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Zur Fülle in Christus finden

Ist die Vielfalt der Religionen von Gott gewollt? Über den Islam, das Judentum und die Kraft der Wahrheit: Fortsetzung der Gedanken zum "Religionspluralismus".
Inside the St Peter's basilica in the city of Vatican
Foto: Adobe Stock | Im Petersdom

Wie steht es im Blick auf die Vielfalt der Religionen um diejenigen, die in Kenntnis, Auseinandersetzung und bewusster Absetzung vom Christentum entstanden sind? Zum Islam müsste man ein eigenes Buch schreiben. Hier nur soviel: die Philosophen Josef Seifert und Robert Spaemann stimmen darin überein, dass das Judentum, das Christentum und der Islam den selben Gott anbeten. Es geht um die wesentlichen Qualitäten, welche die Identität personaler Existenz charakterisieren. Bei Gott ist dies das Schöpfer- und Richtersein. Von ihm sind wir ins Leben gerufen und vor ihm haben wir uns zu verantworten.

Es kann nur den einen Schöpfer und Richter geben, auch wenn man von diesem dann auch verschiedene Ansichten haben kann, wie man ja auch von einem Menschen, etwa Politikern wie Merkel und Trump ganz verschiedene Ansichten haben kann, ohne an deren Identität zu zweifeln. Zweifellos ist uns durch die Offenbarung der heiligsten Dreieinigkeit im Neuen Testament ein neuer Tiefenblick in das innergöttliche Leben geschenkt. Dennoch hebt der Traktat „De Deo trino“ die Wahrheiten des Traktats „De Deo uno“ über den einen Gott nicht auf. Es bleibt derselbe Gott.

Ob der frühe Islam auf der arabischen Halbinsel den christlichen Glauben kennen konnte oder nur eine Karikatur desselben (dieses Gebiet außerhalb des byzantinischen Reiches war ein Refugium verschiedenster „christlicher“ Sekten), sei hier dahingestellt. Mit „Nostra aetate Nr. 3“ ist jedenfalls zu sagen, dass die Muslime den einen wahren Gott anbeten. Somit eröffnet sich ihnen eine Orientierung, die sich im Hinblick auf Gebet und Gewissensbildung von bloß innerweltlicher Verhaftung grundsätzlich unterscheidet.

Die Welt konnte den Herrn nicht empfangen

Was das Judentum betrifft, so können wir uns bezüglich seiner Fortexistenz als Religion ausdrücklich auf die Heilige Schrift berufen. Dass die Welt, die durch IHN geschaffen ist, den in die Welt kommenden Logos nicht erkannte, und sogar die Seinigen, sein auserwähltes Volk, IHN nicht aufnahm, wird im Johannesprolog (1, 1–18) als Auseinandersetzung zwischen Licht und Finsternis dargestellt (schon in 1, 5; später in Johannes 3, 19–21).

Diese Welt konnte den Herrn gar nicht mehr in selbstverständlicher Harmonie empfangen. Mehrfach wird angedeutet, dass das Leiden und Sterben des Messias einer höheren Notwendigkeit entsprach (das griechische deî, zum Beispiel Johannes 3, 14; 12, 34; Lukas 24, 7.26.44). Dem gefallenen Menschen entspricht die Notwendigkeit, sich gegen den Mainstream zum Weg des Heils zu entscheiden. Deshalb ist die Verurteilung des Herrn durch eine Mehrheit der jüdischen Autoritäten für uns Christen kein Anlass zu selbstgerechter Distanzierung: „Es wurde aufgeschrieben zur Warnung von uns, auf die das Ende der Zeiten gekommen ist“ (1 Korinther 10, 11). Schuld an der Verurteilung sind nicht „die Juden“, sondern wir alle, die wir gesündigt haben (vgl. Katechismus der Katholische Kirche Nr. 597–598).

Der heilige Paulus denkt darüber nach, dass sich die Fortexistenz des Judentums als Religion, die sich bis jetzt dem Christentum verschließt, einem besonderen Heilsplan Gottes verdankt (Röm 9–11). So galt die jüdische Religion im Mittelalter als religio licita, die unter der Schutzpflicht des Papstes steht. Sie besteht nach dem Willen Gottes fort, auch wenn dies im Hinblick auf eine Bekehrung am Ende der Zeiten geschieht. In jedem Fall kann die Existenz nichtchristlicher Religionen nur als etwas Vorläufiges gewollt sein.

