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Ostern in Zeiten von Corona: Die Kirchen stehen im Abseits

Die katholische Kirche darf zwar nicht gegen staatliche Verordnungen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie verstoßen, sie darf aber durchaus fragen, ob sie verhältnismäßig sind. Und sie braucht jetzt einen Exit-Plan aus dem Ausnahmezustand. Ein Gastbeitrag.
Coronavirus: Exit-Plan für die Kirche
Foto: Andreas Arnold (dpa) | Nicht nur die Politik, auch die Kirche braucht einen Exit-Plan aus dem Ausnahmezustand, in den uns die Verordnungen, mit denen in der Corona-Krise durchregiert wird, gebracht haben, meint der Theolige Helmut Hoping.

Am Karfreitag hat das Bundesverfassungsgericht die Legalität des allgemeinen Verbots öffentlicher Gottesdienste bestätigt. Auch wenn es sich dabei, so die Richter, um einen „überaus schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit“ handelt, sei dieser doch verhältnismäßig, müsse aber immer wieder neu überprüft werden. Auch Ostern wurde so in geschlossenen Kirchen im kleinsten Kreis gefeiert. Selbst in Pestzeiten und in den beiden Weltkriegen hat es ein flächendeckendes Verbot öffentlicher Gottesdienste nicht gegeben.

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Nicht einmal im Ansatz hinterfragt

Während öffentliche Gottesdienste untersagt sind, auch bei Einhaltung der vorgeschriebenen hygienischen Maßnahmen, können Baumärkte öffnen und Wochenmärkte abgehalten werden. In Freiburg im Breisgau findet auch in Zeiten von Corona, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen täglich der beliebte Münstermarkt statt, auf dem zu Spitzenzeiten zwischen den Gemüse-, Blumen- und Wurstständen schon mal schnell 100 Personen zu selben Zeit anzutreffen sind. Nicht nur in Baden wird bei den Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Epidemie offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.

Auch wenn ein striktes Verbot öffentlicher Gottesdienste für kurze Zeit gerechtfertigt sein kann und Bischöfe und Priester natürlich den Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Epidemie Folge leisten müssen, wunderte man sich doch, dass die deutschen Oberhirten das polizeilich überwachte Gottesdienstverbot nicht einmal im Ansatz hinterfragten. Wollen die Bischöfe auch noch an Christi Himmelfahrt und Pfingsten erklären, das staatliche Verbot öffentlicher Gottesdienste sei verhältnismäßig?

Bischof Heiner Wilmer befand, dass das Verbot die Eucharistiefixierung der katholischen Kirche aufbrechen könne. „Eingeschränkt in meiner Religionsfreiheit fühle ich mich nicht“, erklärte der Hildesheimer Oberhirte. Der Mann hat gut reden: Als Priester ist er vom staatlichen Eingriff in die Kultusfreiheit nicht betroffen. Und so feiert er abwechselnd mit seinen weihbischöflichen Mitbrüdern die heilige Messe – per Livestream übertragen, auch an Ostern.

Zumeist waren in den Kathedralkirchen aus den liturgischen Diensten vielfach nur Lektoren, Kantoren und Organist beteiligt. Die Diakone wurden bis auf wenige Ausnahmen aussortiert. Man wollte sich ja nicht den Vorwurf zuziehen, Klerikergottesdienste zu feiern. In der St. Gotthard-Kapelle des Mainzer Doms zelebrierte Bischof Peter Kohlgraf mit vier Gläubigen, die den Lektoren- und Kantorendienst übernahmen, die Ostervigil. Kardinal Woelki feierte die Osternacht dagegen mit Domdiakon Reimund Witte und einer Handvoll weiter Gläubiger. Dass man in Zeiten vom Corona auch kirchenmusikalisch Akzente setzen kann, zeigten sechs Vokalsolisten, die im Chorraum des Kölner Dom an Karfreitag in exzellenter Intonation die Johannes-Passion von Hermann Schroeder vortrugen.

Schmerzvoller Blick in leere Kirchenbänke

Obschon gegenüber nichtöffentlichen Messfeiern, die von Bischöfen und Priestern in geschlossenen Kirchen gefeiert werden, vor allem aus der Theologischen Fakultät in Erfurt polemische Kritik laut geworden war („Geistermessen“, „Retrokatholizismus“), feierte Bischof Ulrich Neymeyer am Ostersonnag im Erfurter Mariendom mit einer kleinen Männergruppe in Chorkleidung eine per Livestream übertragene Messe. Im Hohen Dom zu Essen soll es dagegen – dem Vernehmen nach – keine gestreamten Gottesdienste zur Feier des Sacrum Triduum gegeben haben.

Wenn die Bischöfe sich bei der Feier der Eucharistie den leeren Bänken zuwendeten, so geschah dies zumeist wohl gewohnheitsmäßig, und nicht, um deutlich, zu machen, wer fehlt: nämlich die versammelte Gemeinde. Manche Kamera ersparte den Gläubigen an den Bildschirmen auch den schmerzvollen Blick in das leere Gestühl. Im Wiener Stephansdom übernahm man dagegen die Idee eines Pfarrers aus der Lombardei: Kardinal Christoph feierte den Gottesdienst am Ostersonntag mit Selfies von Gläubigen, die sichtbar auf die Kirchenbänke verteilt waren, unterstützt u.a. von zwei Diakonen. Ob es in Zeiten von Corona kirchenmusikalisch passend war, nach der Kantillation des Tagesevangeliums eine Koloratursopranist das Halleluja aus Mozarts Motette „Exsultate, jubilate“ singen zu lassen, sei einmal dahingestellt.

