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Dem Gebet gehört die Zukunft

Wiederentdeckte "Persistenz des Religiösen": Über die Zukunft des Christentums diskutieren namhafte Theologen in der Evangelischen Akademie Tutzing.
Zur Zukunft des Christentums
Foto: Oliver Killig (ZB) | Traditionslosigkeit sei nicht allein Problem der Kirchen. „Die Menschen würden heute genauso oft aus dem Staat austreten wie aus der Kirche, wenn sie es könnten“, so der Schweizer Kardinal Koch.

Die Zukunft ist nach Augustinus eine Erwartung der Gegenwart, jedes Sprechen und Nachdenken über sie Manifestation menschlicher Hoffnung. Es verwundert also nicht, dass in dem, was über die Zukunft des Christentums unlängst in der Evangelischen Akademie Tutzing gesagt wurde, zahlreiche Wünsche und Visionen enthalten waren. „Ja, liegt denn die Zukunft des Christentums nicht in Gottes Hand?“, möchte man fragen. „Nicht nur!“ könnte man die Antwort von Kurienkardinal Koch, Bestseller-Autor Manfred Lütz und Spätantike-Spezialist Christoph Markschies zusammenfassen.

Missverhältnis zwischen Europa und dem Rest der Welt

Selbstredend sind die drei Theologen wie auch Akademiedirektor Udo Hahn klug genug, zu wissen, dass ein anderer als sie selbst die Weichen stellt. „Dem Herrn gehört die Zeit“, so der Titel eines Bändchens, das Kardinal Koch veröffentlichte. Auch Christoph Markschies weiß aufgrund seiner Tätigkeit am Berliner „Einstein Center Chronoi“ wie der Autor von „Gott. Eine kleine Geschichte des Größten“ um die Relativität unserer Vorstellung von Zeit.

Umso reizvoller, drei derart profilierten Kennern des Christentums beim Gespräch über dessen Zukunft beizuwohnen. Zunächst geht es um das Missverhältnis zwischen Europa und dem Rest der Welt: Einerseits verzeichne man Traditionsabbrüche in Nordamerika und Europa, so Akademiedirektor Hahn, andererseits enorme Zuwachsraten des Christentums in Afrika, Asien und Teilen Lateinamerikas. Woher rührt der Rückgang des Glaubens im zahlenmäßig einst so starken Christentum Europas? Nach Manfred Lütz, Autor von „Der Skandal der Skandale: Die geheime Geschichte des Christentums“ ist es vor allem die Unwissenheit der europäischen Christen hinsichtlich der Geschichte ihres Glaubens.

"Wir sollten als Christe die Geschichte unseres Glaubens besser kennen"

Hitler und Honecker, so Lütz, haben es geschafft, in den Köpfen der Menschen irreversible Mythen über das Christentum zu verankern. Das Christentum bestehe eben nicht nur aus 2 000 Jahren Geschichte des Grauens, wie sogar Theologieprofessoren behaupten. Wir sollten als Christen die Geschichte unseres Glaubens besser kennen, so Lütz, und wir schulden der Gesellschaft Antworten auf die Fragen unserer Zeit. Die wichtigste Erkenntnis seines Buches sei die Entdeckung gewesen, dass das Christentum die einzige Religion sei, die Ketzer 1 000 Jahre nicht verfolgt habe. Der Skandal der Skandale sei deshalb, dass man bislang die Geschichte des Christentums fast ausschließlich als eine Geschichte der Skandale darstelle. Das entspräche keineswegs dessen tatsächlicher Geschichte, über deren Verlauf ihm die Lektüre von Arnold Angenendts „Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert“ wichtige Einblicke gewährt habe.

Für Kardinal Koch ist der Rückgang des Christentums in Europa kein Grund zu Besorgnis. Wanderungsbewegungen des Christentums habe es immer gegeben, wie die Geschichte Nordafrikas zeige. Nicht zahlenmäßige Überlegenheit sei ausschlaggebend für die Wirksamkeit des Glaubens, sondern die Präsenz sei es nur eines klitzekleinen Senfkorns des Glaubens. Immer wieder könne, wie die Kirchengeschichte lehre, aus einem winzigen Senfkorn Großes wachsen. Durch Mut und Demut, vor allem aber durch echte Rückbesinnung auf die Inhalte des Glaubens könne dessen Weiterführung gelingen. Als Hauptgrund für den Schwund des Christentums in Europa nannte der Ökumenebeauftragte des Vatikan die Kirchenspaltung und deren Folgen („Die größte Herausforderung der Kirche im 20. und 21. Jahrhundert“).

Der Glaube ist privater und unverbindlicher geworden

Auch Christoph Markschies erinnerte an Muster der Vergangenheit: Wenngleich Geschichte sich nie wiederhole, so der Theologe, habe es auch in der Spätantike Migrationsbewegungen gegeben, gepaart mit einer nachlassenden Bereitschaft der Bevölkerung, sich für das Gemeinwesen zu engagieren (und sei es nur durch Entrichtung von Steuern) und die Kapitulation des römischen Staates angesichts nicht mehr realisierbarer Pensionsansprüche. Weshalb jedoch wissen wir so wenig über das Christentum? Schuld hieran sind wohl Prophezeiungen der 1960er Jahre, die davon ausgingen, dass der Prozess der Säkularisation unumkehrbar und bald an seinem Endpunkt angekommen sei.

Mit den Voraussagen lag man, wie spätestens seit Beginn des 21. Jahrhundert und dem weltweiten Wiedererstarken von Religion klar ist, falsch, doch hatte die falsche Diagnose weitreichende Konsequenzen für die Grundannahmen einer ganzen Generation. Die nun wiederentdeckte „Persistenz des Religiösen“ sei erfreulich, so Koch, doch sei der Glaube auch privater und unverbindlicher geworden. Traditionslosigkeit sei dabei nicht allein Problem der Kirchen. „Die Menschen würden heute genauso oft aus dem Staat austreten wie aus der Kirche, wenn sie es könnten“, bilanziert der Schweizer Kardinal.

Christentum in Afrika und Asien vitaler als in Europa

Dass es im Christentum wesentlich auf den Einzelnen und seinen Beitrag zur Gesellschaft ankommt, davon ist auch der Autor von „Skandal der Skandale“ überzeugt: In Afrika und Asien scheine das Christentum vielleicht vitaler als in Europa, aber auch das europäische Christentum habe etwas beizutragen. Es lohne sich zu prüfen, wo Vitalität, echte Gemeinschaft und Gebet stattfinden. Die Menschen möchten nicht ständig über Kirchenthemen sprechen, so der Psychoanalytiker, sondern vor allem beten und im Gebet Trost finden.

DT

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