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Freiheit und Würde

Papst Franziskus sprach im Frauengefängnis von Santiago de Chile vor Gefangenen und machte ihnen Mut: „Der Freiheit beraubt sein ist nicht das Gleiche wie der Würde beraubt zu sein. Von daher ist es notwendig, gegen jede Art von Korsett, von Etikette zu kämpfen, die sagt, dass man nichts ändern kann oder es sich nicht lohnt oder dass alles gleichgültig ist. Liebe Schwestern, nein! Es ist nicht alles gleichgültig.“
Papstbesuch in Chile
Foto: Uncredited (L'Osservatore Romano) | Papst Franziskus begrüßt am 16.01.2018 eine Gruppe Frauen bei seinem Besuch im Frauengefängnis San Joaquin in Santiago (Chile). «Wir alle müssen um Verzeihung bitten, ich als erster.

Liebe Schwestern und Brüder,

danke für die Gelegenheit, euch besuchen zu können, denn für mich ist es wichtig, diese Zeit mit euch zu verbringen und den vielen Geschwistern noch näher zu sein, die zur Zeit unter Freiheitsentzug leben. Danke, Sr. Nelly, für ihre Worte und insbesondere für das Zeugnis, dass das Leben immer über den Tod siegt. Danke, Janeth, dafür, dass du den Mut gefasst hast, mit uns allen deine Schmerzen zu teilen, und für diese tapfere Vergebungsbitte. Wie viel haben wir von dieser deiner Haltung zu lernen, die voll von Mut und Demut ist! Ich zitiere dich: »Wir bitten alle um Vergebung, die wir mit unseren Straftaten geschädigt haben«. Danke, dass du uns diese Haltung in Erinnerung rufst, ohne die wir entmenschlichen, das Bewusstsein verlieren, dass wir uns verfehlen und jeden Tag eingeladen sind, neu zu beginnen.

Nun habe ich den Satz Jesu im Herzen: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie« (Joh 8,7). Er lädt uns dazu ein, von der einseitigen Logik zu der Aufteilung der Wirklichkeit in Gute und Böse zu lassen, um in diese andere Dynamik einzutreten, die die Zerbrechlichkeit, die Grenzen einschließlich der Sünde auf sich nehmen kann, um uns zu helfen und weiterzugehen.
Als ich eintrat, erwarteten mich zwei Mütter mit ihren Kindern und mit Blumen. Sie hießen mich willkommen, wie gut kann man diesen in drei Worten ausdrücken: Mutter, Kinder und Blumen.

Mutter: viele von euch sind Mütter und wissen, was es bedeutet, ein Leben zur Welt zu bringen. Ihr konntet in euren Schoß ein Leben „austragen“ und es zur Welt zu bringen. Die Mutterschaft ist und wird niemals ein Problem sein, sie ist eine Gabe, eines der wunderbarsten Geschenke, das ihr haben könnt. Heute steht ihr vor einer sehr ähnlichen Herausforderung: Es geht auch darum, das Leben zur Welt zu bringen. Heute werdet ihr aufgefordert, die Zukunft zur Welt zu bringen. Dass ihr sie wachsen lasst, dass ihr ihr helft, sich zu entwickeln. Nicht nur für euch, sondern für eure Kinder und die ganze Gesellschaft. Ihr, die Frauen, habt eine unglaubliche Fähigkeit, euch an die Situationen anzupassen und voranzugehen. Ich wollte heute an diese Fähigkeit zur Zukunftsgestaltung appellieren, die einer jeden von euch innewohnt. Diese Fähigkeit ermöglicht gegen die vielen Arten des „versachlichenden“ Determinismus, der am Ende die Hoffnung tötet, zu kämpfen.

