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Der Traditionsbegriff unterscheidet sich im katholischen und evangelischen Verständnis

Überlieferung ist entscheidend. An der Frage nach der Bedeutung der Tradition scheiden sich die Geister in der Ökumene. Das ist nicht trivial.
Gebet in der Kirche
Foto: Patrick Seeger (dpa) | Ein Hintergrund zur Bedeutung der Tradition in der Kirche folgt in der kommenden Ausgabe der Tagespost. Im Bild: Gebet in einer Kirche.

Im Vorfeld des Ökumenischen Kirchentags 2021 stellt sich die Frage, welchen Ort die Tradition in der Kirche hat. Katholische Bischöfe haben im „Kontaktgesprächskreis“ mit Vertretern der EKD ein Gutachten zur Interkommunion unterschrieben. Darin wird erklärt, dass in zentralen Fragen nach wie vor keine Übereinstimmung erreicht wurde: Praxis und Verständnis der Eucharistiefeier, Opferbegriff der Messfeier, Leitung und Gestaltung der Feier, Umgang mit den Elementen, Zueinander von Taufe und Eucharistie, Zueinander von Kirchen- und Eucharistiegemeinschaft. Zugleich wird gesagt, dass für die evangelische Seite diese Fragen unerheblich sind, da allein die Taufe das Zulassungskriterium zum Abendmahl darstelle.

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Das Weiheamt

Fraglich sind damit wesentliche Inhalte der katholischen Glaubensüberlieferung: Weiheamt, apostolische Nachfolge, Petrusamt, Bischofsamt, das Dogma von der Wesensverwandlung von Brot und Wein, der Opfercharakter der Messfeier, sowie das Taufsakrament, das nach katholischer Lehre Aufnahme in die Gesamtkirche und Zustimmung zur apostolischen Überlieferung einschließt und nicht nur Aufnahme in die Gemeinde bedeutet. Trotzdem haben katholische Bischöfe unter Führung von Kardinal Marx und Bischof Bätzing mit ihrer Unterschrift bestätigt, dass der Kommunionempfang von Protestanten und die Teilnahme von Katholiken am Abendmahl theologisch gerechtfertigt seien. Faktisch haben sie damit die obigen Glaubensinhalte und Dogmen zu unverbindlichen „Menschensatzungen“ abgewertet. Demgegenüber hat auch in nachreformatorischer Zeit katholischerseits profundere Beiträge zum Traditionsbegriff gegeben.

Plus der Tradition

Für Joseph Ratzinger etwa ist die geschichtlich wachsende Erkenntnis dessen, was zum Grundbestand der Offenbarung gehört: „Dieses lebendige Ringen im Heiligen Geist, das ist der Vorgang des ,tradere‘, das ist das über die Schrift und ihren Buchstaben hinausgreifende Plus der Tradition (…).“ In dieser Deutung gehören Schrift und Kirche eng zusammen: Kirche ist „Teil eines lebendigen Organismus, der in den Wandlungen der Geschichte dennoch seine Identität bewahrt hat und daher gleichsam mit Urheberrecht über die Bibel als sein Eigentum sprechen kann“.

Über die Nachfolge

In einem Aufsatz über die apostolische Nachfolge hat Kardinal Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, die entscheidende Differenz auf den Punkt gebracht: Kirche versteht das reformatorische Bekenntnis „allein vom ,pure et recte’ verkündeten Wort Gottes und von der evangeliumsgemäßen Verwaltung der Sakramente her“, dabei werde die Schrift „als eine sich selbst zu erkennen gebende Größe und als ein der Kirche und dem Amt gegenüber selbstständiges Korrektiv gefasst (…).“ Demgegenüber kenne die katholische Lehre ein „derart der konkreten Kirche gegenüber hypostasiertes Wort Gottes nicht, sondern betrachte die Kirche in ihrem Verhältnis zum Evangelium als eine Beziehung der gegenseitigen Abhängigkeit in dem Sinn, dass die Kirche nicht nur vom Wort Gottes, sondern das Wort Gottes auch in der Kirche lebt, und bezeichnet deshalb zusammen mit Wort und Sakrament auch das Amt als drittes Kriterium des Kircheseins“. Darum hat nach Ansicht von Ratzinger das Lehramt der Bischöfe in Einheit untereinander und in Gemeinschaft mit dem Papst „ein Recht und eine Pflicht, einer Auslegung entgegenzutreten, in der die Bibel gegen die Kirchen und ihr Credo gewendet wird“.  DT/reg

Einen umfassenden Hintergrund zum Thema Tradition und Ökumene lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost.

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