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Kardinalskollegium: Eine Institution im Wandel

Eine Inflation an Kronprinzen der Kirche und ein verändertes (Selbst-)Verständnis prägen heute das Kardinalskollegium.
Kardinäle zur Papstwahl nach Rom gerufen
Foto: KNA | Quantität statt Qualität? Bis zum 15. Jahrhundert gab es meist nicht mehr als 30 Kardinäle, heute sind es über 200.

Wenn dereinst – im Grunde noch bis vor kurzem – aus dem Vatikan die Mitteilung kam, dass der Papst neue Kardinäle kreieren werde, war ein großes Medienecho vorprogrammiert. Nachrichtenagenturen verschickten ihre Meldungen mit dem Vermerk „eilt“, Zeitungen brachten die Nachricht auf der ersten Seite und Radiosender schickten ihre Reporter zu Interviews mit den künftigen Kardinälen aus.

Tempi passati! Die Zeiten sind vorbei, in der neue Purpurträger in den Medien für Schlagzeilen sorgen. Heute findet sich die Ankündigung einer Kardinalserhebung ins Innere der Zeitungen verbannt, oft nur mit wenigen Zeilen im Feuilleton notiert. Und auch engagierte Katholiken interessieren sich kaum noch für die Namen der neuen Senatoren des Papstes und die Abhaltung eines feierlichen Konsistoriums in der Vatikanstadt. Als sich der Heilige Vater am 1. September zum sonntäglichen Angelusgebet in den Apostolischen Palast begab und bei dieser Gelegenheit die Gläubigen auf dem Petersplatz über eine für den 5. Oktober vorgesehene Kreierung dreizehn neuer Purpurträger informieren wollte, ereilte ihn ein Missgeschick. Der Papst blieb in einem Aufzug der von ihm nur sporadisch genutzten Residenz stecken. Gut 25 Minuten musste er in dem Lift verharren, bis ihn die Männer der vatikanischen Feuerwehrtruppe aus der prekären Lage befreiten.

Viele Kardinäle, wenig Bedeutsamkeit

Die Episode im päpstlichen Aufzug wurde zur kirchlichen Nachricht des Tages. Sie war der neueste Aufreger aus dem Vatikan und nicht die Bekanntgabe neuer Mitglieder des Kardinalskollegiums durch den Papst. Die Interessenverschiebung in der Berichterstattung zugunsten eines Malheurs scheint symptomatisch zu sein. Aber warum? Sind denn Kardinäle im Leben der Kirche nicht von enormer Bedeutung? Kommt ihnen in der Sedisvakanz des Apostolischen Stuhls nicht die Berufung eines neuen Pontifex Maximus zu?

Seit fast einem Jahrtausend besitzt das Kardinalskollegium das alleinige Recht der Papstwahl. Im 12. Jahrhundert tritt es in Zusammenkünften mit dem Oberhaupt der Kirche, den Konsistorien, als der Senat des Papstes in Erscheinung. Im 16. Jahrhundert richtete Papst Sixtus' V. (1585–1590) zur Verwaltung der Gesamtkirche die Kongregationen ein, in denen die Kardinäle die wichtigsten Positionen einnahmen. Und es ist Sixtus V., der die Zahl der Kardinäle, die bis zum 15. Jahrhundert für gewöhnlich 30 nicht überstieg, auf 70 festlegte, in Anspielung auf die 70 Ältesten Israels.

1958 wird die Zahl von 70 Kardinälen überschritten

1958 wird vom heiligen Johannes XXIII. (1958–1963) die Zahl von 70 überschritten. Der heilige Paul VI. (1963–1978) bestimmte zwar im Heiligen Jahr 1975, dass die Zahl 120 der Papstwähler nicht zu überschreiten sei, doch andererseits hatte er fünf Jahre zuvor die über achtzigjährigen Kardinäle als aktive Teilnehmer der Papstwahl vom Konklave ausgeschlossen. Durch diese Maßnahme nahm die Größe des Kardinalskollegiums beträchtlich zu. Seine Nachfolger verliehen so oft den Roten Hut, dass die Gesamtzahl der Purpurträger nicht unter 200 sank. Der heilige Johannes Paul II. (1978–2005) ernannte in seinem Pontifikat 231 Kardinäle, Benedikt XVI. (2005–2013) in dem seinen 90 und Papst Franziskus (den 5. Oktober eingeschlossen) bisher 88. Vatikanexperten glauben, Quantität auf Kosten der Qualität feststellen zu müssen: weniger wäre mehr, so ihr Vorschlag. Ein Blick in die weltliche Geschichte der Ewigen Stadt scheint den Kritikern eines übergroßen Kardinalskollegiums recht zu geben. Als im alten Rom der Senat an der Zahl seiner Mitglieder immer mehr wuchs, schrumpfte er in seiner Bedeutung und war als Körperschaft zur Erledigung seiner Aufgaben nicht mehr fähig. Eine Inflation zeichnet sich im säkularen Verständnis nicht durch ein positives Vorzeichen, ein Plus, aus. Sollte es in der Kirche etwa anders sein?

Die Eminenzen haben in der Vergangenheit das Geschehen in der katholischen Kirche entscheidend mitgeprägt, aber auch in der Weltgeschichte kam ihnen eine – man verzeihe das Wortspiel – eminente Rolle zu. Man denke an Männer wie Richelieu, Jules Mazarin und Ercole Consalvi. Sie nahmen als Kardinäle Einfluss auf die Politik ihres Landes und Europas oder wahrten im Kreis der Großen auf dem Wiener Kongress die Interessen des Papstes und der Kirche. Diplomatische Gepflogenheiten und das Völkerrecht standen ihnen den Rang von Prinzen königlichen Geblütes zu.

Es fehlt glaubensstarkes, weltmännisches Auftreten

Der Heilige Vater schrieb im Jahre 2014 an jeden der von ihm neu ernannten Kardinäle, dass die Kardinalswürde „keine Beförderung, weder eine Ehre noch eine Zierde“ sei: „Sie ist schlicht ein Dienst, der danach verlangt, den Blick zu weiten und das Herz zu öffnen ... und auch wenn du sie mit Wonne und Freude aufnehmen solltest, passe auf, dass dieses Gefühl weit entfernt ist von jedem Ausdruck der Weltlichkeit.“ Die Einbindung des Kardinalats in die politische und kulturelle Geschichte der Menschheit und sein Dialog mit und in der Welt scheint dem Heiligen Vater kein mehr zu förderndes Charakteristikum des päpstlichen Senats zu sein. In der Vergangenheit aber verband man die Dinge miteinander.

Die Inflation an päpstlichen Kronprinzen und eine veränderte (und einengende) Sicht auf das Kardinalat, die schon vor dem derzeitigen Pontifikat eingesetzt hat, scheinen dem Senat des Papstes viel an Bedeutung genommen zu haben. Er ist trotz der ihn auszeichnenden Farbe blass geworden. In seiner derzeitigen Aufstellung vermisst man glaubenstarkes, kultiviertes und weltmännisches Auftreten. Es fehlen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Gestalten, die etwas darstellen, aus der Masse von über 200 herausragen.

Kardinäle haben ihren Mann zu stehen. Wladimir d'Ormesson, langjähriger Botschafter Frankreichs beim Heiligen Stuhl, bekannte einmal gegenüber Kardinal Eugene Tisserant (1884–1972): „Jedesmal, wenn ich in den vatikanischen Museen die Rüstung sah, die Papst Julius II. getragen hat, stellte ich mir vor, wie vortrefflich sich Eure Eminenz darin ausnehmen würde, das Banner der Kirche in gepanzerter Faust.“

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