Der Freiheit beraubt zu sein, ist, wie es uns Janeth gut gesagt hat, nicht gleichbedeutend mit dem Verlust von Träumen und Hoffnungen. Der Freiheit beraubt sein ist nicht das Gleiche wie der Würde beraubt zu sein. Von daher ist es notwendig, gegen jede Art von Korsett, von Etikette zu kämpfen, die sagt, dass man nichts ändern kann oder es sich nicht lohnt oder dass alles gleichgültig ist. Liebe Schwestern, nein! Es ist nicht alles gleichgültig. Jede Mühe, die man auf sich nimmt, um für ein besseres Morgen zu kämpfen, auch wenn sie oftmals erfolglos scheint, wird immer Frucht tragen und belohnt werden.

Das zweite Wort ist Kinder – das heißt, Söhne und Töchter: Sie sind Kraft, Hoffnung, Ansporn. Sie sind die lebendige Erinnerung, dass das Leben vorwärts und nicht rückwärts ausgerichtet ist. Heute seid ihr eurer Freiheit beraubt, aber dies bedeutet nicht, dass diese Situation das Ende ist. Keineswegs! Immer auf den Horizont blicken, vorwärts, der Wiedereingliederung in das gängige gesellschaftliche Leben entgegen. Deshalb begrüße ich und lade zur Intensivierung aller möglichen Bemühungen ein, damit Projekte wie Espacio Mandela und die Fundación Mujer levántate wachsen und gestärkt werden.

Der Name der Stiftung lässt mich an die Stelle aus dem Evangelium denken, wo viele Jesus auslachen, weil er sagte, dass die Tochter des Synagogenvorstehers nicht gestorben sei, sondern nur schlafe. Die Haltung Jesu angesichts des Spottes ist paradigmatisch: Als er bei ihr eintrat, nahm er sie an der Hand und sprach zu ihr: »Mädchen, ich sage dir, steh auf!« (Mk 5,41). Derartige Initiativen sind lebendiges Zeichen für diesen Jesus, der in das Leben eines jeden von uns eintritt, der über jeden Spott hinweggeht, der keine Schlacht für verloren gibt und uns an den Händen nimmt und uns einlädt aufzustehen. Wie gut, dass es Christen und Personen guten Willens gibt, die den Spuren Jesu folgen und sich entscheiden, einzutreten und Zeichen dieser ausgestreckten Hand zu sein, die aufrichtet.

Wir alle wissen, dass die Haft sich oftmals leider auf eine Bestrafung beschränkt, ohne angemessene Mittel anzubieten, um Prozesse in Gang zu setzen. Und das ist schlecht. Im Gegenzug sind diese Initiativen, die Programme zur Arbeitsbefähigung und Begleitung zur Wiederaufnahme von Beziehungen fördern, Zeichen der Hoffnung und der Zukunft. Helfen wir, damit sie wachsen. Die öffentliche Sicherheit sollte nicht auf Maßnahmen größerer Kontrolle beschränkt werden, sondern sie sollte mit präventiven Vorkehrungen, mit Arbeit, Bildung und mehr Gemeinschaft gestärkt werden.

Und zuletzt, Blumen: Ich glaube, so kommt das Leben zur Blüte, so kann es uns seine größte Schönheit anbieten; wenn es uns gelingt, vereint zusammenzuarbeiten auf der Suche danach, das Leben zu verbessern und neue Möglichkeiten zu eröffnen. In diesem Sinne möchte ich allen pastoralen ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeitern und auf besondere Weise den Polizeibeamten und ihren Familien danken. Ich bete für euch. Ihr habt eine heikle und komplexe Aufgabe, und deshalb lade ich die Verantwortungsträger ein, die notwendigen Bedingungen zu schaffen, um eure Arbeit mit Würde verrichten zu können. Würde, die Würde hervorbringt.

Maria ist Mutter, und wir sind ihre Söhne, ihr seid ihre Töchter. Sie wollen wir bitten, dass sie für euch Fürsprache einlege, für jedes ihrer Kinder, für die Personen, die euch am Herzen liegen, und über sie alle ihren Mantel ausbreite. Und bittet vergesst nicht, für mich zu beten.
Und diese Blumen, die ihr mir geschenkt habt, werde ich der seligen Jungfrau im Namen von euch allen bringen. Nochmals danke!

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