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„Wir in der Ukraine sind bunt“

Die griechisch-katholische Kirche entfaltet missionarische Kraft, die Orthodoxie ist wieder Spielball der Politik. Von Stephan Baier
Sophienkathedrale in Kiew gilt allen Konfessionen als Wahrzeichen christlicher Identität
Foto: Stephan Baier | Die Sophienkathedrale in Kiew gilt allen Konfessionen als Wahrzeichen der christlichen Identität der Ukraine.

Die kirchliche Wirklichkeit in der Ukraine ist ebenso faszinierend wie komplex. Faszinierend, weil all die Jahrzehnte atheistischer Kirchenverfolgung zu Sowjetzeiten die Liebe zu Christus und seiner Kirche nicht verlöschen ließen. Komplex, weil hier drei katholische (die römisch-katholische, die griechisch-katholische und eine kleine ruthenische) sowie drei orthodoxe Kirchen (jene des Moskauer wie des Kiewer Patriarchats und die kleine „autokephale“) mit-, neben- und mitunter gegeneinander leben. Eine Delegation der Solidaritätsaktion „Renovabis“, angeführt von Berlins Erzbischof Heiner Koch und Renovabis-Hauptgeschäftsführer Christian Hartl sowie begleitet von Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU), konnte sich in fünf Tagen in Lemberg (Lviv) und Kiew ein Bild davon machen.

„Orribile!“ (schauderhaft), ist das erste Wort, das dem römisch-katholischen Erzbischof von Lemberg, dem früheren Papst-Sekretär Mieczyslaw Mokrzycki, zu den Beziehungen zur griechisch-katholischen Kirche herausrutscht. Seit Jahren hoffe er auf die Rückgabe von Kirchengebäuden, „aber sie wollen nicht“. Nicht einmal der Papst könne da helfen. Darum hätten die Katholiken des lateinischen Ritus nur jene Kirchen, die ihnen sogar die Kommunisten ließen, sowie einige neu gebaute. Aus Sicht der Unierten (also der griechisch-katholischen Kirche) seien „die Lateiner“ fremd in diesem Land, dabei habe die römisch-katholische Erzdiözese Lemberg längst ihr 600-jähriges Bestehen gefeiert. „Auch die Friedhöfe zeigen, dass dieses Gebiet einst römisch-katholisch war.“ Einst. Lemberg war lange polnisch. Wie auch Mokrzyckis Vorgänger, Kardinal Jaworski, der als Emeritus in Krakau lebt. So mancher griechisch-katholische Repräsentant spricht tatsächlich von der „polnischen Kirche“, wenn er die Katholiken des lateinischen Ritus meint. Erzbischof Mokrzycki versichert, er nehme zwar noch Priester und Dozenten aus Polen, aber nur mehr Seminaristen aus der Ukraine selbst, nicht aus dem westlichen Nachbarland. In der Zentral- und Ostukraine seien die Beziehungen zur griechisch-katholischen Kirche besser, zu den orthodoxen Kirchen dagegen schwieriger.

Das mag an den Größenverhältnissen und am Verhältnis zur Politik liegen: Die Westukraine ist Kernland der von 1946 bis 1990 vom kommunistischen Staat brutal verfolgten griechisch-katholischen Kirche; im Osten dagegen dominiert die Orthodoxie – wobei die gegenwärtige Politik die Orthodoxie des Kiewer Patriarchats bevorzugt, wie zuvor das russophile Janukowitsch-Regime die Orthodoxie des Moskauer Patriarchats privilegierte. Zur Orthodoxie gehörten Oligarchen und Politiker, und auch der Präsident, meinte Erzbischof Mokrzycki im Gespräch mit dieser Zeitung. „Poroschenko hat die Macht den Oligarchen übergeben. Es gibt keine Reformen und die Korruption ist allgegenwärtig.“ Rund zwölf Millionen Ukrainer haben das Land seit der Unabhängigkeit 1991 bereits verlassen, fast zwei Millionen von ihnen als Arbeitsmigranten in Polen. 40 Euro beträgt eine durchschnittliche Monatspension; davon lässt sich nicht leben. Dass die von Moskau abhängige Orthodoxie die Ukraine je freigibt, also einer Autokephalie zustimmt, glaubt der katholische Erzbischof nicht. Im ökumenischen Verhältnis sieht er kleine Verbesserungen, dennoch gebe es nach wie vor anti-katholische Ressentiments. Bei einem orthodoxen Wallfahrtsort habe er ein Schild gesehen: „Kein Zutritt für Hunde und Katholiken!“

