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Kelle, Schönburg & Co.: Wir bleiben!

Prominente Katholiken wie Birgit Kelle oder Alexander von Schönburg aber auch viele andere Gläubige erzählen der Tagespost, warum sie trotz der Missbrauchsfälle gerne der katholischen Kirche angehören.
Staatsanwaltschaft prüft nach Münchner Gutachten 42 Fälle
Foto: Sven Hoppe (dpa) | Die Berichte von Kirchenaustritten mehren sich nach der Präsentation des Münchner Missbrauchsgutachtens. Doch für viele kommt das gar nicht in Frage.

Die Berichte von Kirchenaustritten mehren sich nach der Präsentation des Münchner Missbrauchsgutachtens. Wie kann man bei all den schlechten Nachrichten noch in der Kirche bleiben? Wie geht es weiter mit der Kirche? Wir haben gläubige Katholiken gefragt, warum sie trotz allem sagen: „Wir bleiben“.

Birgit Kelle, freie Journalistin, Autorin und Tagespost-Kolumnistin:

Schon als ich vor Jahren zum katholischen Glauben konvertierte, hat man mich ständig ungläubig gefragt, warum ich in diese angeblich „skandalöse, frauenfeindliche, rückständige, unmoderne“ Kirche auch noch absichtlich eintrete, statt so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Ich kann es heute noch genauso formulieren wie damals: Für mich war es ein „nach Hause kommen“ und ich gebe dies Zuhause nicht auf, nur weil hier auch manche wohnen, die Fehler machen. Hab ich keine? Mein Glaube ist nicht an das Bodenpersonal gebunden, sondern höher aufgehängt. 

Birgit Kelle
Foto: Kerstin Pukall | Birgit Kelle


Ich wünsche mir eine überzeugende Aufarbeitung der Missbrauchsskandale, damit diese Kirche ihr großes Erbe wieder überzeugend vertreten kann. Der Schmutz, der derzeit auf den emeritierten Papst Benedikt XVI. geworfen wird, empfinde ich als unerträglich und durchschaubar. Gerade Benedikt hat hier große Vorleistung erbracht. Was hat der sogenannte Synodale Weg in diesem Thema hingegen geleistet, außer Spaltung und Ablenkungsmanöver? Hier müssten ganz andere gehen.

Alexander von Schönburg, Bild-Redakteur und Tagespost-Kolumnist: 

Die Kirche? Das sind nicht die Kirchenfürsten, die Bischöfe, nicht einmal die Kleriker. Das sind wir alle. Der Familienvater im kenianischen Kilifi, der jeden Sonntag mitsamt seiner Familie eine zweistündige Fahrt im überfüllten Bus auf sich nimmt, um zum nächstgelegenen Gottesdienst zu kommen, die Novizin im indischen Uttar Pradesh, die jeden Tag Kinder unterrichtet, die Gefahr in Kauf nehmend, von hindunationalistischen Extremisten auf dem Nachhauseweg erschlagen zu werden, der Obdachlose, der jeden Morgen in St. Paulus in Berlin-Moabit in der Frühmesse sitzt ... Von denen soll ich mich lossagen? Die Schuld, die die Kirchenautoritäten auf sich geladen haben, ist beschämend. Aber eine wirkliche Aufarbeitung der Wurzeln dieses Skandals ist zur Zeit gar nicht möglich.

Alexander Graf von Schönburg
Foto: Sebastian Karadschow | Alexander Graf von Schönburg

 

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Man müsste dann nämlich an Dingen rühren, die der westliche Zeitgeist geradezu feiert – die enthemmte, spaßorientierte Sexualität. Die schärfsten Angriffe kommen doch aus ebenjenen Milieus, die zu der Zeit, als die Vertuschungen geschahen, die natürliche sexuelle Scham als Verklemmtheit verlacht und Sexualität mit Kindern laut propagiert haben. Den Übelsten unter ihnen geht es gar nicht um Schutz von Minderjährigen. Sie wollen das letzte Bollwerk, das dem Zeitgeist noch Widerstand leisten könnte, aus dem Weg räumen. Ich finde, die meisten unsere Bischöfe machen keine gute Figur, wie sie Kopfstände machen, um den Anschein zu erwecken, sie seien doch längst eingemeindet in diese Gleichschaltung und ihren schlimmsten Feinden nach dem Maul reden. Das Krokodil füttern, in der Hoffnung, als letztes gefressen zu werden, ist, um mit Churchill zu sprechen, eine miserable Strategie.

