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„Wir halten an unserer Position fest“

Wie geht es nach der Bundestagsentscheidung für die „Ehe für alle“ weiter? Ein Gespräch mit Berlins Erzbischof Heiner Koch. Von Regina Einig
Foto: KNA | Die Ehe ist nicht mehr das, was sie für Väter und Mütter des Grundgesetzes war. Erzbischof Heiner Koch findet kritische Worte für die politische Entwicklung.
Herr Erzbischof, bleibt überzeugten Christen nach der Bundestagsentscheidung für die „Ehe für alle“ nur noch der Gang vor das Bundesverfassungsgericht?

Zunächst: Entschieden wurde nicht über unser katholisches Verständnis der sakramentalen Ehe. Das haben wir – nicht zuletzt durch Amoris laetitia – noch einmal herausgestellt. Allerdings ist die „Ehe für alle“ nicht mehr das, was die Mütter und Väter des Grundgesetzes in Artikel 6 unter besonderen Schutz gestellt haben. Das hat auch Prälat Jüsten in seinem Brief an die Abgeordneten vor der Wahl in Erinnerung gerufen, „dass gegen eine vorgeschlagene einfachgesetzliche Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare verfassungsrechtliche Bedenken bestehen“. Aber überzeugte Christen haben natürlich viele andere Möglichkeiten, für ihre Überzeugung und ihr Verständnis von Ehe Zeugnis zu geben. Das gilt nicht nur für Politiker.

Auch katholische Parlamentarier wie Maria Böhm (ZdK) votierten für die „Ehe für alle“. Täuscht der Eindruck, dass das Vertrauen in das „C“ der Unionsparteien durch das Procedere, in dem der Beschluss durchgedrückt wurde, erneut gelitten hat?

Zunächst respektiere ich die Gewissensentscheidung der einzelnen Abgeordneten, auch wenn ich sie nicht teile. Die kritische Auseinandersetzung wird weitergehen. Dass ein solches Thema in seiner grundlegenden Bedeutung für die Menschen und für unsere Gesellschaft mit partei- und wahlkampftaktischem Gezänk abgaloppiert wurde, hat weder die Ehe noch das Parlament verdient.

Seit Jahren macht sich unter gläubigen Christen Wahlmüdigkeit breit. Wie würden Sie angesichts der Tatsache, dass keine Partei auch nur noch annähernd biblische Positionen verteidigt, Gläubige davon überzeugten, wählen zu gehen?

Ich bedaure sehr, dass so wenige Katholiken in der ersten Reihe politischer Verantwortung – etwa in der Bundesregierung – stehen. Ich frage mich, ob dies ein Indiz dafür ist, dass sich zu wenige Katholiken in die schwierige und mühsame Arbeit der Politik einzubringen bereit sind. Da reichen weder distanzierte Zuschauerhaltung noch fundamentale Pauschalkritik aus.

Mehrere Kirchenvertreter haben in diesen Tagen auf den Zusammenhang zwischen der Diskussion über eine „Ehe für alle“ und dem gesellschaftlichen Einfluss des Gender-Mainstreaming hingewiesen. Teilen Sie diese Auffassung?

Papst Franziskus selbst hat darauf hingewiesen, dass Gender-Mainstreaming nicht der Weg der Kirche ist, die Gleichberechtigung von Mann und Frau durchzusetzen und Benachteiligungen und unberechtigte Rollenfixierungen zu überwinden. Was mich aber vor allem bedrückt: Viele innerhalb und außerhalb der Kirche verstehen unsere Anliegen und ihre Begründung nicht oder lehnen sie dezidiert ab. Die Begriffe Schöpfungsordnung und Naturrecht werden da etwa als Ideologie missverstanden.

Aber auch in katholischen Bildungseinrichtungen gilt Gender-Mainstreaming als salonfähig. Viele Katholiken vermuten, es gehe dabei um die Gleichstellung der Geschlechter und übersehen, dass hier die Auflösung von Kernstrukturen menschlichen Zusammenlebens angestrebt und gezielte sprachliche Verwirrung dafür in Kauf genommen wird. Unterschätzt die Kirche das Problem Gendermainstreaming?

Nein.

Von den deutschen Bischöfen erhoffen manche, dass sie zum Ausklang des Lutherjahrs Protestanten, die mit einem Katholiken verheiratet sind, zur Eucharistiegemeinschaft einladen. Täuscht der Eindruck, dass eine Flucht vor der Glaubensspaltung in Kernfragen des Schrift- und Schöpfungsverständnisses von EKD und katholischer Kirche angestrebt wird?

Papst Franziskus selbst hat das Thema in Lund angesprochen und auf die Sehnsucht vieler in einer konfessionsverschiedenen Ehe hingewiesen. Sie sind durch die Taufe und Ehe sakramental verbunden, leben aber in Kirchen, die in der Frage der Eucharistie beziehungsweise des Abendmahls noch keine Einheit gefunden haben. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wieviel Einheit im Glauben und in der Praxis ist notwendig, um eucharistische Gemeinschaft verantwortungsbewusst eröffnen zu können? Diese Frage hat der Papst selbst gestellt.

Fördern gesellschaftliche Zäsuren wie die „Ehe für alle“ das Bewusstsein, dass die Kirche die Gemeinschaft der Gläubigen in Zukunft allenfalls noch in der kleinen Herde glaubwürdig verkörpern kann?

Gut 24 Millionen Menschen sind nach wie vor katholisch, etwa eine Million weniger gehören der evangelischen Kirche an. Viele der Abgeordneten des Deutschen Bundestags bekennen sich ausdrücklich zu ihrem Glauben und zu ihrer Kirche, auch wenn sie für die „Ehe für alle“ gestimmt haben. Wir halten an unserer Position aus tiefen Gründen fest und leisten damit – unabhängig von Abstimmungsergebnissen – einen wichtigen Beitrag zur Orientierung und Wertediskussion. Wir müssen aber auch selbst lernbereit denen gegenüber sein, die uns kritisch begleiten. Der Rückzug auf eine „kleine Herde“ entspricht nicht dem Geist Jesu Christi, deshalb hat die Kirche ihn schon in der Frühzeit ihrer Geschichte abgelehnt.

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Kirche

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28.03.2024, 21 Uhr
Regina Einig