Ausländische Hilfe bringt hier reiche Frucht

Auch die griechisch-katholische Kirche bekommt Unterstützung aus dem Ausland, nicht aus Polen, sondern aus der riesigen ukrainischen Emigration weltweit. Der prachtvolle, moderne Campus der „Ukrainischen Katholischen Universität“, den der polyglotte unierte Bischof Borys Gydziak am vergangenen Sonntag feierlich einweihte, machte das sichtbar: Ohne die Hilfe von Renovabis, aber auch von dem aus Kanada angereisten ukrainischstämmigen Sponsor James Temerty hätte die hochmoderne Bibliothek nicht realisiert werden können.

Der Wiederaufbau der griechisch-katholischen Kirche, die 45 Jahre härtester Verfolgung in der Emigration und im Untergrund überlebte, ist noch immer auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Doch diese Hilfe bringt reiche Frucht: Nicht nur die Universität, die wie eine Oase aus der akademischen Wüste des Landes herausragt, hat Modellcharakter. Ein Berufsbildungszentrum der Salesianer in Lemberg bildet junge Menschen zu Schreinern, Schneidern, Köchen und Friseuren aus, vermittelt zudem christliche Werte und prägt Persönlichkeiten. Unmittelbar daneben betreuen die Salesianer 65 Waisenkinder. 35 von ihnen hat Pater Mihajlo adoptiert, um ihnen Rechtssicherheit und eine Perspektive zu geben. 450 Kinder nahmen im Sommer an den „Ferien mit Gott“ – und mit Fußball – teil, wie Pater Mihajlo erzählt.

Zur Synode der griechisch-katholischen Bischöfe, an der die Renovabis-Delegation am Montag teilnehmen konnte, sind auch Hirten aus Frankreich, Großbritannien, Kanada und den USA angereist. Europa habe die Ukraine nicht vergessen, versicherte Bundestagsvizepräsident Singhammer den Bischöfen eindringlich. Russlands Besetzung der Krim und den Krieg in der Ostukraine nennend, fuhr er fort: „Wir setzen auf den Frieden, aber dazu zählt die Entschlossenheit, den Frieden verteidigen zu wollen.“ Großerzbischof Schewtschuk, das Oberhaupt der mit Rom unierten Ukrainer, zeigte sich dankbar: „Der Krieg in der Ukraine wird immer wieder verschwiegen.“ An seine Gästen appellierte er, „dass Sie zur Stimme dieses Volkes werden“. Bischof Gydziak dankte der deutschen Kirche nicht nur für ihre finanzielle Hilfe: „Wir brauchen auch Ihren spirituellen Rat, denn die Probleme, die Sie heute in Deutschland haben, kommen auch auf uns zu.“

Im Lemberger Priesterseminar, das auch mit Hilfe von Renovabis gebaut und eingerichtet wurde, scheint die Welt noch in Ordnung: Mehr als 200 Seminaristen bereiten sich hier auf die Weihe vor, die meisten werden zuvor heiraten. Zwar drängen nicht mehr gar so viele Kandidaten herein wie in den Jahren nach der Legalisierung 1990, doch kann der Rektor noch immer auswählen: Von 60 Bewerbern nahm er 40 ins Propädeutikum auf. Auf der Ebene der Priesterseminare und der Ordensgemeinschaften scheint der Verhältnis zwischen „Unierten“ und „Lateinern“ gut zu sein. Nahezu adoptiert haben die griechisch-katholischen Bischöfe den ruthenischen Bischof Milan Sasik, dessen kleine Kirche (450 Gemeinden mit 310 Priestern) in Transkarpatien vier Liturgiesprachen kennt. Vor einem Jahrhundert, so berichtet Bischof Sasik, habe es in Transkarpatien keine Orthodoxen gegeben, doch durch die Sowjetzeit habe sich alles verändert: Die russische Orthodoxie agiere nationalistisch, habe 70 Prozent der Kirchen noch immer nicht zurückgegeben. So sei die ruthenische unierte Kirche gezwungen gewesen, ab 1991 mehr als 220 Kirchen und Kapellen neu zu errichten. „Wir sind eine sehr arme, aber eine missionarische Kirche“, fügt der Bischof an, um sogleich Baupläne für ein Kulturzentrum samt Bibliothek auf den Tisch zu legen.

