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Ermordete Mönche in Algerien: Täter noch immer gesucht

Vor 25 Jahren wurden sieben Mönche in Algerien ermordet aufgefunden. Sie sind mittlerweile seliggesprochen. Ein Besuch bei einem der Überlebenden Trappisten gibt genaue Einblicke in die Geschehnisse.
Jean-Pierre Schumacher vor Bildern seiner Mitbrüder
Foto: Bruno Rotival (CIRIC) | Bruder Jean-Pierre Schumacher, der letzte überlebende Mönch des Klosters Notre-Dame de l'Atlas in Algerien, steht in Midelt (Marokko) vor den Porträts der ermordeten sieben Trappisten von Tibhirine.

Am Morgen des 21. Mai 1996 wurde der internationalen Presse in Algier ein Kommuniqué des Emirs der islamistischen Terrormiliz GIA übermittelt, das mit zwei Hadithen des Propheten Mohammed und einem Koranvers über „den, der sein Versprechen nicht einhält“, begann. Es bestand kein Zweifel, der Text war authentisch, er klang nach brutaler Realität.

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Zwei Trappisten überlebten

Nach einer Aufzählung der vom GIA unternommenen Versuche eines Gefangenenaustauschs der im Kloster Tibhirine entführten Mönche, hieß es wörtlich: „Wir dachten, dass ihnen tatsächlich daran gelegen war, die sieben Mönche gesund und unverletzt zurück zu erhalten… Später haben der französische Präsident und sein Außenminister jedoch angekündigt, dass es weder Dialog noch Verhandlung mit der GIA geben werde. Somit haben sie den Kontakt abgebrochen und wir haben daraufhin die sieben Mönche enthauptet. Damit haben wir unsere Drohungen wahr gemacht, so wie wir uns gegenüber Gott verpflichtet hatten. Gelobt sei Gott. Dies wurde ausgeführt am Morgen des Mittwochs, den 21. Mai.“ Es folgen erneut eine Koran-Sure und ein Hadith des Propheten, sowie Unterschrift und Stempel des Emirs der GIA.

Frère Jean-Pierre Schumacher, einer der beiden durch Zufall überlebenden Trappisten, nahm nach der schrecklichen Nachricht „Die Brüder sind getötet worden“ während der Vesper in ihrem Exilkloster im marokkanischen Fès den schluchzenden Jüngsten in seine Arme und tröstete ihn mit den Worten: „Sei nicht traurig. Was hier geschieht, ist etwas sehr Großes. Wir müssen dem Ereignis gerecht werden“.

Die Verehrung wird weltweit größer

Bei meinem Besuch des von der luxemburgisch-deutschen Grenze stammenden Paters konnte ich beobachten, wie der gebeugte, aber rüstige Mönch in seiner neuen Zuflucht, dem Kloster Midelt am Hohen Atlas in Marokko, jeden Abend nach dem Gesang des „Salve Regina“ vor die Ikonen der unvergessenen Mitbrüder trat, die man hier „die Schlafenden“ nennt. „Für mich waren die sieben schon Märtyrer“, sagte er, „ich liebe diese innere Freude, die von anderswo kommt“. Unterdessen sind sie 2018 selig gesprochen worden. Die Verehrung wird weltweit größer.

Wenige Tage nach der Todesnachricht meldete der Prokurator Pater Armand Veilleux der beiden überlebenden Mönche Jean-Pierre und Amédée, dass man die Brüder gefunden habe, „aber nur noch ihre Köpfe“. Zusammen mit dem französischen Botschafter, dem Generalkonsul, Ortsbischof Tessier, dem Generalabt der Trappisten Dom Bernardo Olivera und den zwei Brüdern begab er sich in das Militärhospital Ain Naadja in Algier, um die sterblichen Überreste der Sieben in Empfang zu nehmen.

Nur noch die Köpfe gefunden

Die Behörden hatten die Särge nebeneinander aufgestellt und bereits verschlossen. Auf jedem Sarg lag eine Rose. Dom Bernardo bat den Oberst, die Sargdeckel zu öffnen. Er lehnte ab, sie seien schon versiegelt. Doch bestand der Ordensgeneral auf seiner Bitte, erhielt jedoch zur Antwort, das zuständige Personal habe das Hospital bereits verlassen. Dennoch blieb der argentinische Mönch unerschütterlich; er kannte die Praxis südamerikanischer Drogenbosse, die Öffentlichkeit mit leeren Särgen zu täuschen. Vor dem Oberst gab er jedoch an, es sei unerlässlich, sich offiziell vom Tod der Mönche zu vergewissern, da er für die Benachrichtigung der Familien verantwortlich sei. Erst dann wurde die Öffnung der Särge angeordnet.

