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Leo Kardinal Scheffczyk: Heißer Draht zum Ursprung

Lebendiger Glaube kommt ohne Fundamente nicht aus: Leo Kardinal Scheffczyk als Lotse durch die Krise.
Kardinal Leo Scheffczyk
Foto: KNA | Kardinal Leo Scheffczyks Blick war unbestechlich: Offenbarung hängt nicht von Weltbildern ab.

Strömungen im katholischen Christentum erwecken heute bisweilen den Eindruck, der Glaube sei veraltet und brauche ein „Zwei-punkt-Null“, wozu manche Kräfte selbstbewusst ausgreifen. Umso mehr stellt sich die Frage: Gibt es ein zugkräftiges Verhältnis zwischen dem überlieferten Glauben und zukunftsorientiertem christlichem Leben? Stellen wir diese Frage an einen der größten deutschen Dogmatiker, Kardinal Leo Scheffczyk (1920–2005). Sein Klassiker „Katholische Glaubenswelt. Wahrheit und Gestalt“ bleibt ein Buch, das jeder an theologischer Bildung Interessierte gelesen haben sollte. Es beginnt im Vorwort mit einem Plädoyer für ein Christsein mit Profil.

"Wahrheit gilt als lebendige Kraft
und drängt zur Formung des
individuellen wie des gemeinschaftlichen Lebens"

Das Christliche darf keine abstrakte Idee bleiben: Deshalb setzt Scheffczyk bewusst beim „Katholischen“ an: Denn das Katholische ist „geprägte Form und … greifbare Realität“. Hierfür betont Scheffczyk den Bezug zwischen Wahrheit und Leben, wenn er sagt: „Wahrheit gilt als lebendige Kraft und drängt zur Formung des individuellen wie des gemeinschaftlichen Lebens.“

Ein Ausdruck des Lebens ist der Freimut, zur eigenen Identität zu stehen, denn nur so kann man für Scheffczyk in den Dialog auch „Eigenes einbringen“. Wie aber erkennen wir unsere katholische Identität, wenn „die auseinanderstrebenden Kräfte zu stark geworden“ sind? Das Rückenmark des Kirche-Seins ist für Scheffczyk der Draht zum Ursprung in Jesus Christus, die lebendige Tradition: „Letztlich ist eine Entwicklung nur sinnvoll, wenn das Wesen des sich Entwickelnden das gleiche bleibt. Sonst entwickelt sich am Ende nur die Entwicklung selbst." Dann bewegt man sich im Kreis, weshalb man „von ,Circumgressisten‘ sprechen könnte und dies auch im Hinblick auf die Tatsache, dass sich bei ihnen uralte und längst widerlegte Glaubensirrtümer wiederholen“.

Der Glaube beinhaltet das Mysterium

Kardinal Scheffczyk beschäftigt in seinem Buch auch der Welteinfluss des Katholischen. Dessen Quelle ist der Glaube selbst, nicht erst Methoden seiner Vermittlung. Der Glaube beinhaltet das Mysterium und übersteigt daher menschliches Bewusstsein. Doch Scheffczyk diagnostiziert für die heutige Lage der Kirche „den Schwund des dogmatischen Glaubens, … die Ablösung des Ethos von diesem Glauben“ und folglich „die Unsicherheit im Weltverhältnis“. Im „Weltverhältnis“ steckt missionarische Kraft, in der nämlich die Kirche „der Gesellschaft als souveräner und von ihr ernst genommener Partner begegnet und nicht als Erfüllungsgehilfe, über den man bald hinwegsehen wird". Zünglein an der Waage ist also der Glaube selbst. Angelpunkt des Glaubens ist „göttliche Tat und Wahrheit inmitten der irdisch-geschichtlichen Wirklichkeit“. Das aber ist die Grundlage der Offenbarung.

Wichtig ist die Stringenz dieser Gedankenführung: Leben des Christentums heißt Welteinfluss, Welteinfluss braucht Profil, Profil ist das Katholische, Quelle dieses Profils ist nicht nur die geistliche Glaubenshaltung, sondern der inhaltliche Glaube, Fundament des Glaubens ist die Offenbarung, Kern der Offenbarung ist ein geschichtlich erfolgter Eingriff Gottes. Wer den Glauben bekennt, referiert daher nicht einfach, was in der Bibel steht. Die echte Glaubensaussage hält fest: Was in der Bibel steht, bezeugt die Geschichtlichkeit der göttlichen Offenbarung; dass der ewige Gott sich uns Menschen offenbart hat, ist tatsächlich passiert!

Die Offenbarung ist unabhängig von Weltbildern

Als Ebenbilder Gottes sind wir Menschen fähig, Gottes Offenbarung zu erkennen und zu beantworten. Aber heute fragen wir vielfach nur historisch-kritisch, wie biblische Berichte zustande gekommen sein könnten. Rasch wird dabei „Offenbarung Gottes“ herabgestuft zum bloßen Erklärungsmodell eines veralteten Weltbildes. Modernere Weltbilder, so meint man, gehen von der Naturwissenschaft oder von der Selbsterfahrung von Menschen und Völkern aus. Solche Gedankengespinste löst Scheffczyk von innen her auf. In der „Schöpfungslehre“ seiner „Katholischen Dogmatik“ weist er darauf hin, dass die Offenbarung unabhängig von Weltbildern ist, denn Offenbarung kommt von Gott. Dies ist als Tatsache für menschliche Weltbilder unerreichbar. Scheffczyks Unterscheidungen beseitigen hier Störfaktoren für Glaubensvitalität!

