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Joannes Baptista Sproll: Gesicht des bischöflichen Widerstands

1943 weiht Bischof Joannes Baptista Sproll seine Diözese im Exil – Über die „Marienweihe im Jahr von Stalingrad“ schreibt der Theologe Thomas Hanstein. Von Barbara Wenz
Joannes Baptista Sproll
Foto: KNA | Früh kritisierte Bischof Sproll die aufkommende Ideologie des Nationalsozialismus und sorgte sich um die Unabhängigkeit der Kirche.

Bischof Joannes Baptista Sproll, Symbolfigur für den bischöflichen Widerstand gegen das NS-Regime wurde am 2. Oktober 1870 in einem Weiler bei Biberach geboren. Als Sohn eines einfachen Straßenwärters und als eines von vierzehn Geschwistern konnte er mittels intensiven Studiums und guter Leistungen schnell die klerikale Stufenleiter der Kirche erklimmen. 1916 wurde er zum Bischof geweiht und nahm zu Beginn der Zwanziger Jahre an der verfassungsgebenden Versammlung des Landes Württemberg teil. Die aufkommende Ideologie des Nationalsozialismus kritisiert er schon früh, vor allem sorgt er sich um die Unabhängigkeit der katholischen Kirche und die Umerziehung der Kinder durch die Hitlerjugend.

Offener Kampf zwischen Hitlers Regime und Joannes Baptista Sproll

Im Jahre 1938 kam es zum offenen Kampf zwischen Hitlers Regime und dem Bekennerbischof: Sproll weigerte sich, an der Volksabstimmung zum Anschluss Österreichs teilzunehmen und verweigerte somit auch gleichzeitig die Zustimmung zum Großdeutschen Reichstag und der „Liste des Führers“. Die Nazis starteten eine regelrechte Hetzkampagne mit Demonstrationen, Aufläufen und schließlich der Erstürmung des bischöflichen Palastes. Sproll wurde die Aufenthaltserlaubnis für Württemberg entzogen; er hielt sich zunächst in St. Ottilien auf, erkrankte dann aber 1941 an Multipler Sklerose und wechselte in ein Heilbad nach Bayerisch-Schwaben.

Zwei Jahre später, im „Jahr von Stalingrad“, weihte er seine Diözese im Exil der heiligen Gottesmutter. War dies die fromm-verzweifelte Tat eines chronisch erkrankten, marianisch bewegten Bischofs oder vielmehr ein aktiver, widerständiger und gesellschaftspolitisch relevanter Akt, gar ein Fanal? Diese Frage stellt der studierte Theologe und Geschichtsdozent Thomas Hanstein und widmet sich ihr in seinem fast 500-seitigen Beitrag zum Thema, der im Tectum-Verlag erschienen ist.

Hansteins Untersuchungsmethode geht historisch in die Tiefe, bis zu den Anfängen des sogenannten marianischen Jahrhunderts 1854 bis 1954, um dann zu den Geschehnissen in der Diözese Rottenburg zurückzukehren, zu den dort zur fraglichen Zeit vorherrschenden Wallfahrten und Bruderschaften unter besonderer Berücksichtigung der Bistumspresse jener Jahre.

Im dritten Teil seiner Untersuchung widmet er sich in voller Ausführlichkeit der Persönlichkeit des Joannes Baptista Sproll und zeichnet dessen Weg vom „Bauern“ zum „Bekennerbischof“ anhand reicher Quellenmaterialien und einer Fülle von Originalzitaten nach. Hanstein greift dabei insbesondere auch auf bisher unveröffentlichte Dokumente zurück und führt seine Hinweise auf weiterführende Informationen jeweils direkt an den betreffenden Stellen an. Pius XII. und seine 1942 vollzogene Weihe der ganzen Welt an Maria war ein Impuls, der Sproll zu seiner Marienweihe der Diözese Rottenburg inspirierte, die nicht wenige evangelische Bischöfe der damaligen Zeit irritiert hatte.