Im Freiburg wurden die Gottesdienste der heiligen Woche in der Kathedralkirche am Volksaltar versus orientem gefeiert. Bei den Gottesdiensten des Triduum Sacrum betrugt die Zahl der teilnehmenden Gläubigen teilweise bis zu zwanzig Personen, da es sich das Domkapitel nicht nehmen ließ, den Liturgien im Chor beizuwohnen. Für ein kleines Gesangsensemble, wie im Paulusdom im westfälischen Münster oder im Petersdom in Rom, war da kein Platz mehr, schade bei der hohen Qualität der Freiburger Dommusik und der Solisten, auf die sie regelmäßig zurückgreifen kann. Die Dauerpräsenz der Domkapitulare mag von der verständlichen Absicht geleitet gewesen zu sein, sich – Corona zum Trotz – im Freiburger Münster als geistliche Gebetsgemeinschaft zu versammeln. Doch auf nicht wenige Gläubige dürfte die Anwesenheit des Domkapitels ziemlich klerikal gewirkt haben.

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Kommunionspendung außerhalb der Messfeier durchführen

Der Katechismus der Katholische Kirche hält daran fest, dass mit der Feier der Eucharistie der Kommunionempfang bei entsprechender Disposition der Empfang der Kommunion verbunden sein soll. Als Mindestmaß nennt der Katechismus, dass jeder Katholik, der zur Kommunion zugelassen ist, diese mindestens einmal im Jahr, nach Möglichkeit in der österlichen Zeit empfangen soll (KKK § 1389). Die Osterkommunion, die ihre Bedeutung auch dort nicht verloren hat, wo sonntäglich regelmäßig kommuniziert wird, hätte man außerhalb der Messfeier spenden können, natürlich bei Berücksichtigung der vorgeschriebenen hygienischen Vorschriften, etwa vor der Kirchentür oder als „Eucharistie to go“ für die gemeinschaftliche Hauskommunion, wie sie Kardinal Schönborn in Wien erlaubte.

Die deutschen Bischöfe hatten sich früh gegen die Kommunion extra missam ausgesprochen (mit Ausnahme in Verbindung mit der Beichte). Bei großzügiger Interpretation der Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Epidemie wäre eine Kommunionspendung außerhalb der Messfeier aber wohl möglich gewesen. Manche kirchlicher Corona-Verordnung ging über das, was staatlich vorgeschrieben war, auch deutlich hinaus. Ein besonders irritierendes Beispiel ist das Verbot, Kranke in ihren Privatwohnungen zu besuchen und ihnen die Kommunion zu bringen, welches zumindest in einer deutschen Diözese ausgesprochen wurde.

Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, dass die Kirchen nicht mehr systemrelevant sind und ihr Sinnangebot in der säkularen Gesellschaft nicht mehr gebraucht wird. In keiner der Sondersendungen und Politiktalkrunden des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu Corina-Epidemie war ein Bischof vertreten, auch kein Theologe. Orientierungen in Zeiten von Corona verspricht man sich von Virologen, Medizinern, Ökonomen und Psychologen. Und man braucht schon viel Optimismus um zu glauben, dass alle regelmäßigen Kirchgänger, die jetzt von den Gottesdiensten physisch ausgeschlossen sind, zu den sonntäglichen Messfeiern zurückkehren werden, wie wir sie vor der Corona-Krise gewohnt waren.

Eine geschlossene Gesellschaft lässt sich nicht rechtfertigen

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, erklärte an Ostern, die Corona-Krise könne zum „Glücksfall der Geschichte“ werden. Wir wissen nicht, über welche zukunftsprognostischen Fähigkeiten der Limburger Oberhirte verfügt. Bedenkt man die mit den Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verbundenen Kollateralschäden, mutet die episkopale Zukunftsvision des Bischofs fast schon zynisch an. Dass unsere Gesellschaft solidarischer und achtsamer wird, kann man hoffen, ist aber keineswegs ausgemacht. Schon zeichnet sich zum Beispiel in der Diskussion um eine Lockerung von Kontaktsperren in Verbindung mit der gesellschaftlichen Aussperrung von älteren Menschen und Risikogruppe eine Verschärfung des Generationenkonflikts ab.

Nicht nur die Politik, auch die Kirche braucht einen stufenweisen, sozialverträglichen Exit-Plan aus dem Ausnahmezustand. Eine geschlossene Gesellschaft lässt sich auf längere Zeit selbst bei einer Pandemie nicht rechtfertigen. Und wenn die Experten Recht haben, wird die nächste Pandemie nicht lange auf sich warten lassen. Wird die Gesellschaft, und die Kirche ist ein Teil davon, dann erneut bereit sein, die schwerwiegenden Eingriffe in die Freiheitsrechte, einschließlich der Religions- und Kultusfreiheit, in Kauf zu nehmen, die wir in den letzten Wochen gesehen haben?

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