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Alles Missbrauch - und was jetzt?

Die gerade vorgestellte Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz spricht eine deutliche Sprache. Zeit für einen Ausweg aus der aktuellen Krise. Von Patrick Knittelfelder
Ausweg aus der Missbrauchskrise
Foto: Felix Kästle (dpa) | Die gerade vorgestellte Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz spricht eine deutliche Sprache. Zeit für einen Ausweg aus der aktuellen Krise.

Ja, es ist wirklich sehr erschütternd. Wenn man den Zahlen glauben darf, könnte jeder zwölfte Kleriker mehr oder weniger betroffen sein. Ja, auch bei Laien sieht es nicht wesentlich besser aus.  Die gerade vorgestellte Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz spricht eine deutliche Sprache.

Und dann sind da die Pressekonferenzen und Statements. Die Betroffenheit ist den Bischöfen deutlich ins Gesicht geschrieben. Verantwortungsträger wie der Kölner Kardinal Woelki und der Passauer Bischof Oster gehen tapfer mit ihren Botschaften voraus. Aufarbeitung ist das Wort der Stunde. Augenhöhe mit den Opfern, Entschädigungen und alles was dazu gehört. Alles unbedingt und in großer Dringlichkeit notwendig. Keine Frage.

Fehlendes grundlegendes Verständnis von Intimität

Aber wie geht’s weiter? Es gibt kaum eine Pressekonferenz ohne, dass die Journalisten danach fragen. Wie sollen zukünftige Kleriker oder auch Laien rekrutiert werden? Was sind K.O.-Kriterien? Soll in den Seminaren etwas verändert werden? Konkrete Antworten fehlen. Zumindest bleiben sie aus. Und das erstaunt mich ganz gewaltig. Kann das so schwer sein?

Mit Sicherheit bin ich als Unternehmer zu wenig Kirchenmensch. Als Leiter einer HOME Mission Base und Vortragender aber, auch zunehmend in Priesterseminaren, meine ich doch recht klar zu sehen, wo es zwickt.

Ich nehme ein fehlendes grundlegendes Verständnis von Intimität wahr. Die Missbrauchsfälle sind symptomatisch für eine sexualisierte Gesellschaft, die die wahre Erkenntnis von Intimität vergessen hat. Wenn man auf die Grundstruktur des Menschen schaut, so sehen wir unweigerlich, dass er für intime Liebe geschaffen ist. Ohne geht es nicht. Entweder man lebt sie gesund – oder ungesund. Dass Intimität und Nähe aber nicht auf die sexuelle Ebene reduzierbar sind, haben wir – gesellschaftlich gesprochen – vergessen. Spirituelle, emotionale und geistige Intimitätsquellen sind unweigerliche Quellen – gerade, wenn man durch ein freiwilliges Versprechen auf die sexuelle Ebene verzichtet.

Was wir brauchen, sind integrierte Persönlichkeiten

Was wir brauchen, sind integrierte Persönlichkeiten. Menschen, die ihre Geschichte aufgearbeitet und ihre eigenen Mangelerfahrungen durch Verwandlung fruchtbar gemacht haben. Wir brauchen Menschen, die sich nicht „Liebe“ oder ein „gutes sexuelles Empfinden“ nehmen, sondern die sich selber geben – in einer Uneigennützigkeit und auf das höchste Wohl und die Freiheit des anderen bedacht. Als Kirche brauchen wir Menschen, die aufhören, ihre Wunden weiterzugeben und stattdessen der Heilung anderer dienen.

Wenn ich in die Evangelien, Briefe und die Apostelgeschichte schaue, erkenne ich ein klares System, das uns zur Integrität führt: Jüngerschaft. Das Problem: Wir haben sie einfach vergessen. Und das schon seit sehr langer Zeit. Ich weiß, es gibt durch die Jahrhunderte hindurch Ausnahmen. Aber viele sind es nicht. Und diözesane Ausbildungsstätten hielten sich in Bezug auf Jüngerschaft – bis vor sehr kurzer Zeit – zurück.

Jüngerschaft im Sinne Jesu: Ein "in die Lehre gehen"

Schon die Frage, was Jüngerschaft im Sinne Jesu eigentlich sei, löst mitunter kuriose Antworten aus. „Freundschaft mit Jesus“ ist dabei noch ein Hoffnungsbringer. Jüngerschaft im Sinne Jesu könnte man gut beschreiben als ein „in die Lehre gehen“ - mit dem Ziel, eine reife, integrierte und reflektierte Persönlichkeit zu werden.

Es ist ein Prozess in dem man Gott intensiv kennenlernt, sich mit seiner eigenen Vergangenheit, seinen alten Paradigmen beschäftigt, indem man lernt, sich selber anzunehmen und - als einen der wesentliche Punkte - sich intensiv mit seiner Identität auseinandersetzt. Das kann man nicht alleine. Dazu braucht man Menschen, die mit einem gehen, und Vorbilder beziehungsweise Leiter, die auch durch diese Prozesse gegangen sind. Dazu ist ein ansprechendes Milieu hilfreich, das diese Veränderungen in Gang setzt.
Wenn ich nie lerne, mein Denken, Fühlen und Handeln einer Linie anzunähern, wenn ich Begriffe wie Identität, Autorität und Signifikanz nicht in ihrer tiefen Bedeutung verstehen kann, und wenn ich nicht lerne bei mir selber anzukommen, sind künftige Problemfelder unvermeidbar.

Know-How auf dem Feld der Jüngerschaft kann Antworten liefern

Tausende junge Erwachsene investieren jährlich ein Jahr ihres Lebens in eine solche Lebensschule. Nicht wenige – auffallend gesunde Berufungen – wachsen in Jüngerschaftsschulen. Eine wesentliche Anzahl von Absolventen gehen in den kirchlichen Dienst oder gehen als Vollzeitmissionare in verschiedene Bewegungen, Gebetshäuser und kirchliche Dienste. Persönlich beobachte ich jedes Jahr, wie junge Erwachsene integrierte Persönlichkeiten werden und viele Jahre an Reifung zulegen.  

Viele Journalisten fragen dieser Tage, wie soll es weitergehen. Muss man nicht etwas in den Themen Berufung und Priesterausbildung ändern? Eigentliche Antworten fehlen meist. Meiner Wahrnehmung nach kann profane wirtschaftlich gedachte Kompetenz und das Know-How auf dem Feld Jüngerschaft eine Antwort auf derartige kirchliche Problemfelder liefern.

Der Autor ist Leiter der HOME Mission Base der Loretto-Gemeinschaft in Salzburg und Unternehmer.

DT

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