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Das zweite Vatikanische Konzil: Ein Jahrhundertereignis

Was die „Deutsche Tagespost“ über das Zweite Vatikanische Konzil druckte –. Eine kurze Reminiszenz dreier Konzilsjahre. Von Benedikt Winkler
Der Petersdom diente als Konzilsaula
Foto: dpa | Der Petersdom diente als Konzilsaula; auf dem Thron mit dem Baldachin von Bernini saß Papst Johannes XXIII., der das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) feierlich eröffnete.

Bereits vom ersten Augenblick der Ankündigung an bezeichnete die „Deutsche Tagespost“ wie viele andere Zeitungen auf der ganzen Welt das Zweite Vatikanische Konzil als „das größte Ereignis des 20. Jahrhunderts“ oder nannten es frei heraus „das Jahrhundertereignis“. Das Konzil sah sich vor die doppelte Aufgabe gestellt, nicht nur nach dem Selbstverständnis der Kirche in der Welt von heute zu fragen, sondern sich zunächst zum eigenen Selbstverständnis durchzuringen.

Die Ankündigung der Konzilsidee durch Papst Johannes XXIII.

Es war am 20. Januar 1959 während einer Besprechung zwischen Papst Johannes XXIII. und seinem Kardinalstaatssekretär Tardini, als dem Heiligen Vater „wie in einer Eingebung plötzlich der Gedanke an ein Konzil als bestmögliche Abhilfe der Zeitnot gekommen“ sei, schrieb Monsignore Felici in der Beilage „Die Römische Warte“ der „Deutschen Tagespost“. Fünf Tage später verkündete Johannes XXIII. am Fest Pauli Bekehrung den Kardinälen und der Welt die Konzilsidee.

Die Wirkung der Ankündigung war so groß, dass damalige DT-Autoren von einer „Rakete“ oder gar einer „Bombe in der Welt“ sprachen. „Nur wenige Leute erfassten die volle Bedeutung dieser grandiosen Maßnahmen, die die Universalität der Kirche und zugleich einen ,neuen Stil‘ im Verhältnis Rom zur Weltkirche, den Aufbruch zur wirksamen Dezentralisierung und neuen ,Aufwertung‘ der Bischöfe und Diözesen andeutet“, so Felici.

Die inhaltlichen Vorbereitungen des Konzils

Inhaltliche Vorschläge wurden von allen Bischöfen des Erdkreises erbeten und eingereicht. Neun Kommissionen und das Sekretariat für die Einheit der Christen hatten die Aufgabe, einen „Berg von Anregungen“ zu sichten und siebzig Schemata zu erarbeiten, die dem Konzil vorgelegt wurden. Fritz Hofmann schrieb über jene Zeit, dass es eine Tatsache sei, „dass kein Konzil der Vergangenheit so intensiv vorbereitet wurde wie das Zweite Vatikanische Konzil“. Die Tagespost kommentierte die konziliaren Vorbereitungen wie folgt:

„Stellt man sich eine Versammlung von zweitausend Bischöfen vor, die sich gegenseitig zum großen Teil nicht persönlich kennen, die aus gänzlich verschiedener religiöser Situation kommen – aus überwiegend katholischen Ländern mit jahrhundertelanger Tradition, aus Ländern, in denen Häresie und Schisma die katholische Kirche zum Zusammenleben mit getrennten christlichen Gemeinschaften nötigten und sie vielleicht zu einer kleinen Minderheit zusammenschrumpfen ließen, und aus Missionsländern, in denen die katholischen Christen zahlenmäßig bis auf diesen Tag beinahe ein Nichts sind; so ist schon eine echte Diskussion und noch weniger eine (…) Willenskundgebung von vornherein kaum zu erwarten.“

Lager- und Frontenbildung vor dem zweiten Vatikanischen Konzil

Die Lager- und Frontenbildung sowie deren jeweilige Befürchtungen und Erwartungen wusste DT-Autor Franz Schmal meisterhaft in Worte zu kleiden:

„Die kämpfenden Gottlosen fürchten, dass in der Kirche die Propheten – (...) im Sinne von flammenden Gottesboten – die Professoren und Prälaten aus ihren maßgebenden Stellungen verdrängen. Die bürgerlichen Gottlosen (...) erwarten nichts vom Konzil, höchstens eine Olympiade der Television (...) Die gläubigen Nichtkatholiken wagen nichts Entscheidendes mehr vom Konzil zu erwarten. Jene Katholiken, deren Glaube im Grunde eine Wortreligion ist, erwarten vom Konzil ein ,neues Pfingsten‘ – vielleicht gar mit Sturmesbrausen, Feuerzungen und Sprachenwunder. Die Katholiken, deren Glaube im Grund eine Werkreligion ist, rechnen mit einer Einschränkung der Gebote und Vorschriften. Die Katholiken, deren Glaube im Grund eine Wesens- oder Herzensreligion ist, erwarten mit brennender Sehnsucht genau das, was die kämpfenden Gottlosen befürchten.“

