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Hans Küng ist tot: Rückblick auf ein langes Leben im Konflikt mit der Kirche

Hans Küng war einer der bekanntesten Kirchenkritiker. Wahrheitsansprüche sah der Theologe als intolerant und fundamentalistisch an. Bei den Medien war er für seine Positionen beliebt. Am Dienstag ist Küng verstorben.
Theologe Hans Küng ist verstorben
Foto: Jens Kalaene (dpa)

Der „Gegenpapst” ist tot. Am Dienstag verstarb in seinem Haus in Tübingen mit 93 Jahren Hans Küng. Es ist bisher nicht bekannt, wie der Schweizer Theologe zuletzt zur „aktiven Strebehilfe” stand, für die er sich in seinem Buch „Menschenwürdig sterben” (1995) ausdrücklich ausgesprochen hatte. Während sein ewiger Konkurrent Joseph Ratzinger Papst wurde, hat Küng es zum modernen Gegenpapst gebracht. Mit der von ihm gegründeten Stiftung Weltethos hat er schließlich nicht nur die konfessionellen Grenzen überwunden, sondern auch die Religionen auf übergeordnete ethische Standards verpflichten wollen.

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Wissenschaft statt kirchliche Lehre

Auf dem Konzil (1962-1965) sind beide zu „Stars” geworden: Ratzinger schrieb die Vorlagen für die Wortmeldungen des Kölner Kardinals Frings und arbeitete in den Kommissionen an den offiziellen Dokumenten mit. Während Küng ohne direkten Einfluss blieb, aber mit griffigen zeitgemäßen Formulierungen und genialer Vereinfachung mehr seine eigenen Thesen als die des Konzils erfolgreich unter den Journalisten verbreitete.

Vor dem Konzil hatte Küng 1960 einen Lehrstuhl für systematische Theologie in Tübingen erhalten. Man nahm ihn auch ohne abgeschlossene Habilitation, nachdem Ratzinger und Hans Urs von Balthasar eine Berufung abgelehnt hatten. Küng war Priesteramtskandidat am Germanicum und wurde auch in Rom 1954 zum Priester geweiht. Bereits mit seiner Promotionsschrift über Karl Barth hat er sich der Ökumene zugewandt. Auf dem Konzil entdeckte Küng die neue Rolle des Theologen. An die Stelle des Lehramts der Bischöfe sollte das Lehramt des Experten treten, an die Stelle der kirchlichen Lehre der Konsens der Wissenschaft.

Aufstellung einer Gegenkurie

Ziel von Küng war es, die aus seiner Sicht halbherzigen und durch Kompromisse verwässerten Reformschritte der Kirchenversammlung konsequent zu Ende zu führen. Die Bischöfe und die Kurie wollte Küng von Tübingen aus vor sich her treiben: Das permanente Konzil sollte an der Universität institutionalisiert werden. Dafür wollte er Rahner und auch Ratzinger gewinnen. Dazu wurde die internationale Zeitschrift „Concilium” gegründet: Fachleute aus allen Disziplinen sollen die Gegenkurie bilden. Leitwissenschaft wurde die Exegese und oberster Koordinator der von den Medien geliebte Hans Küng.

Lehrerlaubnis im Skiurlaub entzogen

Ratzinger ließ sich 1966 von Küng nach Tübingen locken. Er entzog sich bald. Dem drohenden Konflikt mit Küng ausweichend setzte er sich 1968 an die neue bayerische Landesuniversität Regensburg ab. Auf Ratzingers Welterfolg „Die Einführung in das Christentum” (1968) antwortete Küng mit „Christ sein” (1974). Den wesensmäßigen Gottessohn ersetzt er durch den menschlichen Sachwalter Gottes.