Blicken wir in den ersten Band seiner Dogmatik: Absoluter und unüberbietbarer Gipfel der Offenbarung Gottes ist Jesus Christus. Zugleich ist die christliche Wahrheit kein starrer Klotz: Was für uns Lebensquelle ist, entwickelt sich selbst im Leben der Kirche durch die Zeiten hin. Es darf aber keine unklare und für alles offene Entwicklung sein; es muss im Kern heute noch dieselbe Lebendigkeit sein wie vor 2 000 Jahren. Das gewährleisten die drei zentralen Glaubensquellen Heilige Schrift, Tradition und kirchliches Lehramt. Was bedeuten sie für die Vitalität des Glaubens?

Mündliches Wort ist lebendiger als geschriebenes

Klar ist für Scheffczyk, dass mündliches Wort lebendiger ist als geschriebenes Wort. Um der Lebendigkeit willen müsste daher Offenbarungsbezeugung immer nur mündlich sein. Dann aber wäre die Kirche in der Position eines ständigen Orakels. Die Heilige Schrift sichert ein Gegenüber von Kirche und Offenbarung. Auch hinter der Bibel steckt Leben, denn ihre Entstehung ist inspiriert durch den Heiligen Geist, und die Erkenntnis, welche Schrift inspiriert ist und welche nicht, entstammt dem lebendigen Glaubenssinn des frühen Christentums.

Doch eines leistet geschriebenes biblisches Wort nicht: die Lebendigkeit und Dynamik der Glaubensvermittlung. Dies bringt die Tradition: Ihre Eigenbedeutung gegenüber der Heiligen Schrift steht markant unter dem Zeichen des Lebens. Organ der Tradition ist „die mit dem Lehramt ausgestattete und beauftragte Kirche“. Damit ist die Kirche als gesamte „zur Erkenntnis, zur Bezeugung und Weitergabe des Glaubens“ berufen. Das Lehramt nimmt hierbei für Scheffczyk eine dienende Position ein: Es muss in der Kraft apostolischer Amtsnachfolge innerhalb der großen Tradition den Draht zum Ursprung heiß halten; das Gut des Glaubens muss „unverfälscht und rein erhalten und bezeugt“ werden.

Bischof ist "eigentlicher Zeuge des Glaubens"

Träger des Lehramts sind die Bischöfe; ihr Glaubenszeugnis steht unter dem Anspruch, authentisch zu sein: Scheffczyk vergleicht dies mit der Authentizität von Urkunden, die „kraft offizieller richterlicher Anerkennung Echtheit und damit Beweiskraft bei ihrer Geltendmachung im Rechtsleben“ besitzen. Der Bischof ist kein bloßer Moderator in Dialogprozessen, sondern kraft apostolischen Amtes „eigentlicher Zeuge des Glaubens“.

Glaubensvitalität hat also Fundamente. Ist deshalb ein dogmatisch veranlagtes Christentum „fundamentalistisch“? Hierzu blickt Scheffczyk auf die Basis aller Wissenschaften, die ja nur möglich sind aufgrund der verbindlichen Annahme bestimmter Axiome. Wie jeder Wissenschaftler zu seinen Axiomen steht, sollten wir Katholiken freimütig zu unseren Glaubensgrundlagen stehen. Ist das katholische Dogma abschließender Deckel auf das vitale Glaubenszeugnis? Scheffczyk kann dies entkräften, und zwar im Blick auf die Bibel selbst. Mit dem bedeutenden Exegeten Heinrich Schlier erkennt er im Neuen Testament Kernsätze, die Urform späterer Dogmenbildung sind. Ein Beispiel: „Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift“ (1 Korinther 15, 3f.). Solche Kernsätze, geoffenbarte Wahrheit und autoritative Verkündigung zugleich, sind für den Apostel Paulus gerade nicht Schluss-, sondern Ausgangspunkte.

Immer muss der Glaube unter Wahrung seines ursprünglichen Sinns neu für die Gegenwart aussagt werden. Er darf nicht der Zeit preisgegeben werden. Hier ist für Scheffczyk große Sorgfalt geboten: Der neue Ausdruck muss mit dem bisherigen Ausdruck verglichen und auf inhaltliche Deckungsgleichheit hin geprüft werden. Dies ist nur möglich, wenn man „innerhalb der Glaubenstradition steht und denkt“.

Dogmatik im Dienste personaler Gottesbegegnung

Wie soll man den Glauben weitergeben? Auch hierzu haben die wissenschaftlichen Aussagen Scheffczyks etwas zu bieten. Dogmatik steht für Scheffczyk im Dienst personaler Gottesbegegnung. Sie weisen uns in die Begegnung mit Gott ein. Das Leben, dem der Glaube dient, bezieht für Scheffczyk das irdische Leben ganzheitlich mit ein, zielt aber auf das ewige Leben. Dies verbietet es, die Funktion des Dogmas und der Glaubensweitergabe auf die Beantwortung irdischer Lebensfragen einzugrenzen, vielmehr werden wir geöffnet für die Hoffnung.

Je größer eine Unternehmung, desto solider müssen die Grundlagen sein. Wir sollen in der Evangelisierung unternehmungsbereiter sein. Scheffczyk bereitet dafür die Grundlagen zuverlässig auf, weil er Entschiedenheit im Glauben und Wissenschaft solide verbindet. In seinen Argumenten begegnen wir immer Kräfteverhältnissen, und in Kräften liegen vitale Anregungen, die uns darin ermutigen können, dass die Zukunft nicht in einem „Zwei-punkt-Null“, sondern allein im „Eins-punkt-Null“ liegt, im katholischen Glaubensgut, wie es in Christus der Kirche für alle Zeiten geschenkt ist.

Der Autor leitet das Leo-Scheffczyk-Zentrum in Bregenz. Für „Die Tagespost“ fasst er hier einen Vortrag zusammen, den er bei der diesjährigen „Internationalen Theologischen Sommerakademie“ in Aigen hielt.

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