Erzbischof Benvenuto Matteucci schrieb:

„Einzig, wo das Göttliche über und in der Geschichte waltend erkannt wird (...) nur wo transzendente und absolute Wirklichkeiten bekannt und begrenzt werden, empfangen Kultur und Geschichte des Menschen einen wahren und wirklichen, vitalen Impuls zu Fortschritt und Vollendung.“

Der Beginn des Konzils

So sei es Aufgabe des Konzils, den Glauben zu sichern und zu schützen, um im feierlichen Lehramt zu verkünden, was man zu glauben, was man zurückzuweisen, was für uns als Norm der Wahrheit und des katholischen Lebens zu gelten habe.

In der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag des 11. Oktober 1962 hatten viele Schaulustige auf den nassen Pflastersteinen auf dem Petersplatz geschlafen, um am Morgen die weiß gekleideten Konzilsväter aus 134 Ländern bei ihrer Einzugsprozession zu sehen. Die Tagespost sparte nicht mit Details: Mit mehr als drei Millionen Watt war das Hauptschiff des Petersdoms taghell ausgeleuchtet worden. Johannes XXIII. appellierte in seiner Eröffnungsansprache an die Einheit der Christen und an einen „Sprung nach vorn“ in Richtung Lehrvertiefung:

„Die große Frage, vor der die Welt steht, ist nach fast zweitausend Jahren unverändert: Christus ist der stets leuchtende Mittelpunkt der Geschichte und des Lebens; die Menschen sind entweder mit ihm und mit seiner Kirche; dann besitzen sie Licht, Güte, Ordnung und Frieden. Oder sie leben ohne ihn, ja gegen ihn und gegen seine Kirche, dann bringen sie Verwirrung, lassen die menschlichen Beziehungen erstarren und schwören die Gefahr von Bruderkriegen herauf.“

Diese und alle weiteren päpstlichen Ansprachen druckte die Deutsche Tagespost im Wortlaut ab, was für die Zeitung eine Neuerung darstellte und für viele Leser ein Gewinn war. Während das Fernsehen kurzlebige Konzilsaufnahmen in alle Welt sandte, war die DT-Printausgabe ein wichtiges und langlebiges Zeit- und Konzilsdokument im deutschsprachigen Raum. Auf vielen Seiten wurden sie immer wieder thematisiert: Die „Spannungen im innerkatholischen Raum“. Kommentare und Leitartikel versuchten das Ringen der Konzilsväter einzuordnen - zwischen den „Bewahrern des Überlieferten“ und jenen, die besagten „Sprung nach vorn“ anstrebten.

Der Tod von Papst Johannes XXIII.

Nachdem Johannes XXIII. erkrankte und am 3. Juni 1963 verstarb, lag es an Papst Paul VI., die Linie seines Vorgängers fortzuführen. Eine denkwürdige Rede in lateinischer Sprache hielt Paul VI. bei der Eröffnung der zweiten Sitzungsperiode:

„Wir müssen die Kirche der Liebe erstreben, wenn wir wollen, dass sie imstande sei, sich und die Welt um sich herum tief zu erneuern.“ Deshalb müsse das Konzil von einer Liebe geprägt sein, die „eher an die anderen als an sich denkt“.

Das Ergebnis des zweiten Vatikanischen Konzils

Innerhalb von drei Jahren entstanden in einem Prozess des Hörens, Betens und Ringens sechzehn Dokumente, davon vier Konstitutionen, neun Dekrete und drei Erklärungen. In einem Schreiben an Kardinal Tisserant, dem Vorsitzenden des Kardinalspräsidiums, setzte Papst Paul VI. den 8. Dezember 1965 als Schlusstermin des Konzils fest. In einer Abschlussaudienz ließ er an die deutschsprachigen Bischöfe Europas verlauten: Der Wunsch seines Vorgängers sei in Erfüllung gegangen:

„die Substanz des christlichen Denkens und Lebens, deren Treuhänderin die Kirche ist, wurde zu neuer Geltung gebracht; das Antlitz der Kirche erstrahlt in neuem Glanz“.

Doch worin bestand nun wirklich der religiöse Ertrag des Konzils, eine Frage, die nach 1965 nicht nur kritische DT-Leser bewegte. Paul VI. antwortete:

„In der unmittelbaren religiösen Beziehung zum lebendigen Gott, jenem Verhältnis, aus dem heraus die Kirche glaubt, hofft und liebt, existiert und handelt“.

Für manche mag die reiche Konzilssaat aufgegangen sein, andere vermissen die Früchte des Konzils oder die viel beschworene Aufbruchsstimmung bis heute.

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