Mitten in der Karwoche und auf dem Höhepunkt der Corona-Krise ist es für Kardinal George Pell wie ein vorgezogenes Osterfest, eine Auferstehung nach 404 Tagen Isolationshaft. Einstimmig sind die sieben Berufungsrichter des australischen Höchstgerichts zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kirchenmann angesichts der „signifikanten Möglichkeit“ niemals hätte verurteilt werden dürfen, „dass eine unschuldige Person verurteilt wurde, weil die Beweise die Schuld nicht in dem erforderlichen Maße bewiesen haben.“
Viel Wut und Verbissenheit
Bei der Frühmesse in Santa Marta sagte Franziskus heute, er bete „für alle Menschen, die eine ungerechte Strafe aus Verbissenheit erleiden“. Der Papst bezog sich auf die Verfolgung Jesu durch die Schriftgelehrten, aber er meinte Pell. Die Nachricht von dessen Freispruch war gerade im Vatikan eingetroffen. Für das Wort „Verbissenheit“ wählte Franzikus den italienischen Ausdruck „accanimento“, was auch Erbitterung, Wut und Ingrimm bedeuten kann. Viel Hass war im Spiel beim Prozess gegen Pell. Der Kardinal war zur Projektionsfläche aller antikatholischen und antikirchlichen Ressentiments in den Jahren des Missbrauchskrise geworden – nicht nur in Australien. Das machte den Fall so tragisch. Und führte zum vielleicht größten Justizirrtum der australischen Rechtsgeschichte.
Die Anklage war nicht nachvollziehbar
Doch der Fall, wegen dem Pell vor Gericht stand, die unwahrscheinlich klingende Anklage einer Vergewaltigung unmittelbar nach einem Pontifikalgottesdienst, ist jetzt abgeschlossen. Und endlich klingt die Begründung des im letzten Augenblick noch gefällten Freispruchs nachvollziehbar. Die Annahme eines sexuellen Missbrauchs noch im Messgewand in einer Kathedrale und Sakristei voller Menschen war das nicht. Und wenn schon Justizirrtum: Wer steht da eigentlich hinter der Rechtsbeugung, die die sieben Höchstrichter nun verhindert haben?
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