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Was ist das – Beten? - Glaubenskurs

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Beten - Christen falten ihre Hände
Foto: stockfoto | Ein Christ faltet seine Hände, um mit der Heiligen Bibel in der Kirche zu beten. Ein Kreuzsymbol symbolisiert das Opfer des Menschen durch Jesus.

Zum Christsein gehört Beten. Mindestens in der Theorie. Ich weiß noch, wie ich etwa 20 Jahre alt war. Irgendwie versuchte ich Christ zu sein, aber ich kann nicht sagen, dass ich wirklich betete. Immerhin hatte ich Sehnsucht danach. Vielleicht auch nur ein schlechtes Gewissen, dass ich es nicht tat.

Eines Tages fand ich mich in einer Kirchenbank wieder. Ich kniete da, nahm also eine gewisse Haltung ein. Aber ich stand wie neben mir, beobachtete mich permanent selbst, wie ich „betete“. Ich schaffte es einfach nicht. So sehr ich mich auch anstrengte: Ich blieb in meinem Kopf, kam einfach nicht über mich hinaus. Mir kam der Verdacht: Das ist das vielleicht bei allen so. Die beten gar nicht. Die tun nur so.

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Die erste tiefe Gebetserfahrung 

Glücklicherweise konnte ich später die Erfahrung machen: Beten geht. Es ist wirklich möglich, an eine andere, geheimnisvolle Dimension der Wirklichkeit anzudocken – vielmehr von ihr berührt zu werden. Ich nenne sie einmal Gegenwart Gottes.

Eine erste tiefe Gebetserfahrung machte ich in Taizé. Wer noch nichts Näheres von dem Dörfchen im französischen Burgund gehört hat, sollte wissen, dass es dort eine Gemeinschaft von gastfreundlichen Mönchen gibt, die Jahr für Jahr in den Sommermonaten Tausende von Jugendlichen aufnehmen. Sie kommen aus ganz Europa, ja oft sogar aus Afrika, Amerika und Asien. Sie kommen, weil in Taizé die Wirklichkeit Gottes gewissermaßen mit Händen zu greifen ist.

Getrieben von der Sehnsucht nach Gott

Die erste Entdeckung, die ich in Taizé machte: dass da andere Jugendliche waren, die von der gleichen Sehnsucht nach Gott getrieben waren wie ich selbst. Okay – ich war schon mal nicht allein auf der Welt. In Taizé liefen eine Menge Leute herum, die sofort einen Haken an das berühmte Wort von Augustinus gemacht hätten: „Du, o Gott, hast uns auf dich hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.“
 

Das Gebet ist meiner Ansicht nichts anderes als ein Gespräch mit einem Freund, mit dem wir oft und gerne allein zusammenkommen, um mit ihm zu reden, weil er uns liebt.
Teresa von Avila (1515–1582)

In Taizé war und ist glücklicherweise nichts perfekt. Man schläft in Zelten oder in schlichten Baracken. Dreimal am Tag rufen die Glocken. Von allen Seiten strömen die Jugendlichen herbei. Die Kirche ist selbst ein großes „Zelt“, das nach Bedarf erweitert oder verkleinert werden kann.

Wie betet man richtig?

Bevor man diese Kirche betritt, wird man mit jugendlichen Helfern konfrontiert, die Schilder vor sich hertragen; in verschiedenen Sprachen liest man ein einziges Wort: Stille ... Stilte ... Silence ... Silenzio ... Silencio. Das ist schon die erste Grundregel zum Gebet: Ohne Stille geht gar nichts. Wir müssen alle Geräuschquellen abdrehen, müssen auch innerlich ruhig werden und Zeit mitbringen, damit sich im Raum der Stille etwas ereignen kann.

Man betritt also diese eigenartige Kirche in Taizé, in der es keine Bänke gibt, nur Teppichboden, und ist gefangen von Atmosphäre aus Licht und Schweigen. Man nimmt auf dem Boden Platz und sieht, wie auch die Mönche kommen und sich im Schweigen und Warten auf Gott in der Mitte des Raumes niederlassen. Irgendwann stimmt jemand ein schlichtes Lied an: Veni, Sancte Spiritus ... Komm, Heiliger Geist! Scheinbar endlos wird es wiederholt. Tiefer und tiefer fällt dieser Gebetsruf in die Seele. Dann wieder Schweigen. Dann ein Wort Gottes, das wie ein kostbarer Tropfen in die spiegelglatte Wasserfläche meiner Seele fällt und dort Kreise zieht.

Wieder Schweigen. Fühlbare Gegenwart Gottes. Ich ging aus der Kirche raus. Und hätte jubeln können: Wow, ich hatte wirklich gebetet. Es geht – und du musst gar nicht viel machen. Gott ist da. Und macht ...

„Für mich ist das Gebet ein Aufschwung des Herzens, ein schlichter Blick zum Himmel, ein Ausruf der Dankbarkeit und Liebe inmitten der Prüfung und inmitten der Freude.“
Hl. Therese von Lisieux

Aber Taizé hat mir noch mehr geschenkt. Wir saßen in einer Gruppe zusammen, hatten uns nie zuvor gesehen, mussten uns erst auf eine gemeinsame Sprache einigen. Wir lasen gemeinsam in der Heiligen Schrift, tauschten uns darüber aus, beschenkten uns gegenseitig mit Einsichten. Und dann beteten wir. Frei, – so wie es unser Herz uns eingab. Wieder war dieses „Wow“ da. Es fühlte sich an wie in der Urgemeinde der ersten Christen: „Die Menge derer, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele.“ (Apostelgeschichte 4,32)

Heute kann ich mir ein Leben ohne Gebet nicht mehr vorstellen. Immer wieder hole ich mir Inspiration aus der Heiligen Schrift oder ich lese einige Worte nach, die ich mir notiert habe, weil sie mich auf Kurs bringen. Eines dieser Worte stammt von der hl. Therese von Lisieux, einer kleinen, unscheinbaren Frau mit der Seele einer Riesin; sie sagte: „Für mich ist das Gebet ein Aufschwung des Herzens, ein schlichter Blick zum Himmel, ein Ausruf der Dankbarkeit und Liebe inmitten der Prüfung und inmitten der Freude.“ Das Feuer der Heiligen, ihr authentisches Zeugnis bringt mich sofort auf Kurs, wenn ich mich wieder einmal hängen ließ und deprimiert bin.
Hoch mit dem Herzen! Vertrauen! Und auf etwas Großes, Stilles, Schönes warten!

  • YOUCAT 470: Wie kommt der Mensch darauf, zu beten?
  • YOUCAT 506: Ist Beten nicht doch eine Art Selbstgespräch?
  • YOUCAT 504: Was kann ein Christ durch Meditation erreichen?
  • YOUCAT 469: Was ist das Gebet?
  • YOUCAT 482: Welche Rolle spielte das Gebet bei den ersten Christen?
  • YOUCAT 497: Warum hilft es, sich beim Beten an den Heiligen zu orientieren?

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