In einem Brief bittet er den Papst um Erlaubnis zur Weihe

An den Heiligen Vater schreibt er, gleichzeitig um dessen höchste Erlaubnis bittend: „Das nunmehr viereinhalb Jahre dauernde erzwungene Fernsein von meiner Diözese, die Beschwerden meines körperlichen Zustandes, das bittere Entbehren der Ausübung des Predigt- und Weiheamtes und alles Leid um Kirche und Volk möchte ich der lieben Gottesmutter als Opfergabe schenken, damit sie es durch Ihren lieben Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, dem Vater im Heiligen Geiste darbringe“.

Zur Vorbereitung auf den Weiheakt gehören auch Hirtenbriefe, darunter jener an die Frauen und Männer des Bistums, außerdem an die Kinder und Insassen von katholischen Anstalten. Die Dekanate sollten entsprechende Priesterexerzitien durchführen. Hanstein dokumentiert nicht nur den Weiheakt des Bischofs, sondern auch die qualitativen und quantitativen Abläufe auf der Ebene der Dekanate und Gemeinden der Diözese: „Mit Blick auf eine einzelne Gemeinde und ihre Dynamik in Richtung Marienweihe sind damit die Motive des ,Möglichst viel‘ und ,Möglichst gleichzeitig!‘ belegbar, die oben, in den offiziellen Texten, mit dem Bild des ,Gebetssturms‘ veranschaulicht worden waren“, stellt Hanstein dazu fest.

Bevor sich Hanstein letztlich die Frage nach der politischen Widerständigkeit des Aktes stellt, fasst er den Nachgang der Ereignisse, insbesondere das zehnjährige Jubiläum im Jahre 1953 und dessen direkte und indirekte Vorgänge bündig zusammen. Für die nachfolgende Analyse benutzt er zwei Modelle: zum einen das Widerstands-, zum anderen das Resistenzmodell. Prämisse des Widerstandsmodells wäre in diesem Fall der Herrschaftsanspruch des NS-Staates. Davon ausgehend gibt es graduelle Abstufungen der Widerständigkeit mit abnehmenden „Risikocharakter“, denen eine je eigene Motivation zugrunde liegt: der aktive Widerstand, der Protest, die Verweigerung und die Nonkonformität. All diesen Motivationen und Handlungen muss nicht zugleich eine bestimmte Wirkung zugeschrieben werden; entscheidend ist, was gewollt und beabsichtigt ist. Anders beim Resistenzmodell, welches von der Wirksamkeit eines Widerstandes, also von der faktisch gegebenen Beeinträchtigung der Begrenzung von Herrschaft ausgeht.

Beide Modelle erscheinen Hanstein in ihrer Anwendung auf das Phänomen Marienweihe 1943 durch Sproll ungenügend, sie berühren zwar den Aussagecharakter dieser Handlung, können ihn jedoch nicht umfassend beschreiben. Eine besondere Nähe zum Resistenzmodell wird allerdings deutlich – was ausdrückt, dass sich der religiöse Akt politisch wirksam auf die Begrenzung der NS-Herrschaft auswirkte, cum grano salis. Im vierten Teil seiner Arbeit bietet Hanstein eine wiederum in die Tiefe der kirchengeschichtlichen Marienverehrung gehende Zusammenfassung der Ereignisse und einen aktuellen Ausblick, in dem er unter anderem feststellt: „Eine neue Sprache zu finden für jene Glaubensgewissheit, die den Bischof der Marienweihe und seine Diözesanen noch leitete, wäre eine redliche Alternative zu einer heute nicht mehr leb-, weil nicht mehr verstehbaren oder gar zu einer folkloristischen oder rein ästhetisch ansetzenden Form der Marienverehrung. Diese Aufgabe, eine neue Sprache zu suchen, ist aktueller denn je […].“ In diese Richtung weiterzudenken, hierfür kann Hansteins Werk, welches eben nicht nur als impulsgebender und reminiszierend würdigender Beitrag zu Sprolls Leben, Selbstverständnis und Frömmigkeit verstanden werden kann, wichtige Anregungen und Anstöße geben.

Thomas Hanstein: Sprolls Marienweihe im Jahr von Stalingrad. Religiöser Akt oder politisches Fanal? Ein historischer Beitrag zum siebten Rottenburger Bischof. Tectum Verlag Marburg 2014, 464 Seiten, ISBN 978-3-8288-3428-6, EUR 44,95

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