Wie komplex nicht nur das Verhältnis zwischen den Ritengemeinschaften und Konfessionen, sondern auch zwischen Politik und Religion sein kann, offenbarte ein Besuch bei der Vizepräsidentin des ukrainischen Parlaments, Iryna Heraschtschenko. „Die Kirchen versuchen, sich in unsere Arbeit einzumischen“, beklagte die Politikerin mit Bezug auf die Visaliberalisierung, die fast am Widerstand der Kirchen gescheitert sei – um sich ein paar Sätze später in innerkirchliche Fragen einzumengen: Es solle in der Ukraine nur eine einzige, einheitliche Orthodoxie geben. Das aber scheitere am Widerstand Russlands. Ganz in diesem Sinn hatte der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, an den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel geschrieben, dieser möge die Autokephalie der ukrainischen Orthodoxie anerkennen. „Die Ukraine hat das Recht auf eine Landeskirche“, sagte Präsident Poroschenko vor wenigen Tagen vor dem Parlament in Kiew.

Gespaltene Orthodoxie in politischen Turbulenzen

Gegen eine solche Autokephalie, die das Band zum Moskauer Patriarchat durchtrennen würde, sind die Würdenträger im traditionsreichen Kiewer Höhlenkloster. Der Rektor der Kiewer Theologischen Akademie des Moskauer Patriarchats, Metropolit Antoniy Pakanych, zeigt sich im Gespräch dankbar, dass Rom das Kiewer Patriarchat nicht anerkannte. Er wirft den orthodoxen Brüdern vom Kiewer Patriarchat vor, Kirchengebäude mit Gewalt eingenommen zu haben. Die Regierung privilegiere das Kiewer Patriarchat. Auf Rückfragen dieser Zeitung, ob das mit der russischen Aggression im Osten und der engen Beziehung zwischen Putin und dem Moskauer Patriarchen zu tun haben könnte, versucht sich der Metropolit in Diplomatie: Die Verbindung seiner Kirche zum Moskauer Patriarchat sei kanonischer, aber nicht administrativer Art – „deshalb sind wir in der Ukraine unabhängig“. Es gebe aus Moskau „keine konkreten und direkten Weisungen“. Aber: „Durch das Moskauer Patriarchat haben wir Verbindungen zu den anderen orthodoxen Kirchen der Welt, die die Schismatiker nicht haben.“ Von der Regierung erwartet er keine Privilegierung mehr, sondern nur mehr Toleranz: „Wir in der Ukraine sind bunt und unterschiedlich – das muss der Staat verstehen.“

Metropolit Antoniy räumt ein, dass allein die Nennung des Moskauer Patriarchen in diesen Zeiten des Krieges viele Ukrainer befremdet. Die Priester seiner Kirche seien auch in den umkämpften Gebieten im Osten sowie auf der Krim tätig, doch sei deren Zentrum in Kiew, nicht in Moskau. „Unsere Kirche ist die Kirche des ukrainischen Volkes. Die Mehrheit der Orthodoxen in der Ukraine gehört unserer Kirche an“, sagt der Vertreter des Moskauer Patriarchats. Die Beziehungen zur griechisch-katholischen Kirche bezeichne er als gut. „Die Probleme, die wir hatten, sind lange vorbei.“ Damit meint er nicht die Kollaboration der russischen Orthodoxie beim Vernichtungsversuch des Staates gegen die Unierten bis 1990, sondern den Kampf um Kirchengebäude und Gemeinden in den 1990er Jahren.

Der Apostolische Nuntius in Kiew, Erzbischof Claudio Gugerotti, hat da so seine Zweifel. Es gebe doch einen starken Widerstand der Orthodoxie des Moskauer Patriarchates gegen die griechisch-katholische Kirche und ihre missionarischen Aktivitäten.

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18.04.2024, 13 Uhr
Leander Lott