Anna Diouf, Opernsängerin und Tagespost-Kolumnistin:

Ich bleibe in der Kirche aus zwei ganz unterschiedlichen Gründen: Aus Liebe und aus Neugier. Aus Liebe, weil es die Kirche ist, die mir von Jesus erzählt. Ohne sie gäbe es ja nicht einmal die Evangelien! Woher wüsste ich also, dass Gott mich liebt? Als einzige Christin in meiner Familie ist mir klar, dass diese Gewissheit nicht selbstverständlich ist: Ich habe mir den Glauben gegen meine eigenen Vorurteile „erkämpft“, und doch ist er letztlich ein Geschenk: Die Kirche schenkt mir Beziehung zu Christus, der das Leben und die Liebe selbst ist.

Ihre Lehre bewahrt mich davor, mir in den Grenzen meines Denkens einen eigenen Gott zu konstruieren, der nur ein Hirngespinst wäre. Und neugierig bin ich, weil ich die Kirche als wunderschönes, uraltes Gebäude empfinde: Überall gibt es etwas zu bestaunen, zu bewundern. Ein Leben reicht nicht aus, um all die spannenden, manchmal kuriosen Winkel des Lehrgebäudes zu erkunden. Ich habe in der Kirche also noch viel zu entdecken.

Bernadette Lang, 31, Leiterin der Home-Akademie der Loretto-Gemeinschaft:

Ich bin in der Kirche, weil ich zu Christus gehöre. Die Kirche ist sein Leib – und zugegeben wird er auf vielerlei Weise missbraucht. Dennoch ist es sein Leib. Indem ich zu Christus gehöre, gehöre ich nicht nur zur Kirche, sondern bin auch Kirche. Teil der Familie Gottes in der Welt, in der ich durch die Taufe hineinadoptiert worden bin. Und deshalb trage ich quasi auch seinen Familiennamen. Unvorstellbar! Welche Verantwortung!

Bernadette Lang
Foto: privat | Bernadette Lang

Und ja, wir gestalten diese seine Familie, seinen Leib – die Kirche – mit unserer Tadellosigkeit – und eben auch mit unseren Sünden. Derer sind es viele, wie wir in diesen Tagen hören. Umso wichtiger ist es, dass wir als Familie Gottes, als seine – ich sage das mit Ehrfurcht – Repräsentanten in der Welt das Herz des Vaters in einer lieblos gewordenen Welt sichtbar machen.

Verena T., 21, studiert Grundschullehramt mit Hauptfach katholische Religion:

„Wollt auch ihr weggehen?“ (Joh 6,67). Nachdem Jesus von vielen seiner Jünger verlassen worden war, weil sie seine Worte nicht begreifen konnten, stellte Jesus diese Frage an die Übriggebliebenen. Daraufhin antwortete ihm Petrus: „Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,67). An diese Bibelstelle denke ich angesichts der aktuellen Missbrauchskrise und den damit verbundenen Kirchenaustritten immer wieder.

Wenn ich die Kirche als reine Institution betrachten würde, dann wäre ich wohl schon längst ausgetreten. Doch ich betrachte die Kirche als den „Leib Christi“. Die Gemeinschaft aller Gläubigen, die sich untereinander und mit Christus vereinen, bildet den „Leib“, die Gegenwart Gottes in der Welt. Leider gibt es Glieder an diesem Leib, die krank sind und die der Reinigung bedürfen. Auch sie sind Teil der Kirche, denn Jesus hat nie die Sünder verstoßen. Er hat sie geliebt und durch seine Liebe geheiligt. Dieser Prozess darf und muss jetzt in der Kirche geschehen, damit sie wieder authentisch die Liebe Christi verbreiten kann. 

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Das geschieht meiner Meinung nach am Besten dann, wenn Gott wieder im Zentrum steht und nicht unser von Fehlern behaftetes menschliches Können. Dann nämlich wird Gottes Liebe authentisch gelebt, wie ich es bei zahlreichen Gläubigen, insbesondere bei vielen jungen Menschen, erlebe. In der Gemeinschaft mit Gott und untereinander wird Kirche lebendig. Meine Antwort auf die Frage Christi (vgl. Joh 6,67) ist klar: Herr wohin sollte ich gehen? Ich werde dich und deine Kirche nicht verlassen, auch wenn es schwer ist. Denn du hast Worte ewigen Lebens.

