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Sinkende Einnahmen, explodierende Kosten

Neue Veröffentlichungen in Italien sehen den Vatikan am Rande der Zahlungsunfähigkeit.
Papstwahl 2013 - Vorbereitungen
Foto: dpa | Wie schwarze Gewitterwolken hängen Berichte über massive Finanzprobleme des Vatikans über Rom.

Steht der Vatikan vor der Pleite? Während die Amazonas-Synode eine „arme Kirche an der Seite der Armen“ beschwört und der am Sonntag von vierzig Bischöfen neu aufgelegte Katakomben-Pakt „einen Lebensstil“ propagiert, „der freudig nüchtern, einfach und solidarisch mit denen ist, die wenig oder gar nichts haben“, erscheint in diesen Tagen ein neues Buch des Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi, das der Zentrale der Weltkirche einen „heiligen Crash“ prophezeit.

Das Buch trägt den Titel „Giudizio universale“ – zu Deutsch: „Das Jüngste Gericht“ – und platzt mitten in die Aufregungen hinein, die der jüngste Finanzskandal hinter den heiligen Mauern verursacht hatte: Staatsanwalt und Gendarmerie des Vatikan ermitteln seit dem Sommer wegen einer Immobilie in London, mit der das Staatssekretariat Gewinne erwirtschaften wollte, fünf Mitarbeiter der Kurie werden vom Dienst suspendiert, ein „Steckbrief“, der ihre Namen und Porträtfotos zeigt, gerät in die Medien und der Chef der Vatikanpolizei, Domenico Giani, muss seinen Hut nehmen.

Die Zahlen, die Nuzzi jetzt für sein Buch zusammengestellt hat – angeblich auf der Grundlage von vertraulichen Akten aus dem Vatikan –, sind tatsächlich besorgniserregend. Die Tageszeitung „La Repubblica“ hat am Montag einige davon schon vorab veröffentlicht: Die Einnahmen aus dem Peterspfennig, das heißt den Spenden aus der Weltkirche für Papst und Vatikan, sind von 106 Millionen Euro im Jahr 2006 auf 51 Millionen im Jahr 2018 zurückgegangen. Nur zwanzig Prozent dieser Gelder gehen an Bedürftige und karitative Werke der Kirche, 58 Prozent würden dagegen dafür genutzt, um Finanzlöcher des Vatikan zu stopfen.

Die Bilanz der Güter- und Immobilienverwaltung des Vatikan, der APSA, ist um 27 Prozent zurückgegangen und weist tiefrote Zahlen auf. Wegen schlechtgehender Geschäfte hat das vatikanische Geldinstitut IOR seine Zuwendungen an die Kurie von 50 auf 27 Millionen kürzen müssen. Von den 4 421 Immobilien, die die APSA verwaltet, stehen achthundert leer, von den verbleibenden 3 200 bringen fünfzehn Prozent keine Mieteinnahmen, die Hälfte ist unter Preis vermietet und die Zahlungsrückstände belaufen sich auf 2,7 Millionen Euro. In den drei Jahren von 2015 bis 2017 sind die Ausgaben der APSA um 62 Prozent von 16,4 auf 26,6 Millionen gestiegen. Die Anschaffungen haben sich in den letzten Jahren um 219 Prozent erhöht und die externen Beratungen um 147 Prozent. So liegt das Defizit der APSA 2019 bei 63,3 Millionen Euro und ist in fünf Jahren um fast zweihundert Prozent gestiegen.

„La Repubblica“ und das jüngste Buch von Nuzzi stellen die Finanzmisere des Vatikan so dar, als würden eine „alte Garde“ und beharrende Kräfte im Vatikan die von Papst Franziskus 2013 angestoßene Finanzreform blockieren. Der Papst hatte im Sommer nach seiner Wahl die unabhängige Wirtschaftsprüfungskommission COSEA einberufen, die alle Finanzbewegungen des Vatikan durchleuchten sollte. Später folgte die Errichtung des Wirtschaftssekretariats unter Kardinal George Pell, der den Vatikan 2017 verließ und heute in Australien in Haft sitzt, und eines aufsichtführenden Wirtschaftsrats, dessen Koordinator der Münchener Kardinal Reinhard Marx ist.

Im Mai 2018 beschloss der Wirtschaftsrat – Nuzzis Buch zufolge –, den Papst wegen der sinkenden Einnahmen und der Kostenexplosion zu informieren, weil „das Defizit, das den Vatikan belastet, besorgniserregende Ausmaße angenommen hat, was zu einer Zahlungsunfähigkeit führen kann“.

Seither herrscht im Vatikan Panik, was auch die Immobilienaktion des vatikanischen Staatssekretariats in London zeigt, die – mit Geldern aus dem Fonds des Peterspfennigs – nur das Ziel hatte, Lücken im vatikanischen Haushalt zu stopfen. Im Sommer 2018 beschloss der Substitut im vatikanischen Staatssekretariat, Erzbischof Pena Parra, die Immobilie ganz zu kaufen und die noch fehlenden 55 Prozent der Anteile von dem italienischen Geschäftsmann Raffaele Mincione und dessen Gesellschaft 60SA für die stolze Summe von 168 Millionen Pfund zu erwerben.

Da aber auf der Immobilie eine Hypothek lastete, die Pena Perra ablösen wollte, forderte er im Sommer dieses Jahres das Geldinstitut IOR auf, 150 Millionen Euro an das vatikanische Staatssekretariat zu überweisen. Das war der Moment, in dem der Direktor der Vatikanbank, Gian Franco Mammi, bei der Staatsanwaltschaft des Vatikan Beschwerde einlegte – wie auch das Büro des Generalrevisors der Kurie. Die Vatikanpolizei durchsuchte daraufhin Räume des Staatssekretariats und der AIF, der Finanzaufsichtsbehörde, die das IOR überwachen soll, weil deren Direktor, Tommaso di Ruzza, die Aktionen des Staatssekretariats gedeckt haben soll. So kam es dann schließlich zu der „Steckbrief-Aktion“ der Gendarmerie, die mit dem Abgang von Domenico Giani ein böses Ende nahm.

Der vatikanische Staatsanwalt Gian Piero Milano hatte aber nicht ein Verfahren gegen den ehemaligen Substituten, Erzbischof Angelo Becciu (heute Kardinal und Präfekt der Kongregation für die Heiligsprechungen) eröffnet, unter dem die Immobilienspekulationen begonnen hatten, und auch nicht gegen den gegenwärtigen Substituten, Erzbischof Pena Parra, sondern gegen vier Mitarbeiter des Staatssekretariats und den AIF-Direktor di Ruzza. Wie das Verfahren ausgehen wird, bleibt abzuwarten.

Am Sonntag hat der Journalist Emiliano Fittipaldi, der zusammen mit seinem Kollegen Gianluigi Nuzzi im Vatileaks II-Prozess auf der Anklagebank saß, die Geschichte der Londoner Immobilie mit allen Details in dem Wochenmagazin „L'Espresso“ nochmals veröffentlicht. Wie Nuzzi hatte auch er vertrauliche Dokument aus dem Vatikan erhalten – etwa die Anklageschrift des vatikanischen Staatsanwalts gegen die fünf vom Dienst suspendierten Mitarbeiter. Wieder gibt es im Vatikan undichte Stellen, die interne Papiere nach außen schleusen. Vatileaks III kündigt sich an. Wollen sich da die sogenannten Enthüllungsjournalisten profilieren? Oder will jemand im Vatikan hohe Kurienprälaten und damit letztlich den Papst beschädigen? Die Hintergründe der jüngsten Finanzskandale liegen noch im Dunkeln.

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