, dass Kardinal Marx den öffentlichen kirchlichen Verein „Katholische Integrierte Gemeinde“ in seinem Bistum aufgelöst habe. Dies ist der Endpunkt des Wirkens der Integrierten Gemeinde als kirchlicher Gemeinschaft, das mit der spektakulären Besetzung der Frauenkirche 1976 begonnen hat. Damals erzwang die Gruppe ein Gespräch mit Kardinal Döpfner, um ihre kirchliche Anerkennung zu erhalten. Kurz darauf verstarb Döpfner unerwartet.

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Sein Nachfolger Joseph Ratzinger stand der neuen Bewegung aufgeschlossen gegenüber. Eines ihrer Mitglieder, Ludwig Weimer, habilitierte sich bei Ratzinger seit 1974 in Regensburg und hatte seinen Professor mit der Gemeinde in Kontakt gebracht. Nach der Kirchenbesetzung nahm Ratzinger 1976 erstmals an einer Messfeier der Katholischen Integrierten Gemeinde (KIG) in ihrem „Festhaus“ in Wolfesing bei München teil.

Ratzinger verlangte Einfügung in die Kirche

Erzbischof Ratzinger verband die vorläufige kirchliche Approbation der Statuten mit einem Schreiben an die Leitung der KIG. Darin heißt es: Die Anerkennung der „Lebensweise der IG als eine Möglichkeit der Verwirklichung des Glaubens“ verlange aber, „sich ohne Exklusivitätsanspruch ins Ganze der Kirche einzufügen“. Zugleich forderte Ratzinger die Einhaltung der Bestimmungen für die Feier der Messe und die „Letztverantwortung des Priesters für die Verkündigung“.

Zeitgleich erhielt die KIG die kirchliche Anerkennung durch den Paderborner Erzbischof Joachim Degenhardt, einem Jugendfreund des Ehemannes der Gründerin der IG, der Münchnerin Traudl Wallbrecher. Sie und ihr Mann, der Jurist Herbert Wallbrecher, waren Mitglieder des „Jungen Bundes“. Er wurde von dem Priester Aloys Goergen, Professor an der Kunstakademie in München und Dozent für Liturgiewissenschaft in Bamberg, geleitet. Nach einem schweren Zerwürfnis trennten sich die Wallbrechers von Goergen 1968.

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Goergens Ästhetizismus und seine eigenwillige Form der Messfeier blieben aber auch weiterhin für die sich formierende Integrierte Gemeinde prägend. Vordenker der Gruppe war der 2011 verstorbene Neutestamentler Rudolf Pesch. Er hatte, wie der Exeget Gerhard Lohfink, seinen Lehrstuhl für die Arbeit in der KIG aufgegeben. Kardinal Ratzinger hatte den Theologen der IG 2004 ein ausdrückliches schriftliches Bekenntnis zur Jungfrauengeburt und zur Historizität der Auferstehung abverlangt.

Strukturen der "KIG" sind auch in Selbstauflösung begriffen

Im Bildband „30 Jahre Weggemeinschaft“ (2006) hat die KIG ihre Verbundenheit mit Papst Benedikt XVI. dokumentiert. Der Priestergemeinschaft der KIG sollen heute um die zwanzig Kleriker angehören. Inzwischen sollen die Festhäuser der KIG verkauft, die Integrationshäuser geschlossen sein. Die teuer erworbene Villa Cavalletti nahe Rom wurde bereits wieder veräußert. Ein Gymnasium und eine Grundschule in München bestehen noch.

Bereits im Februar 2019 hatte Kardinal Marx eine Visitation der KIG angeordnet. Nun hat das Erzbistum zusammen mit dem Auflösungsbeschluss auch den abschließenden Visitationsbericht veröffentlicht. Die Leitung der KIG hatte jedes persönliche Gespräch mit den Visitatoren verweigert. Gespräche mit einzelnen Mitgliedern waren ebenfalls nicht möglich gewesen.

"Festgestellt wird eine 'exklusive Identifizierung von KIG und urchristlicher Gemeinde.
Nur in der KIG ist wahres Christentum verwirklicht.'"

Der Bericht beruht auf Befragung ehemaliger Mitglieder und Unterlagen des Ordinariats sowie Dokumenten aus der KIG. Festgestellt wird eine „exklusive Identifizierung von KIG und urchristlicher Gemeinde. Nur in der KIG ist wahres Christentum verwirklicht.“ Allein der Leitung der Gemeindeversammlung kämen alle Vollmachten zu, einschließlich der Sündenvergebung. Unter „Ganzhingabe“ werde verstanden, eine Entscheidung der Gemeinde etwa hinsichtlich Partnerwahl, Beruf, Wohnort, Kinderwunsch, Arztwahl, aller finanziellen Angelegenheiten widerspruchslos zu akzeptieren. Kritik oder Zweifel an Beschlüssen der Versammlung würden als „Zeichen der Glaubensschwäche oder des Unglaubens verurteilt“.