Reichtum religiöser Wahrheiten

Da die Evangelisation nicht nur eine erste Bekanntgabe vor der Weltöffentlichkeit meint, sondern das fortgesetztes Werk, in aller Welt Menschen als Jünger in die Schule Christi zu führen (Matthäus 28, 19), sind auch die verschiedenen Religionen, vor- oder nachchristliche, ein Anknüpfungspunkt als Reichtum religiöser Wahrheiten, die erst in der Fülle der Wahrheit ihre befreiende Kraft erlangen: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“ (Johannes 8, 32). Es darf in diesem Zusammenhang nämlich nicht unerwähnt bleiben – und dies ist der andere Aspekt, den Nostra Aetate aufgrund seines besonderen Themas (Nr. 5) nicht erwähnt –, dass dort, wo sich nur Teilwahrheiten finden, sich auch Verkehrtes in Lehre und Leben einschleicht und Unheil stiftet.

Deshalb wäre es tatsächlich nicht nur Häresie, sondern Apostasie, von den vielen Religionen als Heilswegen zu sprechen. Petrus bekennt vom Namen Jesu: „In keinem anderen ist Heil und es ist kein anderer Name den Menschen unter dem Himmel gegeben, in dem sie das Heil erlangen könnten“ (Apostelgeschichte 4, 12). „Heil“ findet der Mensch nur in der Wahrheit. Wie die Wortverbindung von „heil“ und „heilig“, im Englischen whole, hale, holy andeutet, geht es um die Integrität (bonum ex integro). Dennoch bilden Elemente der Heiligkeit, die sich in den nicht-christlichen Religionen finden (gemeint ist nicht die Heidenangst des Aberglaubens, sondern eine wahre Ehrfurcht vor dem Göttlichen), Anknüpfungspunkte zum Heil. Diese können den Missionaren Christi als praeparatio evangelica dienen oder auch als heilsame Vorbereitung auf die letzte und entscheidende Konfrontation des Menschen in der Todesstunde zum persönlichen Gericht.

Ist also die Vielfalt der Religionen von Gott gewollt? Zunächst gilt, dass die eine Religion, die sich dem Menschen durch seine ursprüngliche Berufung und Befähigung nach Genesis 1, 26 eröffnet hat, durch die Schuld des Menschen als lebendige Beziehung zum himmlischen Vater verloren ging. Auch wenn die römische Kirche im Überschwang der Osternacht von einer „glückseligen Schuld“ (felix culpa) singt, so ist doch die Schuld immer eine Verfehlung gegen den Willen Gottes, auch wenn sie später noch zum Guten gewendet werden kann.

Die Vielfalt ist zugelassen, nicht gewollt

Aber die Ursünde des Menschen hat seine Gottfähigkeit (homo capax Dei, KKK 27–30) nicht zerstört. Er ist Gott gegenüber zwar entfremdet (Psalm 58, 4), aber nicht abgeschnitten. Durch die besondere Zuwendung Gottes zu jedem Menschen als Ruf in seine Gemeinschaft sind das religiöse Verlangen des Menschen und dessen Ausdrucksformen von Gott nicht nur zugelassen, sondern veranlasst. Die Vielfalt einander widersprechender und von Irrtum durchsetzter Formen ist dagegen nicht gewollt, sondern nur zugelassen, um schließlich in die eine wahre Religion zu münden.

„Diese einzige wahre Religion, so glauben wir, ist verwirklicht in der katholischen und apostolischen Kirche, die von Jesus dem Herrn den Auftrag erhalten hat, sie unter allen Menschen zu verbreiten (...). Alle Menschen sind ihrerseits verpflichtet, die Wahrheit, besonders in dem, was Gott und seine Kirche angeht, zu suchen und die erkannte Wahrheit aufzunehmen und sie zu bewahren“ (Vaticanum II, Erklärung über die Religionsfreiheit Nr. 1). Diese religiöse Wahrheit kann nicht von außen her auferlegt werden, denn „anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als kraft der Wahrheit selbst“ (ebd.). Hier gehen wir mit Papst Benedikt XVI. von einer weiten Vernunft aus, die eine innere Offenheit für die Anziehungskraft der göttlichen Offenbarung in ihrer Wahrheit und Schönheit besitzt. Diese Anziehungskraft findet sich in Jeremia 31, 3: „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt und dich an mich gezogen in Barmherzigkeit“; Johannes 6, 44: „Niemand kann zu mir kommen, außer der Vater, der mich gesandt hat, zieht ihn“; und in Johannes 12, 32: „Wenn ich erhöht sein werde, werde ich alle zu mir hinziehen.“

Bevor Edith Stein den Zugang zum persönlichen Gott entdeckte, war für sie nach eigener Aussage das Studium der Philosophie ihre Weise des Betens. Wer in anderen Religionen schon die geheimnisvolle Anziehungskraft der göttlichen Barmherzigkeit verspürte und sie dann im gekreuzigten Herrn erfüllt sieht, wird als bekehrter Muslim, Buddhist oder Hindu – ganz zu schweigen von einem heimgekehrten Sohn Israels – aus seiner Religion einen besonderen Reichtum in den nun entdeckten christlichen Glauben hineintragen. So dürfen wir von einem Reichtum der Religionen sprechen, der auf die Fülle in Christus zielt.

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