Vera, 62, aus Sao Paulo:

Ich bin durch Familientradition römisch-apostolisch-katholisch. Ich wurde getauft und hatte meine erste Kommunion, als ich klein war. Während der Zeit, als ich Katechese machte, nahm ich an der Vorbereitung von Messen teil und dann, als ich noch klein und unschuldig war, wurde ich mit etwas konfrontiert, das ich nicht verstehen konnte. Ich habe nicht mitbekommen, was in meiner Kirche vor sich ging, erst nach ein paar Jahren erfuhr ich, dass eine meiner 12-jährigen Freundinnen mit dem etwa 50-jährigen Priester weggeflohen war. Das geschah in den 70er Jahren und ich war schockiert und konnte es damals nicht verstehen.

Aber mein Glaube an Gott blieb lebendig. Hier in meiner Gemeinde neigen die Kirchen dazu, vielen Menschen in Not auf eine Weise zu helfen, die weit über das hinausgeht, was von ihnen erwartet wird. Kirchen opfern sich oft mit wenig Geld zugunsten der Unglücklichen auf. Und von den Zeiten, in denen ich Erfahrungen mit der Kirche gemacht habe, waren die meisten positiv. Nichts entschuldigt die schmutzigen Ereignisse, die gerade enthüllt wurden: sie sind unverzeihlich, aber ich habe nie vergessen, dass die Kirche von Menschen zusammengestellt und geleitet wird, von denen viele nicht Teil dieser Angelegenheit sind. Meiner Erfahrung und meiner bescheidenen Meinung nach sind die große Mehrheit der Gläubigen, die der Katholische Kirche angehören, Menschen guten Herzens, die bereit sind, trotz der Verbrechen der Mitglieder der Kirche durchzuhalten und an den Lehren der Kirche festzuhalten.

Mein Glaube ist unabhängig von den Haltungen derer, die in dem widersprüchlich sind, was sie predigen und was sie tun. Die Kirche muss auf jeden Fall Stellung beziehen, aber mein Glaube bleibt an die Güte der Menschen, von der ich weiß, dass sie existiert. 

Antonia Egger, 55:

Ich bin wegen einer angeborenen Querschnittlähmung von frühester Kindheit an Rollstuhlfahrerin. In meinem Leben mit Behinderung ist mir der Glaube eine große Stütze und Hilfe, nicht zuletzt durch den Glauben an die Auferstehung und die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ohne Behinderung. Durch gläubige Christen habe ich im Leben schon viel Unterstützung und Bereicherung erfahren. Diese Erfahrung bleibt bestehen und ich bin sehr dankbar dafür. Außerdem ist die Katholische Kirche eine sakramentale Kirche, das heißt das Geschenk und die Wirkung der Sakramente ist und bleibt gültig, unabhängig davon, welcher katholische Priester sie spendet und unabhängig von dessen persönlichen Verfehlungen. Dies sind für mich Gründe genug, in der Katholische Kirche zu bleiben, ungeachtet der Wirren, durch die sie derzeit geläutert wird.

Thomas Stil, 27, studiert Theologie:

Quantum quisque amat ecclesiam Christi, tantum habet spiritum sanctum. Wie viel einer die Kirche Christi liebt, so viel hat er den Heiligen Geist (Augustinus von Hippo). Ja, es mag sein, dass der Geist „weht, wo er will“ (Joh 3,8). Und doch hat er sich nach biblischem Zeugnis an die communio sanctorum gebunden: Im Raum der Kirche, im Vollzug der Sakramente weht er ganz gewiss, dort begegne ich ihm mit Sicherheit. Die Kirche ist das vornehmliche Werkzeug des Heiligen Geistes, mich mit Gott zu verbinden. Und das ist es, was ich will: Verbunden-Sein mit Gott. Darum bleibe ich in der Kirche!

Thomas Stil
Foto: privat | Thomas Stil

Gewiss, wenn ich mit der Kirche zu tun habe, bekomme ich es auch mit der Schwachheit und Sünde der Menschen zu tun. Was tut nun der Heilige Geist angesichts dessen? Treibt er mich aus der Kirche heraus, damit ich nicht in Berührung mit der Sünde meiner Brüder und Schwestern komme? Oder weckt er nicht vielmehr in mir die Liebe zur Kirche und also auch zu meinen schwachen Geschwistern? Wenn Christus seine casta meretrix, also seine „keusche Hure“ (Ambrosius von Mailand) lieben kann, dann kann ich es auch.