Zuvor hatte Küng in „Unfehlbar? Eine Anfrage” (1970) das Petrusamt historisch-kritisch zu erledigen versucht. In der Moderne kann nur die Wissenschaft oberste Lehrautorität sein. Sie urteilt durch den fleißigsten und besten Wissenschaftler, durch Hans Küng. Seine theologischen Gegner kanzelt Küng stets dadurch ab, dass er ihnen wissenschaftliches Ungenügen nachweist. Im Dezember 1979 wurde Hans Küng schließlich im Skiurlaub in der Schweiz vom Entzug der Lehrerlaubnis überrascht. Papst und Bischöfe, die bisher stets nur auf die Medienkampagnen von Küng reagieren konnten, hatten inzwischen von ihm gelernt und waren diesmal einen Schritt voraus.

Kommentierte weiterhin jede Entscheidung der Glaubenskongregation

Um so heftiger fielen die Reaktionen in der Öffentlichkeit aus. Küng lehrte weiterhin außerhalb der katholischen Fakultät in Tübingen. Küng durfte die Leitung des von ihm 1964 in Tübingen gegründeten Instituts für ökumenische Forschung behalten, obwohl es eigentlich zur katholischen Fakultät gehörte. Erst mit seiner endgültigen Emeritierung 1996 gab er dieses Amt ab. Sozusagen als Gegenpapst kommentierte Küng weiterhin jede Enzyklika und jede Entscheidung der Glaubenskongregation. Noch bevor die Gläubigen ein Dokument in den Händen hielten, hatte Küng schon, von allen liberalen Meinungsmachern unterstützt, die Deutungshoheit errungen. Geschickt setzte er offene Briefe und Unterschriftenaktionen für seine Ziele ein.

Was lehrt Küng eigentlich? Nichts anderes als das Programm der Moderne, weshalb sie ihm auch so gewogen war: Fortschrittlichkeit an sich ist sein allumfassender Wertmaßstab. Glaubenssätze werden zu Hypothesen herabgestuft. Sie sind nur noch unverbindliche Deutungsvorschläge, die im Interesse der Fortschrittlichkeit überboten werden müssen. Wesensaussagen werden durch funktionalistische Äquivalente ersetzt und damit zum Verschwinden gebracht. Die Trinitätslehre, die Lehre vom Gottmenschen Jesus Christus, sein stellvertretender Opfertod, das Ehesakrament, das Weihepriestertum werden aufgelöst. Wahrheitsansprüche an sich sind intolerant und fundamentalistisch. Gott wird zur Funktion des Menschen.

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Fordert den Verzicht von Wahrheitsansprüchen

Mit dem Buch „Projekt Weltethos” (1990) entdeckt Küng schließlich seine universale Sendung. Voraussetzung des Weltfriedens ist für Küng der Religionsfriede. Er kann nur durch den Verzicht auf Wahrheitsansprüche erreicht werden. Zugleich sollen sich die Religionen auf ein übergeordnetes Ethos einigen. Ihren Sitz hat die 1995 gegründete, weltweit agierende Stiftung Weltethos in Tübingen. Küng war bis 2013 ihr erster Präsident. Vierundzwanzig Bände umfasst die Werkausgabe von Hans Küng, die der Verlag Herder 2020 abgeschlossen hat. Küng selbst hat den einzelnen Bänden noch neue Einführungen voranstellen können.

Im zweiten Band seiner Autobiographie hat Küng seinen und Ratzingers akademischen Werdegang parallel erzählt und erringt dabei beständig Punktsiege gegen den Widersacher. Im Buch „Jesus” (2012), mit dem Küng auf das christologische Hauptwerk von Papst Benedikt XVI. „Jesus von Nazareth” (2007-2012) sofort reagiert hat, empfiehlt er sich ausdrücklich selbst als Gegenpapst: „Wer im Neuen Testament den dogmatischen Christus sucht, lese Ratzinger, wer den Jesus der Geschichte und der urchristlichen Verkündigung, lese Hans Küng. Dieser Jesus ist es, der Menschen damals wie heute betroffen macht …”. Zuletzt hebt Küng den Bekenntnisglauben ganz auf: Christ ist, „wer sich bemüht, sich an diesem Jesus Christus praktisch zu orientieren. Mehr ist nicht verlangt”.

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