Der Generalabt und sein Prokurator schreckten zurück. Auf dem Filztuch der Särge befanden sich tatsächlich nur die sieben Köpfe. Nur der Prior Christian und der „toubib“ (Mediziner) Luc waren noch zu erkennen. Ein Arzt der Botschaft wurde hinzugezogen, um die Leichen zu identifizieren und den Totenschein auszustellen. Dom Olivera schrieb später: „Wir haben unwillkürlich an Johannes den Täufer gedacht. Es war erschütternd. Innerhalb von zwanzig Minuten war alles vorbei“.

Beisetzung unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen

Die Trauerfeier fand in der Kirche „Notre-Dame de l'Afrique“ statt. Unzählige Priester standen in roten Talaren um den Altar. Papst Johannes Paul II. hatte Kurienkardinal Arinze als Legat nach Algier geschickt. Neben ihm der Erzbischof von Paris, Kardinal Lustiger, vor den Särgen die Familien der Opfer. Es waren erschütternde Szenen. Auf den Stufen der Marienkirche fanden sich im Angesicht des Todes Christen und Moslems wieder zusammen. Die Beisetzung fand unter Bäumen im kleinen Klosterhof von Tibhirine statt. Es herrschten strengste Sicherheitsvorkehrungen.

Die beiden überlebenden Brüder Jean-Pierre und Amédée wurden, begleitet vom französischen Botschafter und hohen Militärs, zur Beisetzung aus Sicherheitsgründen eingeflogen. Bei meinem 14-tägigen Besuch erzählte mir später der betagte Mönch, dieser Flug habe ihn erschüttert: Im Hubschrauber ging es über die von allen gemiedene gefährliche Chiffa-Schlucht und die Wälder an den Atlas-Ausläufern, dem Rückzugsgebiet der Entführer, die man im Kloster in aller Milde „unsere Brüder aus den Bergen“ genannt hatte.

Noch immer wird nach Tätern gefahndet

Doch ist die Fahndung nach den Tätern nicht zu Ende. Zwar gibt es an der Entführung der Mönche durch die islamistische GIA keine Zweifel. Aber haben sie die Mönche auch ermordet? Die Geheimdienste verstricken sich in gegensätzliche Erklärungen. Die Botschaften in Paris und Algier bevorzugen diplomatisches Schweigen. Sogar die Franzosen gerieten in Verdacht, den Mord in Auftrag gegeben zu haben, um die sich gegenseitig bekämpfenden algerischen Mudschahedin zu diskreditieren. Immer wieder war es zu Attentaten auf Priester und Ordensfrauen gekommen. Sogar der mit den verstorbenen Mönchen eng befreundete Bischof von Oran wurde bei der Einfahrt zu seinem Amtssitz erschossen. Alle Möglichkeiten sind offen geblieben, sogar ein schlimmes Missverständnis, eine Verwechselung im Guerilla-Krieg.

Ein christlicher Pilgerort soll verhindert werden

Die Auffahrt von der Straße von Algier nach Oran hinauf ins Kloster wird bis zum heutigen Tag streng kontrolliert. Die Regierung will verhindern, dass an den Gräbern der sieben „Schlafenden“ auf moslemischem Gebiet so etwas wie ein christlicher Pilgerort entsteht. Vereinzelte Bewohner, die hier eine Art Kulturzentrum für den vom ermordeten Prior Frère Christian initiierten christlich-moslemischen Dialog einrichten wollten, mussten den Versuch wieder aufgeben. Die Bemühungen von Trappisten-Mönchen aus den französischen Abteien Citeaux und Aiguebelle, im Sinne ihrer Brüder das klösterliche Leben in einer einfachen Gemeinschaft fortzusetzen und nur „Beter unter Betern zu sein“, wurde behindert und schließlich aufgegeben.

Buchtipp:

Freddy Derwahl:  Der letzte Mönch von TibhirineVerlagsgruppe Random House, München 2012

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