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Soraya Kutterer, 27, studiert Französisch und Kunst auf Lehramt:

Für mich ist die Kirche keine Erfundene Institution, sondern eine lebendige Wirklichkeit. Sie ist in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt. Vor eineinhalb Jahren habe ich mich deswegen bewusst für die heilige Katholische Kirche entschieden und das Sakrament der Taufe, der ersten Kommunion und der Firmung empfangen. Ich komme aus einer christlich-liberalen Familie des Bildungsbürgertums, allerdings sind meine Eltern vor meiner Geburt zum Sufismus konvertiert, weswegen ich sowohl mit dem Islam und dem Katholizismus aufgewachsen bin.

Soraya Kutterer
Foto: privat | Soraya Kutterer

Mit meiner Taufe habe ich ja zu Jesus und seiner Kirche gesagt. Natürlich sind viele Geschehnisse der letzten Jahre in der Katholische Kirche schauderhaft, aber es sind die Menschen, die diese Fehler begehen, nicht die Kirche. Wir müssen das Geschehene demütig aufarbeiten und danach als aktive Mitglieder eine neue Kirche bauen. Für mich ist das eine Entscheidung für den Weg der Liebe und zugleich tritt man so dem Hass und der Wut dieser Welt entgegen.

Joseph, 23, macht gerade sein Abitur:

Ich bleibe in der Katholische Kirche, weil ich weiß, dass sie nicht „perfekt“ sein kann und auch nicht sein muss. Zugegeben, bei dem Wort „Kirche“ denke ich zunächst an ein Gebäude oder eine, sagen wir mal, „Behörde“. Doch hat Jesus damals ein Haus mit Glockenturm oder ein staatliches Konstrukt berufen, von seinen Worten und Taten zu berichten und für die Menschen da zu sein? Offensichtlich nicht! Jesus hat Menschen ausgewählt, seine zwölf Apostel. Genauer betrachtet waren das aber nicht tadellose Persönlichkeiten, sondern einfache Alltagsmenschen: Fischer, Händler, Familienväter, Handwerker etc.. Sie haben sich gestritten, waren ungeduldig, teils schwer von Begriff und somit schlicht gesagt: menschlich. Bei vielen Textstellen in der Bibel finde ich mich selbst in den Jüngern wieder, wenn diese Fragen und Unverständnis äußern. Und ich sehe dies auch heute noch in meiner Kirche. Doch interessanterweise hat Jesus das ja alles gewusst. Jesus war klar, dass diese Menschen, die er ausgewählt hatte, Fehler machen und straucheln werden. Allerdings war ihm nicht der „Optimale Jünger“ wichtig, sondern die Treue und Beharrlichkeit, mit der ihm seine Apostel gefolgt sind. Das stetige Bemühen, seine Worte zu begreifen, sie im persönlichen Leben umzusetzen und das erfahrene weiterzugeben. Genau das ist es auch, was mir Trost spendet für mich selbst und die Katholische Kirche. Denn es bedeutet, dass nicht der Erfolg zählt, sondern das Bemühen, Gott immer wieder neu und besser kennenzulernen und seinen Willen zu tun…

Ursula Harter, Sprecherin vom Mediennetzwerk Pontifex:

Ich bleibe in der Katholische Kirche, weil es für mich keine Überraschung ist, dass in der Kirche nur Sünder zu finden sind. Vielmehr bin ich frohe, dankbare und überzeugte Katholikin, weil ich nur im lebendigen Leib Christi meine Schuld einsehen und frei bekennen kann, denn nur hier gibt es eine echte Chance auf Vergebung und einen Neuanfang. Eigentlich sollten wir in der Kirche Christi der Ort sein, an dem alle freimütig ihre Schuld bekennen und trotz allem unendlich froh sind. Denn wir dürfen die Überzeugung leben, dass Gott uns von jeder Schuld freimacht, wenn wir uns von ihm befreien, ja erlösen lassen wollen. Kehren wir als Kirche in der Welt zurück zur ersten Botschaft des Auferstandenen: "Empfangt Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben, und wem ihr sie nicht vergebt, dem sind sie nicht vergeben." (Joh 20,23). Vergeben wir einander und fangen wir neu an, damit der Friede des Auferstandenen wieder sichtbar werde und jeder gerne in der Kirche bleibt.

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