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Entgegen den Statuten werde „nicht nur der Einsatz des ganzen eigenen Vermögens“ von den Mitgliedern verlangt, sondern auch, dass sie Darlehen zur Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben aufnehmen. Solche Kredite wurden bei der „Integra Bank“, dem Geldinstitut der KIG, aufgenommen. Auch die approbierten Statuten werden kritisiert. Sie enthalten undurchsichtige Regelungen der Zugehörigkeit zur KIG, die faktisch dazu führen, dass „nur wenige Auserwählte“ Vollmitglieder mit allen Rechten sind. Auch die Praxis der Ausschlussverfahren von Mitgliedern entspräche nicht der Satzung und sei rechtswidrig. Zudem sei der Name des Trägervereins nach Beginn der Visitation geändert worden mit dem Ziel, den öffentlichen kirchlichen Verein durch einen weltlichen Trägerverein zu ersetzen, „um die Visitation zu verhindern“. Außerdem sei das wirtschaftliche Handeln der KIG undurchsichtig: Die Verflechtung von Vereinen, Schulen, Kindergärten, Betrieben sei „kaum zu durchschauen“.

Instrumentalisierung kirchlicher Lehre, Strukturen und Autoritäten

Kennzeichnend für die KIG-Leitung sei, dass sie „kirchliche Autoritäten für sich zu gewinnen“ suche, sich aber allen Kontrollen, wie der Visitation, verweigere. Als Ergebnis wird festgestellt, dass in der KIG die Freiheit der Mitglieder „kontinuierlich missachtet“ werde; es werde eine „Ganzhingabe“ gefordert, die „Ausbeutung gleichkommt”. Kennzeichnend sei eine „Instrumentalisierung kirchlicher Lehren, Strukturen und Autoritäten“.

In einem Vortrag auf dem Treffen des Ratzinger-Schülerkreises im September in Rom sagte Ludwig Weimer, der theologische Kopf der KIG: „Der heute gefragte Gottesbeweis kann nur der Verweis auf eine Geschichte und eine Praxis sein, die überzeugen, also ein Experiment der Überprüfung.“ Dies ist, wie alles, was Theologen der KIG sagen, von den Erfahrungen der KIG her zu verstehen. Nun hatte sich die Integrierte Gemeinde einer Überprüfung ihres Experimentes durch die Kirche verweigert und sogar ihre kirchliche Anbindung preisgegeben.

Unklar, inwieweit Vorgaben realisiert wurden

Die KIG ist genau durch das zu Fall gekommen, was Ratzinger bereits 1978 erkannt hatte: durch ihren Exklusivitätsanspruch. Alle Kriterien des Kircheseins hat die IG aus einer selbstgewonnenen Gemeindeideologie entnommen, ohne Kirche als lebendige Ganzheit und den Bischof als Letztinstanz anzuerkennen. Auf Anfrage der Herderkorrespondenz (Novemberheft 2020) hat Papst Benedikt XVI. zu den bereits in einem Zwischenbericht der Visitatoren angesprochenen Missständen in der IG Stellung genommen: „Als Erzbischof von München und Freising sah ich es als meine amtlich begründete Aufgabe und Verpflichtung an, die IG, deren theologische Ausrichtung von den exegetischen Arbeiten der Professoren Lohfink und Pesch zutiefst geprägt wurde, auf deren Rechtgläubigkeit hin zu begleiten. Inwieweit eine konsequente Umsetzung der theologischen Vorgaben im konkreten, alltäglichen Lebensvollzug der IG letztlich realisiert worden ist, ist schwer zu beurteilen.

Dass bei dem Versuch, die Dinge des täglichen Lebens integral vom Glauben her zu gestalten, dabei auch schreckliche Entstellungen des Glaubens möglich waren, ist mir zunächst nicht bewusst geworden. Meine Informationen in diesem Bereich blieben dürftig. Ich bedaure es zutiefst, dass so der Eindruck entstehen konnte, alle Aktivitäten der Gemeinde seien vom Erzbischof gebilligt. Mein bischöfliches Handeln zielte allein darauf ab, von der KIG den vollen Vollzug des Glaubens der Kirche zu fordern und zu fördern. Offensichtlich wurde ich über manches im Innenleben der IKG nicht informiert oder gar getäuscht, was ich bedaure.“

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